Die wahren „Volksverräter“

Wie die AfD Deutschland schadet: Abrechnungen mit der Partei von Links gibt es in den Medien wie Sand am Meer. Umso spannender finde ich ich eine kritische Analyse der Partei aus konservativer Sichtweise – und veröffentliche daher hier diesen Beitrag von Lukas Mihr, den keiner der großen – auch regierungskritischen – Medien abdrucken wollte. Es wird allmählich zu einer Tradition, dass ich kritischen Geistern hier auf reitschuster.de journalistisches Asyl gebe. Ich halte einen breiten Diskurs für völlig unverzichtbar für eine Demokratie – und die Verengung des Meinungskorridors in den vergangenen Jahren für verheerend.


Gastbeitrag von Lukas Mihr, Historiker und freier Journalist


Die AfD hat ihren 10. Parteitag abgeschlossen und darf für sich in Anspruch nehmen, ein Stück weit „erwachsener“ geworden zu sein. Erstmals gestaltet sich der Wechsel an der Spitze organisch – Alexander Gauland tritt nicht wie die Vorgänger Bernd Lucke und Frauke Petry wutentbrannt aus der Partei aus, sondern wird zum Ehrenvorsitzenden gewählt.

Wer in dem Parteitag einen weiteren Rechtsruck erblicken will, wird sich darin bestätigt sehen, dass Moderate wie Albrecht Glaser, Kay Gottschalk oder Georg Pazderski dem Bundesvorstand nicht mehr angehören, die Flügel-Männer Andreas Kalbitz, Stephan Brander und Stephan Protschka hingegen schon. Andererseits geriet der Auftritt des Rechtsaußen Wolfgang Gedeon, der sich selbst als „AfD in der AfD“ sieht, zur Totalblamage. Seine Kandidatur um den Parteivorsitz blieb chancenlos.

Tatsächlich ging mit dem Braunschweiger Parteitag kein weiterer Rechtsruck einher, anders als noch 2015 oder 2017, als erst Lucke, dann Petry die Partei verließen und die Gemäßigten an Boden verloren. Die Partei ist nicht mehr und nicht weniger rechts als schon zuvor – und genau das ist das Problem.

Der neue Parteivorsitzende Tino Chrupalla gilt als Mann des Ausgleichs, auf den sich moderate Kräfte wie auch der Flügel verständigen konnten. Doch geriet er bereits ins Visier

des Verfassungsschutzes, weil er dem rechtsextremen „Volkslehrer“ Nikolai Nerling ein Interview gegeben hatte. Im Bundestag sah er in George Soros einen der Hauptverantwortlichen für die Flüchtlingskrise – ein Anknüpfungspunkt für Antisemiten. Ebenso spricht er von einer Umvolkung und sieht zu Andreas Kalbitz nur rhetorische, keine inhaltliche Differenzen.

Wie jüngst zu lesen war, rückt die Beobachtung durch den Verfassungsschutz näher. Der parteiinterne völkische „Flügel“ und die Jugendorganisation gelten als Verdachtsfälle, die Gesamtpartei als Prüffall. Im Frühling stehen wichtige Entscheidungen an. Insbesondere dass der Flügel mittlerweile vier ostdeutsche Landesverbände dominiert, haben die Verfassungsschützer aufmerksam registriert.

Verbindungen ins rechtsextreme Spektrum

Die AfD meint, die Behörde sei mittlerweile zum politischen Machtinstrument geworden. Nicht ganz falsch, aber hat sie es durch ihre offene Flanke zum rechtsextremen Spektrum hin dem Verfassungsschutz nicht etwas zu einfach gemacht? Andreas Kalbitz war etwa 20 Jahre lang Mitglied in entsprechenden Organisationen, Björn Höcke soll unter Pseudonym für eine NPD-Publikation geschrieben haben, wie auch Joachim Paul, der nun im Bundesvorstand sitzt. Stephan Protschka geriet im vergangenen Monat in die Schlagzeilen, weil er eine Gedenkstätte für den Volksdeutschen Selbstschutz errichtet hatte, der im zweiten Weltkrieg an Kriegsverbrechen gegen die polnische Bevölkerung beteiligt war. Unterstützt wurde er bei diesem Vorhaben auch von NPD-Nachwuchskadern. Als weiterer NPD-Sympathisant gilt der Bundestagsabgeordnete Jens Maier. Diese Liste ließe sich erweitern.

Sollte die Partei vom Verfassungsschutz beobachtet werden, hätte sie dies vor allem sich selbst zuzuschreiben – auch wenn die Beobachtung für die gemäßigten Mitglieder mehr als unfair wäre. Ein solcher Schritt wäre für die AfD vernichtend. Künftig würde ständiges Misstrauen die Gremienarbeit lähmen, denn wer weiß schon, ob nicht gerade ein V-Mann im Raum sitzt? Auch könnten sich beide Parteiflügel gegenseitig mit Vorwürfen überziehen. Wer moderat ist, steht ohnehin dem Verfassungsschutz nahe, wer sich radikal äußert, wurde womöglich für seine Provokation bezahlt. Zudem dürften viele Beamte die Partei verlassen, weil sie berufliche Konsequenzen befürchten. Professionelle Oppositionsarbeit wäre dann deutlich schwieriger.

Beobachtung durch den Verfassungsschutz

Mittlerweile durchlebt die Bundesrepublik ihre bislang schwierigste Krise. Doch die einzige Partei, die zur Besserung beitragen könnte, hat sich selbst aus dem Spiel genommen. Dabei ist der Flügel nicht nur verwerflich, weil er den Verfassungsschutz auf den Plan ruft. Denn so drängend die Nöte Deutschlands derzeit auch sind – wäre ein Kanzler Kalbitz wirklich die Alternative? Dem völkischen Lager sei gesagt: Jeder Ausländer,

der sich zu unseren Werten bekennt und in die Gesellschaft einbringt, ist hier willkommen!

Bekannt ist Björn Höckes „erinnerungspolitische Wende um 180 Grad“. Aber was will er damit ausdrücken? Kritisiert er nur die Auswüchse der deutschen Erinnerungskultur, oder glaubt er, der Holocaust habe nie stattgefunden? Dafür gibt es Anhaltspunkte, so steht laut Höcke hinter der Masseneinwanderung „der internationale Geldmachtkomplex mit seiner krakenhaften Machtstruktur“. Außerdem kritisierte er die Gefängnisstrafe für die Holocaustleugnerin Ursula Haverbeck.

Dabei wäre, wenn nicht eine Wende, so doch eine erinnerungspolitische Modifizierung angebracht – aber bitte ohne antisemitische Untertöne. Wer den Islam kritisiert, wird oft in die Nazi-Ecke geschoben und viele Linke bejubelten die Aufnahme der Flüchtlinge als Wiedergutmachung für vergangene Verbrechen. Ebenso heißt es häufig, Deutschland habe „aufgrund seiner Geschichte“ eine besondere Verantwortung auf der internationalen Bühne 

Großer Austausch oder Inkompetenz?

Auch in der Flüchtlingsdebatte fällt es schwer, die AfD ernst zu nehmen. Viele ihrer Mandatsträger hängen Verschwörungstheorien an. Angeblich plane die Bundesregierung den Austausch aller Deutschen. Je böser die Bösen, umso mehr kann man sich als edler Ritter fühlen.

Dabei ist die Realität ernüchternd. Wie Robin Alexander in „Die Getriebenen“ darlegt, herrschte in der Bundesregierung angesichts der anströmenden Flüchtlinge das pure Chaos.

Tatsächlich sollte die Grenze geschlossen bleiben, nur wollte niemand die Verantwortung für den als unpopulär eingestuften Schritt übernehmen. Und so schoben die Politiker der Großen Koalition das Problem vor sich her, jeder wollte es beim Nächsten abwälzen. Irgendwann wurde die Politik von den Tatsachen überrollt.

Doch durch das ungelenke Vorpreschen der AfD sieht sich jeder, der Kritik an der Flüchtlingspolitik der Regierung übt, dem „Aluhutverdacht“ ausgesetzt – selbst dann wenn er nicht im rechten Lager steht.

Der bayerische Landtagsabgeordnete Andreas Winhart wollte sich nicht von einem „Neger anhusten“ lassen. Dabei hat er im Kern sogar recht – durch die Flüchtlingskrise kam es zu einem Anstieg der Tuberkulose- und Krätze-Fälle. Bei einem so ernsten Thema wäre jedoch eine sachlichere Wortwahl hilfreich gewesen. 

Sexuelle Gewalt gegen Frauen

Mit der Vergewaltigung deutscher Frauen durch Flüchtlinge spricht die AfD ein wichtiges Thema an. Außer Whataboutism hat die Linke nichts zu entgegnen. Nach der massenhaften sexuellen Belästigung durch hunderte Araber in der Kölner Silvesternacht fiel dem feministischen Lager nur ein, dass es derartige Taten genauso auch auf dem Oktoberfest gäbe. In Wirklichkeit überdecke die AfD mit ihrem Eintreten für Frauen nur die eigene Fremdenfeindlichkeit. Deutlicher kann das linke Lager – dem im Zweifel ein Gender-Star mehr bedeutet als körperliche Unversehrtheit – seine Frauenverachtung nicht zum Ausdruck bringen. Eigentlich hätte die AfD an diesem Punkt schon gewonnen – wenn sie sich nicht selbst zu umso größerer Misogynie bediente. Frauen

aus dem linken Lager erhalten von AfD-Anhängern häufig indiskutable Drohnachrichten, in denen ihnen eine Vergewaltigung durch Flüchtlinge gewünscht wird.

Kai Gniffke, hauptverantwortlich für die Tagesschau, erklärte, warum er keine Berichterstattung über Tötungsdelikte durch Flüchtlinge veranlasst hatte. Diese wäre nur dann geboten, wenn Flüchtlinge häufiger kriminell als Deutsche seien. Und da das eben nicht der Fall sei, unterblieben solche Meldungen. Ein Skandal! Aber ist es wirklich besser, wenn zum Beispiel der AfD-Kreisvorsitzende Uwe Wappler die Vergewaltigung einer 13-jährigen in seiner Heimat erfindet, nur um Aufmerksamkeit zu generieren? Gerade die Lügen eines Wapplers verleihen den Lügen eines Gniffkes erst Glaubwürdigkeit.

Der Berliner Bürgermeister Michael Müller hatte 2018 in einem Interview zugegeben, dass manche Stadtteile unsicher seien. Es gäbe „Gegenden, in denen man sich zu später Stunde lieber ein Taxi nimmt, als alleine zu Fuß unterwegs zu sein.“ Der Berliner AfD-Vorsitzende Georg Pazderski verbreitete daraufhin ein gefälschtes Zitat laut dem Müller gesagt hatte: „Wem Berlin nachts zu gefährlich ist, der soll halt Taxi fahren!“ Mehrere AfD-Anhänger verbreiteten das Zitat in den sozialen Netzwerken und ließen nicht davon ab, als man sie mit der Fälschung konfrontierte. Pazderski habe eben nur überspitzt zusammengefasst, was Müller insgeheim denke.

Schwieriges Verhältnis zur Wahrheit

Auch Alexander Gauland wurde in einer einzigen (!) Talkshow gleich drei Mal der Lüge überführt. Umso peinlicher wird es, wenn man alle Lügen zu einem einzelnen Clip zusammenfasst. Im Gespräch mit Dunya Hayali geriet Gauland gleich mehrfach ins Wanken, weil er sich zu keiner klaren Position durchringen konnte. Waren bestimmte Äußerungen von AfD-Politikern Fehler oder bewusste Provokationen?

Die Erkenntnis, dass Politiker häufig lügen, ist älter als die AfD. Aber sollte eine Partei, die sich selbst als Alternative bezeichnet, nicht mit gutem Beispiel vorangehen?

Auch in der Debatte um Meinungsfreiheit offenbart die AfD eine erschreckende Doppelmoral. In den letzten Jahren wurde der Korridor des Sagbaren immer weiter eingegrenzt, müssen kritische Geister fürchten, den Job zu verlieren oder soziale Ächtung zu erfahren.

Janine Wissler, Frontfrau der hessischen Linken, konterte diese These. In Wirklichkeit wolle doch die AfD die Meinungsfreiheit abschaffen. Dieser Verweis, ein billiges „Aber ihr doch auch!“, widerlegt natürlich gar nichts. Doch leider kann Wissler tatsächlich Fälle auflisten, in denen die AfD die Meinungsfreiheit beschneiden wollte. Ein hessischer Kreisverband drohte Journalisten nach einer noch zu erfolgenden Revolution sogar Gewalt an. Gerade wer erlebt, wie die eigene Meinungsfreiheit beschnitten wird, sollte ihren Wert erst richtig zu schätzen wissen. Bei manchem AfD-Politiker kommt jedoch der Wunsch auf, es dem Gegner mit gleicher Münze heimzuzahlen.

Die Hauptverantwortung für die Erosion der Meinungsfreiheit in Deutschland tragen natürlich Merkel, Maas und die gesamte Medienlandschaft. Aber hat der Flügel mit seinen vielen indiskutablen Ausfällen nicht auch eine Steilvorlage geliefert?

Homophobe Töne

Ohne Zweifel geht von der Genderideologie eine große Gefahr für Deutschland aus. Umso wichtiger, dass sich ihr eine Partei mutig entgegenstellt. Jedoch schießt die AfD in ihrer Kritik über das Ziel hinaus. Es gibt keinen Plan der „Homo-Lobby“, Kinder umzuerziehen. Ein wenig Wissenschaft hätte geholfen, die Welt etwas nüchterner zu sehen. Die sexuelle Orientierung ist angeboren und höchstens um Nuancen formbar. Genauso wenig, wie man Homos „heilen“ kann, lassen sich Heteros „verschwulen“.

Immer wieder fallen einzelne AfD-Politiker mit homophoben Aussagen auf, auch wenn es Gegenbeispiele wie Alice Weidel gibt. Dennoch: die gesamte Bundestagsfraktion forderte im vergangenen Jahr die Aufhebung der Ehe für Alle.

Man muss sich das einmal vorstellen: Deutschland steht kurz vor dem Abgrund und die AfD verschwendet ernsthaft Zeit und Energie auf einen derart unwichtigen Nebenkriegsschauplatz? Ganz abgesehen davon, dass sie ohne ihre homophoben Ausfälle Wählerstimmen unter Schwulen und Lesben hinzugewinnen könnte – denn die haben allen Grund, sich vor dem Islam zu fürchten.

Ähnlich verhält es sich mit dem Nahostkonflikt. So legte die AfD-Fraktion mehrfach den Finger in die Wunde und brachte die politische Klasse ins Taumeln. Petr Bystron wollte von der Bundesregierung den Namen der Hauptstadt Israels wissen. Das Antwortschreiben des Auswärtigen Amtes drückt sich um eine klare Antwort. Dennoch wären solche Manöver umso wirkmächtiger, wenn die AfD die Anti-Zionisten in den eigenen Reihen besser unter Kontrolle hätte.

Islamsympathien

Obwohl die Partei von Beginn an auf die Furcht vieler Deutscher vor dem Islam setzte, zeigen sich mittlerweile leider auch islamfreundliche Tendenzen. Beispielsweise hatte Alexander Gauland kurz nach den Terroranschlägen vom 11. September 2001 „Respekt vor der arabischen Welt“ gefordert – der

Westen solle sowohl seinen militärischen, wie kulturellen Einfluss im Nahen Osten zurückfahren und die Unterstützung für Israel einstellen. Nur so seien weitere Terroranschläge zu verhindern. Hans-Thomas Tillschneider, selbst Islamwissenschaftler, bekundet seinen Respekt vor dem Islam und will dessen Menschenrechtsverletzungen nicht anprangern. Manuel Ochsenreiter, früherer Angestellter der Bundestagsfraktion, traf sich sogar mit Vertretern von Hamas und Hisbollah.

Allzu oft erweisen sich AfD-Politiker als instinktgesteuert. Devise: Erst twittern, dann denken. In vielen Fällen wäre etwas mehr Ruhe angebracht gewesen.

Freude über Terroranschläge

Beispielsweise tobten AfD-Politiker angesichts des Amoklaufs von München 2016 oder der Amokfahrt von Münster 2018. Schnell waren der Islam, die Flüchtlinge und die Bundesregierung ausgemacht. Tatsächlich waren beide Vorfälle nicht terroristisch motiviert, sondern Taten psychisch kranker Einzeltäter. Hätte die AfD nur 4 oder 5 Stunden gewartet, wäre die Blamage zu vermeiden gewesen.

Sicher, wer angesichts eines „Vorfalls“ in Europa augenblicklich an den Islam denkt, liegt mit 95% Wahrscheinlichkeit richtig. Dennoch: Wer in den Stunden der Ungewissheit einen Schnellschuss riskiert, begeht keinen 5%-igen, sondern einen 100%-igen Fehler. Denn so zeigt sich, dass die AfD nur auf den nächsten Terroranschlag hofft, den sie für ihre Zwecke instrumentalisieren kann. Beispielsweise hatte Beatrix von Storch den deutschen Täter von Münster als „Nachahmer islamischen Terrors“ bezeichnet. Solche Äußerungen bestätigen die Angaben von Aussteigerin Franziska Schreiber, die berichtet, in der AfD habe angesichts des Anschlags vom Breitscheidplatz große Freude geherrscht.

Dass die Basis oft wie ein Zappelphilipp reagiert, zeigte sich 2016 bei einer Parteiveranstaltung. Eine Gruppe linker Jugendlicher drückte deutlich ihren Protest aus. Parteichefin Frauke Petry bat die Aktivisten daraufhin zum Gespräch. Immer wieder musste sie die Pfiffe und Buhrufe aus dem Publikum abwiegeln und um Ruhe bitten. Tatsächlich hatte sie vor, die Jugendlichen mit der Kraft des Arguments zum Schweigen zu bringen – was ihr auch gelang. Einer promovierten Chemikerin sollte man eben nicht erzählen, dass CO2 für den Menschen gesundheitsschädlich ist. Das Publikum hätte die Gruppe jedoch am liebsten aus dem Saal geworfen und merkte erst nach und nach, dass Petry eine rhetorische Falle aufgestellt hatte.

Wenn die AfD nicht zu einem seriösen Kurs findet, dürfte sie in die Geschichte eingehen als Partei, die der Niedergang Deutschlands eher noch beschleunigt hat.


Bilder: Olaf Kosinsky/Wikipedia, Frank Schwichtenberg/Wikipedia, Andreas Trojak/Wikipedia unter CreativeCommons (CC) Lizenz, WIX, privat

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