Ein Gastbeitrag von Claudio Casula
Die Schnecke rutscht gerne in der Schleimspur eines Vorgängers. So kommt sie energiesparend zu einem potenziellen Partner. Der Weg ist zudem mit Erkennungsstoffen markiert, denn keine Schnecke kann es sich leisten, artfremden Wesen hinterherzuschlittern. Eine Nacktschnecke, die einer Weinbergschnecke folgen würde, würde wertvolle Reserven vergeuden. Schnecken schleimen sich daher bei ihrer Gefolgschaft ein.“ Das schrieb der Tagesspiegel 2007, als er der Frage nachging, warum Schnecken schleimen.
Und damit ist auch das Moderationsprinzip von Markus Lanz bereits hinreichend beschrieben. Während er „artfremden Wesen“ nicht hinterherschleimt, sondern ordentlich auf die zwölf gibt, wie kürzlich dem Freie-Wähler-Chef Hubert Aiwanger aus Bayern, dem er ein ums andere Mal ins Wort fiel und den er auf sehr unangenehme Weise ständig in die rechte, schon fast demokratiefeindliche Ecke zu drücken versuchte, nickt er bei der Herrschaft, mit der er sich einig weiß, heftiger mit dem Kopf als der Wackeldackel auf der Hutablage im Auto, signalisiert immer wieder seine Zustimmung („Interessanter Gedanke!“, „Genau!“) und lässt keinen Zweifel an der jeweils angesagten Haltung.
Zuletzt huldigte der Moderator, der als Gleitmittel zwischen Regierung und veröffentlichter Meinung flutscht wie ein Zäpfchen, dem umstrittenen Wirtschaftsminister Habeck, jetzt durfte Joachim Gauck die Ehrbezeugungen des Südtirolers entgegennehmen. Denn auch gegenüber dem 83-jährigen Altbundespräsidenten gab sich Lanz so beflissen wie weiland der allseits unbeliebte Klassenstreber, der dem Pauker die Tasche trug und den Stuhl zurechtrückte. Nur unterbrochen durch gelegentliches zustimmendes Kopfnicken und das obligatorische „Genau!“, ließ sich Gauck schon zu Beginn minutenlang predigerhaft über das Wesen renitenter Ostdeutscher aus, die nicht so wählen, wie es von ihnen erwartet wird. (Hier können Sie sich die gesamten 75 Minuten ansehen, wenn Sie es aushalten; in diesem Text soll es um die Passage gehen, die Sie im Video von Min. 5:40–9:03 sehen können.)
Ein Charakterschwein ist der Ossi nicht
„Diese sehr starke Rückbindung an autoritäres Geführt-werden, das ist da und das lässt sich bei jeder Wahl belegen. (…) Es gibt eben diese Unterschiede (zwischen Ossis und Wessis). (…) Nur: Woher kommen die Unterschiede? Und da ist es wichtig, dass wir uns gerade in der westdeutschen Mehrheitsgesellschaft klarmachen: Es sind keine Charaktermängel, die die Ossis da kollektiv haben. Also: Diktatur können alle. (…) Wenn die Hessen und Bayern 44 Jahre draufgekriegt hätten auf die 12 Jahre Nazi-Diktatur, dann wären sie heute auch eine andere Völkerschaft. Das heißt, lange politische Ohnmacht bleibt nicht ohne Folgen. Das, was die Demokratie uns erlaubt, ein Individuum in freier Selbstbestimmung zu sein und vor allem Eigenverantwortung zu trainieren von der Schule an, das wird – genau das Gegenteil wird in der Diktatur gefordert. Gehorsam und Anpassung wie zu Zeiten der Fürsten bringt dich nach oben. (…)“
Ein Charakterschwein ist der Ossi also nicht, das räumt der Pfarrer ein, er hat nur zu lange in einer zweiten Diktatur gelebt, daran liegt’s. Gut, die DDR ist vor über 30 Jahren kollabiert, und rechts wählen die Ossis erst neuerdings verstärkt, aber für Gauck sehnen sie sich umso mehr nach dem SED-Obrigkeitsstaat zurück, je länger er Vergangenheit ist. Klingt nicht logisch? Ist es auch nicht. Vielmehr sehen die „Ossis“, die sich vom Zusammenbruch des Arbeiter- und Mauernstaates Freiheit und Wohlstand erhofften (und zunächst auch bekamen), diese nun schon länger den Bach runtergehen. Umgekehrt wird nämlich ein Schuh draus, auf „autoritäres Geführt-werden“ stehen sie gar nicht, und eben das ist es, was seit einiger Zeit zunehmend und penetrant eingefordert wird. Ein paternalistischer Staat, der sich anmaßt, den Bürger vor Ansteckung mit einem Allerweltsvirus zu bewahren, indem er ihm Ausgangssperren, Geschäftsschließungen, Kontaktverbote, Impfpflicht, 2G und Masken aufzwingt, bringt den Ossi eher gegen sich auf – was man, nota bene, nicht zuletzt bei den Montagsspaziergängen während der Corona-Jahre gesehen hat.
Kampf dem Imperialismus!
„Ein Individuum in freier Selbstbestimmung zu sein“, so insinuiert es Gauck, ist Sache dieses Ossis nicht, womit er falscher nicht liegen könnte. Dieser will sich eben nicht vorschreiben lassen, was er essen, ob er Auto fahren, wie er heizen und welche schlimmen Wörter er nicht in den Mund nehmen darf. Gehorsam und Anpassung wird aber von ihm eingefordert, wenn er die Narreteien des Wokismus sowie die Verkehrs-, Energie- und Ernährungswende gefälligst zu unterstützen hat. Ebenso ist die Überstrapazierung des Solidaritätsgedankens etwas, das dem Ostdeutschen sauer aufstößt. Sich ständig zu einer vermeintlich guten Sache (Vorwärts zu neuen Erfolgen im sozialistischen Wettbewerb! Unverbrüchliche Freundschaft mit den Völkern der Sowjetunion! Kampf dem Imperialismus!) bekennen zu müssen, das hat er vier Jahrzehnte gehabt, das braucht er nicht nochmal.
Ebenso wenig Cancel Culture und Aufrufe zur Denunziation, wie sie mittlerweile bedenklich um sich greifen. Leute zu verpetzen, weil sie sich in sozialen Netzwerken vermeintlich ungebührlich geäußert haben, mit dem Trans-Kult wenig anfangen können, in „Pandemie“-Zeiten gegen Corona-Regeln verstießen, etwa Kindergeburtstag mit einem Haushalt zu viel feierten, oder sich angeblich „muslimfeindlich“ äußern, ist nicht nur verpönt, sondern wird durch die Einrichtung von entsprechenden Meldestellen geradezu gefördert, und Politiker rufen listig dazu auf, „aufeinander achtzugeben“; Denunzianten werden als „Hinweisgeber“ geadelt, die sich nicht scheuen sollen, im Dienste der guten Sache Abweichler zu verpfeifen. Wie soll es denn bei einem Ossi ankommen, wenn ausgerechnet die Ex-Stasi-Mitarbeiterin Anetta Kahane (IM „Victoria“) heute als Vorkämpferin der demokratischen Zivilgesellschaft firmiert, die im „Kampf gegen Rechtsextremismus, Fremdenfeindlichkeit und Antisemitismus“ wieder politische Gegner als „rechts“ markieren und zum Abschuss freigeben darf?
Keine „tröstenden Antworten“ – schnüff!
Doch hören wir noch einmal in den Schwurbel-Monolog des Altbundespräsidenten hinein. Der weiß zu unterscheiden zwischen denen, die „wie im Westen wählen“ (helles Deutschland), und denen, die angeblich nichts gelernt haben (Dunkeldeutschland):
„Aber eine signifikant große Minderheit hat im Grunde diesen Abschiedsprozess von dem Alten nicht abgeschlossen. Sie sind in einem Zwischenreich. Sie fremdeln mit dieser offenen Gesellschaft, die ist ihr zu vielfältig, macht ihr Angst, na ja, und dann sucht man in Zeiten der Angst… diese Menschen, die so strukturiert sind, dass sie eine autoritäre Disposition in ihrem Leben haben, das klingt jetzt schlimm, is‘ aber nicht schlimm, es ist erstmal normal. Das sind Menschen, die Freiheit weniger lieben als Sicherheit, wie schon erwähnt, aber die mögen auch, dass wir mehr gleich sind oder dass wir mehr zusammen sind. Dies‘ Gefolgschaftsproblem. Das heißt, das Maß an Verunsicherung ist ungeheuer groß, so groß, wie einige meinen, noch nie in der Weltgeschichte zuvor. Und in solchen Phasen von Krisen, da haben oft die traditionellen Parteien nicht die tröstenden Antworten. Und dann erscheinen da welche am Rand und sagen: Ja, wussten wir schon immer, das geht viel zu weit mit der Moderne. Das ist alles Irrtum, wir wissen’s besser. Und sie sprechen dann so, als würde man die Vergangenheit wieder ins Leben rufen können. Ne homogene Nation. Und dann erinnern sie sich so wie die Generation meiner Eltern nach dem Krieg, ja, es war auch nicht alles schlecht beim Führer, ja? Also, es war früher ja auch nicht alles schlecht in der DDR. Nee, war’s auch nicht. Es gab Frühling, Sommer, Herbst und Winter. Und die Leute hatten alle Arbeit.“
Gauck ignoriert, dass etwa von 1990 bis in die Zeit zwanzig Jahre später, als in Kanzlerin Merkel das alte FDJ-Mädel zum Vorschein kam, die Ossis durchaus „mit dem Alten abgeschlossen“ hatten – abgesehen von denen, die weiter die mehrmals umbenannte SED wählten. Aber nun sind die Ossis laut Gauck „in einem Zwischenreich“, Zwischenreichsbürger gewissermaßen, die den ollen Kaiser Wilhelm wiederhaben und den Gesundheitsminister im Fernsehstudio live vor der Kamera kidnappen wollen.
Keine Freiheitsliebe?
„Das sind Menschen, die Freiheit weniger lieben als Sicherheit“, sagt Gauck – und meint damit ausgerechnet Menschen, die die Bewahrung ihrer Grundrechte der vermeintlichen Sicherheit vor einem Virus vorzogen. Und wie weit ist es mit einer „autoritären Disposition“ her, wenn sich demonstrierende Bürger den staatlich verordneten Maßnahmen verweigern? Wäre die nicht eher bei solchen zu verorten, die bis zum Schluss und darüber hinaus brav ihre Maske trugen und heute treudoof das Narrativ schlucken, dass es 70 Geschlechter gibt und die Erde brennt?
„Die tröstenden Antworten“, welcher die etablierten Parteien Gaucks Worten zufolge entbehren, werden gar nicht erwartet, und wenn, dann würde man sie von der Kirche hören wollen, nicht von Ricarda Lang oder Saskia Esken. Vielmehr wären die Bürger schon froh, wenn die Politik auf Sprech- und Denkverbote verzichten, ihre unverantwortliche Migrations- und Energiepolitik stoppen und aufhören würde, mit immer neuen Vorhaben eine wohlhabende Nation zu einer von armen Kirchenmäusen umzubauen. Und wenn ein gewisser Herr Gauck lieber den Mund hielte als so einen Satz rauszuhauen: „Wir können auch einmal frieren für die Freiheit. Und wir können auch einmal ein paar Jahre ertragen, dass wir weniger an Lebensglück und Lebensfreude haben.“ Zumal, wenn er selbst mit einem Ehrensold in Höhe von 236.000 Euro jährlich versorgt ist.
Die Ossis wenden sich von den etablierten Parteien, die sie lange mit großer Mehrheit wählten, ab, nicht weil sie sich nach der alten DDR sehnten, sondern weil sie diese gerade als Zombie aus dem Grab auferstehen sehen. Nur als Zombie mit menschlichem Antlitz.
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Der Beitrag erschien zuerst auf Achgut.com.
Claudio Casula arbeitet als Autor, Redakteur und Lektor bei der Achse des Guten.
Bild: Shutterstock