Von Kai Rebmann
Der klassische Hausarzt ist in Deutschland längst zu einem vom Aussterben bedrohten Beruf geworden. Laut Angaben der Kassenärztlichen Bundesvereinigung sind schon jetzt mehr als 4.800 Praxen unbesetzt. Die Robert-Bosch-Stiftung prognostiziert, dass bis zum Jahr 2035 bundesweit insgesamt 11.000 Hausärzte fehlen werden. 40 Prozent der Landkreise werden dann unterversorgt oder von Unterversorgung bedroht sein, so der düstere Blick in die Zukunft.
Die Rechnung geht sehr einfach: Der sich abzeichnenden Pensionierungswelle stehen immer weniger Nachwuchskräfte gegenüber, die das wirtschaftliche Risiko und einer Selbstständigkeit als niedergelassener Hausarzt zu tragen bereit sind. Die Aussicht auf geregelte Arbeitszeiten, finanzielle Absicherung und das, was man heute „gesunde Work-Life-Balance“ nennt, im Falle einer Anstellung, erscheint vielen Jungärzten deutlich attraktiver.
Wie dramatisch die Situation vielerorts inzwischen ist, geht stellvertretend aus einer Patienteninformation hervor, die ein Arzt aus Schleswig-Holstein (Name und Sitz sind dem Autor bekannt) vor wenigen Wochen am Eingang seiner Praxis angebracht hat – und in der kaum mehr Klartext gesprochen werden könnte. Aber lesen Sie die unglaublichen Details am besten selbst (Auszug):
„Diese Praxis wird mit Luft und Liebe bezahlt!!! Unser Praxis-Budget für das 1. Quartal 2024 haben wir bereits am 05.03.2024 aufgebraucht. Kein Wunder bei 10,75 x unbesetzten Hausarztpraxen im Kreis Pinneberg (zum Vergleich > Hamburg hat nur 8 x offene Hausarztplätze). Für diese Praxis bedeutet es, dass ab sofort statt dem Punktwert 12 Cent ein Punktwert von wertschätzenden 0,25 Cent abgerechnet wird.
Im Koalitionsvertrag vom 24.112021 von SPD, Grüne (und) FDP steht eine Entbudgetierung der Hausärztinnen und Hausärzte. Dieses sollte die Attraktivität der Niederlassung für Hausärzte fördern. Leider Fehlanzeige, bisher wurden die Gesetzesvorgaben nicht umgesetzt und können frühestens 10/2024 wirksam werden. Das Budget für niedergelassene Ärzte wurde vor über 30 Jahren eingeführt. Zu diesem Zeitpunkt gab es tatsächlich noch einen Ärzteüberschuss.
Durch das Budget sollten Mehrfachuntersuchungen und unsinnige Untersuchungen vermieden werden. Bei der aktuellen Unterversorgung der Bevölkerung ist das Budget kontraproduktiv. Besonders Hausärzte sind jetzt schon einer deutlichen Mehrbelastung ausgesetzt. Durch das Budget bedeutet dieses für die Praxen >>> Mehrarbeit wird bestraft und stellt ein wirtschaftliches Risiko für eine Praxis dar. Minimale Einnahmen für extrabudgetär behandelte Kassenpatienten müssen laufende Betriebs- (und) Personalkosten decken. Ein unmögliches Unterfangen bei diesen Rahmenbedingungen!
Beispiel: Eine Oberbauchsonografie ist 143 Punkte wert > dafür gibt es üppige 17,16 Euro, bezahlt von der Krankenkasse. Für diese Praxis gilt, seit dem 05.03.2024 gibt es unglaubliche 36 Cent!!! Dass ein Ultraschallgerät 10.000 bis 20.000 Euro in der Anschaffung kostet, wird vorausgesetzt > warum die meisten Radiologen diese Untersuchung nicht mehr anbieten, dürfen Sie sich selbst beantworten.
Ein ärztlicher Hausbesuch ist 212 Punkte wert, dafür gibt es üppige 25,44 Euro von der Krankenkasse. Für diese Praxis gilt, seit dem 05.03.2024 gibt es nur noch unglaubliche 53 Cent!!! Eine Langzeitblutdruckmessung bringt aktuell 19 Cent!!!
Was macht unsere Regierung bzw. Herr Prof. Lauterbach bei diesem gravierenden Problem > leider nichts! Nein, gegen den Widerstand der Ärzteschaft werden so ‚wichtige Beschlüsse‘ (wie die) Legalisierung von Cannabis beschlossen.“
Stichwort Budgetierung der Hausarztpraxen: Dieses Instrument mag zu anderen Zeiten noch sinnvoll gewesen sein, trägt inzwischen aber massiv zum Praxissterben bei. Das Problem ist in Berlin auch wohlbekannt, doch außer Lippenbekenntnissen ist bei der Ärzteschaft bisher offenbar nichts angekommen. Auch die Kassenärztliche Vereinigung Baden-Württemberg (KVBW) lässt deshalb kaum ein gutes Haar an den politisch Verantwortlichen und bezeichnet die Situation als „absurd“:
„Während Gesundheitsminister Lauterbach vollmundig ankündigt, die Hausärztebudgets abschaffen zu wollen, werden sie für hausärztliche Praxen in Baden-Württemberg erstmals seit über zehn Jahren wieder bittere Realität.“ Seit dem Abrechnungsquartal 04/2023 kann die KVBW demnach „nicht länger alle abgerechneten Leistungen zu den Preisen vergüten, die im EBM [= Einheitlicher Bewertungsmaßstab] stehen.“
Noch dramatischer wirkt der Hilferuf aus dem benachbarten Hessen. Dort wird der Druck auf die Bundespolitik, den schon vielfach wiederholten Versprechen zur Entbudgetierung endlich auch die entsprechenden Taten folgen zu lassen, deutlich erhöht. Die SHZ zitiert aus einer Mitteilung der Kassenärztlichen Vereinigung in Hessen, wonach eine fachärztliche Praxis „unter den aktuellen Honorarbedingungen nicht mehr rentabel betrieben werden“ könne. Und weiter: „Wir fordern die Praxen auf, Leistungen, die nur anteilig bezahlt werden, nicht mehr anzubieten. Bundespolitik und Krankenkassen brauchen ein klares Signal, dass es so wie bisher nicht mehr weitergeht.“
Seine Abrechnung mit Gesundheitspolitik der Bundesregierung fasst der Arzt aus Schleswig-Holstein so zusammen: „Unter diesen Umständen ist es besser zu verstehen, wieso Hausarztpraxen immer häufiger nicht mehr nachbesetzt werden. Warum über 1.900 Ärzte bereits 2021 auswanderten. Warum die Wartezeiten immer länger werden, manche Praxen die 4-Tage-Woche nur noch anbieten und es in vielen Praxen einen Aufnahmestopp gibt. Fast täglich erreichen uns ein bis drei Anrufe, ob wir noch Patienten aufnehmen. Wir bedauern diese Entwicklung, wir schaffen es aber nicht mehr, bei einer aktuellen Auslastung von ca. 150 Prozent. Dass wir unter diesen Bedingungen nicht wochenlang die Praxis schließen, ist auf unser Verantwortungsbewusstsein gegenüber unseren lieben und verständnisvollen Patientinnen und Patienten zurückzuführen. Eine Besonderheit, die unsere Politiker anscheinend nicht kennen.“
Die vermeintlich gute Nachricht zum Schluss: Am 1. April hat bekanntlich ein neues Quartal begonnen. Wie lange das Geld für die Arbeit der Hausärzte dieses Mal reicht, bleibt aber einmal mehr abzuwarten!
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