Ich habe keine Vorurteile gegenüber politischen Parteien, ich verabscheue sie alle – wenn ich auch gerne zugebe, dass mir die Partei des infantilen Totalitarismus, die man auch als die Grünen bezeichnet, mit ihrer Mixtur aus Sektierertum, Heuchelei und Ignoranz die stärkste Abscheu abverlangt. Dennoch steht es außer Frage, dass jeder, gleich welcher politischen Ausrichtung, in juristischer Hinsicht gleich zu behandeln ist; ein Grüner hat den gleichen Anspruch auf einen ordnungsgemäßen Prozess und ein gut begründetes Urteil wie ein Freund der AfD oder ein politisch völlig Desinteressierter.
Man darf bezweifeln, ob dieses Prinzip in der Praxis tatsächlich greift. So hat ein verständnisvoller Richter beispielsweise vor Kurzem eine linksextreme Gewalttäterin, die ihre vornehmste Aufgabe darin sah, als rechtsextrem erachtete Menschen mit Hammer und Säure zu traktieren, zwar zu einer Haftstrafe von fünf Jahren und drei Monaten verurteilt, sie aber dann sofort auf freien Fuß gesetzt – sie habe die Hälfte ihrer Strafe bereits in der Untersuchungshaft abgesessen, sei dort, wie man hört, an Rheuma erkrankt, und zusätzlich habe sie ja unter dem Einfluss achtenswerter Motive gehandelt. Das ist Rechtsprechung vom Feinsten.
Doch nicht immer kommt es, wenn die Richtung stimmt, überhaupt zu Anzeige, Anklage und Prozess. Ich darf an die etwas in die Jahre gekommene Schauspielerin Heidelinde Weis erinnern, die im Oktober 2022 in einer Talkshow äußerte: „Wie können die Menschen so blöd sein, und sich wirklich nicht überlegen, was sie tun. Die gehen auf die Straße und demonstrieren gegen die Impfung. Sie sind wirklich zu prügeln, diese Menschen.“ Wenn man sich schon einen zweifelhaften Paragraphen über die sogenannte Volksverhetzung leistet, könnte man ihn auch gelegentlich dann anwenden, wenn er wirklich passt, denn in diesem § 130 des Strafgesetzbuches heißt es in Absatz 1: „Wer in einer Weise, die geeignet ist, den öffentlichen Frieden zu stören, gegen eine nationale, rassische, religiöse oder durch ihre ethnische Herkunft bestimmte Gruppe, gegen Teile der Bevölkerung oder gegen einen Einzelnen wegen dessen Zugehörigkeit zu einer vorbezeichneten Gruppe oder zu einem Teil der Bevölkerung zum Hass aufstachelt, zu Gewalt- oder Willkürmaßnahmen auffordert, wird mit Freiheitsstrafe von drei Monaten bis zu fünf Jahren bestraft.“ Deutlicher als Weis konnte man kaum noch zur Gewalt gegen einen Teil der Bevölkerung aufrufen, und der Aufruf fand in aller Öffentlichkeit statt, war also geeignet, den öffentlichen Frieden zu stören – außer freundlich-zustimmendem Applaus während der Talkshow gab es keine Reaktionen, schon gar keine strafrechtlichen.
Über manches sieht man gerne mit einem freundlichen Augenzwinkern hinweg
Gerade beim Tatbestand der Volksverhetzung scheint es im Rahmen der Strafverfolgung auch ein wenig darauf anzukommen, wer da wohl welches Volk gegen welche Bevölkerungsteile aufhetzt; über manches sieht man doch gerne mit einem freundlichen Augenzwinkern hinweg. Nicht alle werden so nachsichtig behandelt wie Heidelinde Weis mit ihrem Prügelaufruf. Wie man unter anderem in der Rotenburger Kreiszeitung lesen kann, wurde am 1. Juni 2023 „die Kreistagsabgeordnete Marie-Thérèse Kaiser (AfD) … vom Rotenburger Amtsgericht der Volksverhetzung schuldig gesprochen“, denn „in einem Online-Posting hat die Sottrumerin Afghanen pauschal als Gruppenvergewaltiger bezeichnet.“ So steht es da. Nach Auffassung des Vorsitzenden Richters seien ihre Äußerungen nicht von der Meinungsfreiheit gedeckt und störten den öffentlichen Frieden.
Wie war die Sachlage? Im August 2021 hatte der Hamburger Bürgermeister Tschentscher die unbürokratische Aufnahme von 200 afghanischen Flüchtlingen in Hamburg angekündigt. Kaiser war von dieser Ankündigung wenig begeistert und postete auf Facebook und Instagram eine sogenannte „Kachel“ des Inhalts: „Afghanistan-Flüchtlinge; Hamburger SPD-Bürgermeister für ,unbürokratische‘ Aufnahme; Willkommenskultur für Gruppenvergewaltigungen?“, ergänzt durch einen erläuternden Text. Die Kreiszeitung fügt noch hinzu, die niedersächsische Landesregierung habe Kaiser „erst kürzlich eine Nähe zum Rechtsextremismus attestiert“, und dokumentiert damit ein eigenartiges Rechtsverständnis, denn für die Beurteilung einer konkreten Handlung ist es unerheblich, ob der mutmaßliche Täter sich nach Meinung einer Landesregierung dem Rechtsextremismus, dem Linksextremismus oder gar der Landesregierung nah fühlt – es kommt auf die konkrete Tat an, nicht auf attestierte Nähegefühle. Kaiser selbst vertrat während des Prozesses die Auffassung, ihr Beitrag sei als Kritik am Hamburger Bürgermeister während des damaligen Wahlkampfes zu verstehen.
Aber das wollte der Richter nicht glauben, weil der Teil zu Tschentscher auf der Kachel in den Hintergrund gerückt sei. Darauf muss man erst einmal kommen. Auf der ominösen Kachel sieht man neben Kaisers Bild das groß und fett gedruckte Wort „Afghanistan-Flüchtlinge“, danach kleiner und dünner gedruckt den Text „Hamburger SPD-Bürgermeister für <<unbürokratische>> Aufnahme“, und dann wieder fett gedruckt „Willkommenskultur für Gruppenvergewaltigungen?“ Das soll also keine Kritik am Bürgermeister sein, weil der Textteil, in dem das Wort „Bürgermeister“ vorkommt, nicht so dick gedruckt ist wie der Rest. In welchem Paragraphen der Richter diese Regel gefunden hat, sollte er dem geneigten Publikum bei Gelegenheit mitteilen.
Und wie sieht es mit dem zweiten fettgedruckten Text aus? Noch einmal: „Willkommenskultur für Gruppenvergewaltigungen?“ steht da. Mir ist nicht bekannt, wie weit die Kenntnisse heutiger Juristen über Satzzeichen gehen; da ich aber selbst der deutschen Sprache einigermaßen mächtig bin, sehe ich am Ende dieser Äußerung ein Fragezeichen. Ein solches Fragezeichen verwendet man üblicherweise dann, wenn man eine Frage stellt. Ich könnte beispielsweise die Überschrift „Robert Habeck – ein großartiger Minister“ verfassen und hätte damit behauptet, dass Robert Habeck eben ein großartiger Minister sei. Schreibe ich aber „Robert Habeck – ein großartiger Minister?“, ergibt sich ein völlig anderes Bild, denn in diesem Fall frage ich nach der Großartigkeit Habecks und behaupte rein gar nichts. Und das heißt für den Fall Kaiser: Nach dem – im Sinne des Strafrechts offenbar zu dünn gedruckten – Satz über Tschentschers Äußerung hat sie die – im Sinne des Strafrechts offenbar zu fett gedruckte – Frage gestellt, ob das denn eine Willkommenskultur für Gruppenvergewaltigungen sei. Wir lernen, dass eine fett gedruckte Frage einer Behauptung gleichkommt.
§ 130
Bevor ich einen Blick auf die weiteren Ausführungen des Richters werfe, ist es sinnvoll festzustellen, welchen Teil des § 130 zur Volksverhetzung er wohl herangezogen haben könnte. Das dürfte nicht sehr schwer sein. Kaiser wurde mit einer Geldstrafe in Höhe von 6000 Euro belegt. Der oben zitierte Absatz 1 des Paragraphen spricht keine Geldstrafen aus, Absatz 2 dagegen schon, die Absätze 3 und 4 befassen sich mit der Billigung und Verharmlosung des Nationalsozialismus, Nummer 5 dagegen mit Völkermord, Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Kriegsverbrechen, während die restlichen Absätze die Anwendungsmöglichkeiten von Absatz 2 noch ein wenig erweitern. Man darf vermutlich davon ausgehen, dass Kaiser kein Kriegsverbrechen oder Ähnliches zur Last gelegt werden sollte, weshalb nur Absatz 2 als Rechtsgrundlage in Frage kommen dürfte.
Und der lautet so:
„Mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe wird bestraft, wer
- einen Inhalt (§ 11 Absatz 3) verbreitet oder der Öffentlichkeit zugänglich macht oder einer Person unter achtzehn Jahren einen Inhalt (§ 11 Absatz 3) anbietet, überlässt oder zugänglich macht, der
a) zum Hass gegen eine in Absatz 1 Nummer 1 bezeichnete Gruppe, gegen Teile der Bevölkerung oder gegen einen Einzelnen wegen dessen Zugehörigkeit zu einer in Absatz 1 Nummer 1 bezeichneten Gruppe oder zu einem Teil der Bevölkerung aufstachelt,
b) zu Gewalt- oder Willkürmaßnahmen gegen in Buchstabe a genannte Personen oder Personenmehrheiten auffordert oder
c) die Menschenwürde von in Buchstabe a genannten Personen oder Personenmehrheiten dadurch angreift, dass diese beschimpft, böswillig verächtlich gemacht oder verleumdet werden oder - einen in Nummer 1 Buchstabe a bis c bezeichneten Inhalt (§ 11 Absatz 3) herstellt, bezieht, liefert, vorrätig hält, anbietet, bewirbt oder es unternimmt, diesen ein- oder auszuführen, um ihn im Sinne der Nummer 1 zu verwenden oder einer anderen Person eine solche Verwendung zu ermöglichen.“
Satz 2 kommt nicht in Betracht, um Belieferung oder Vorratshaltung geht es nicht. Und der Richter hat es in der Tat deutlich gemacht, wie man wieder der Kreiszeitung entnehmen kann: Meinungsfreiheit höre da auf, wo die Menschenwürde anfange, „und die sei in diesem Fall verletzt worden. Und zwar gegenüber einer abgrenzbaren Gruppe von Menschen: nämlich die 200 Flüchtlinge in Hamburg. Also Volksverhetzung.“
Es handelt sich also um Satz 1c), die Menschenwürde einer Gruppe von Menschen sei angegriffen worden, indem diese Menschen „beschimpft, böswillig verächtlich gemacht oder verleumdet“ wurden. Ich will nur kurz darauf hinweisen, dass die böswilligen Verleumdungen Ungeimpfter von Seiten zahlreicher Journalisten und Politiker während der letzten Jahre leider keinen derart interessierten Staatsanwalt oder gar Richter gefunden haben, obwohl nichts klarer sein kann als der Umstand, dass in diesen Fällen eine Unzahl von Angriffen gegen die Menschenwürde stattgefunden hat.
Hütchenspiel mit Belegen
Und wie sehen nun die Belege im Falle Kaiser aus? Die bereits beschriebene Kachel kann nicht als Beleg dienen, sofern man mit der Funktion des Fragezeichens vertraut ist: Hier wurde nur etwas gefragt und nicht etwa behauptet, alle 200 neu aufzunehmenden afghanischen Flüchtlinge neigten zur Gruppenvergewaltigung. Dass eine Frage nur eine Frage sein kann und nicht automatisch eine böswillige Unterstellung sein muss, sollte auch einem deutschen Gericht bekannt sein; der Grundsatz „In dubio pro reo“, also im Zweifel für den Angeklagten, wird nicht umsonst auch im deutschen Recht üblicherweise beachtet. Es mag sein, dass der Richter deshalb auch den Begleittext ins Visier nimmt und nach Auskunft der Kreiszeitung meint, „Angaben im Beitragstext zu Delikten mit sexueller Gewalt von Afghanen seien zu sehr aus dem Zusammenhang gerissen worden.“
Das ist erstens irrelevant und zweitens falsch, wie man recht schnell sieht, wenn man sich die Mühe macht, den Begleittext tatsächlich zu lesen. Zunächst zitiert Kaiser einen Artikel aus der „Welt“, nach dem Tschentscher unmittelbar und unbürokratisch 200 Gerettete aufnehmen wolle. So steht es da, und die Quelle ist allem Anschein nach ein Tweet des Bürgermeisters. Hier wird also nichts weiter als ein Zitat zitiert, und die Frage, in welchem Kontext dieser Satz geäußert wurde, ist völlig irrelevant, da die Willensäußerung des Bürgermeisters an Deutlichkeit nichts zu wünschen übrig lässt. Ob es im Rest dieses Artikels um die Bedrohungslage in Afghanistan, um die Reaktionen der Hamburger Fraktionen oder das Liebesleben Tessiner Eichhörnchen geht, ist zur Beurteilung dieser Willenserklärung völlig unerheblich, sie steht in aller Klarheit für sich.
Anschließend äußert Kaiser die Auffassung, für Hamburg seien die Zahlen schon alarmierend genug und zitiert zum Beleg einen Artikel des Hamburger Abendblattes des Inhalts, jeder dritte Hamburger habe ausländische Wurzeln, wobei der große Anteil junger Menschen mit Migrationshintergrund auffalle. Auf dem zweiten Platz aller Herkunftsstaaten außerhalb der EU liege Afghanistan. So zitiert Kaiser und so steht es auch im Abendblatt, jeder kann es nachlesen. Hier werden also Tatsachenbehauptungen zitiert, bei denen es ebenfalls egal ist, ob sie aus dem Zusammenhang gerissen wurden, es bleiben zitierungsfähige Tatsachenbehauptungen, die keinesfalls verändert oder gar verfälscht wurden. Zu allem Übel geht es in dem Artikel nur um Anzahl und geographische Verteilung der Migranten innerhalb von Hamburg, und Kaiser hat Angaben über die Anzahl zitiert. Aus dem Kontext gerissen wurde hier gar nichts.
Im dritten relevanten Zitat bezieht sich Kaiser auf einen Artikel der „Bild“, in dem ein Bericht des BKA thematisiert wird. Unter Bezugnahme auf das BKA berichtet „Bild“, dass an jedem Tag in Deutschland zwei Mädchen oder Frauen von Männergruppen vergewaltigt werden. Es wird zweitens berichtet, jeder zweite Tatverdächtige habe keine deutsche Staatsangehörigkeit, wobei die Männer häufig aus den islamischen Ländern Afghanistan, Syrien und Irak kämen. Und wörtlich heißt es bei „Bild“: „Besonders Afghanen sind – gemessen an ihrem geringen Bevölkerungsanteil – überproportional stark vertreten. 2018 waren 6 Prozent der Tatverdächtigen Afghanen. In der Gesamtbevölkerung machen sie aber nur 0,3 Prozent aus. Die meisten von ihnen begingen die Tat noch im laufenden Asylverfahren.“ Muss ich noch erwähnen, dass hier wieder nur Tatsachenbehauptungen zitiert werden, die in diesem Fall sogar auf einen offiziellen Bericht des BKA zurückgehen? Wieder ist es ohne einen Hauch von Bedeutung, ob diese Behauptungen im ursprünglichen Zeitungsbericht von einem anderen Kontext umgeben waren, denn die zitierten Behauptungen haben einen klaren und eindeutigen Inhalt. Und selbst wenn man den Kontext unbedingt beachten will: Er besteht nur darin, dass einige Fachleute sich entsetzt über die Geschehnisse zeigen und – im Falle des altbekannten Kriminologen Christian Pfeiffer – sich an einer etwas nichtssagenden Erklärung versuchen, die aber nichts an den beschriebenen Tatsachen ändert. Wieder einmal wurde nichts aus dem Kontext gerissen.
Im Gegenteil: der BKA-Bericht bildet den Kontext für Kaisers einleitende Worte: „Gerade Afghanen sind bei Gruppenvergewaltigungen nach neusten Zahlen des BKA überproportional vertreten.“ So steht es im Bericht, man kann es nicht ändern. Und auch der auf den ersten Blick tatsächlich unschön formulierte Satz Kaisers findet seine Erläuterung im BKA-Bericht: „Frauen und junge Mädchen fallen den kulturfremden Massen als erstes zum Opfer,“ schrieb Kaiser. Das klingt gefährlich. Dass natürlich Frauen und junge Mädchen den Gruppenvergewaltigungen zum Opfer fallen, steht außer Frage. Als kritisch betrachten kann man die Formulierung von den „kulturfremden Massen“. „Kulturfremd“ bedeutet allerdings nicht kulturlos, sondern fremd im Vergleich zur hiesigen Kultur. Um nur ein Beispiel zu nennen: An der Fachhochschule Graubünden kann man das Fach Tourismus studieren, das mit einem „Aufenthalt in einer kulturfremden Destination“ verbunden ist. Als kulturfremd wird dabei „eine Kultur definiert, welche sich aufgrund der dort gesprochenen Sprache, Gepflogenheiten als auch Normen und Werte von der eigenen Kultur unterscheidet.“ Abwertend, gar gegen die Menschenwürde verstoßend, ist da gar nichts. Im Sinne des Grundsatzes „In dubio pro reo“ darf der Ausdruck dann auch nicht in der abwertenden Richtung interpretiert werden. Und genauso sieht es bei den „Massen“ aus. Denn eine Masse ist in diesem Zusammenhang nichts anderes als eine große und unübersehbare Menge von Menschen, nicht umsonst sagt man zum Beispiel, dass sich eine Menschenmasse ins Fußballstadion begibt. Kaiser spricht also von einer großen Menge von Menschen, die einem anderen Kulturkreis entstammen. Genau das steht allerdings auch in dem BKA-Bericht, denn die erwähnten 0,3 Prozent der Gesamtbevölkerung würden etwa 250.000 Menschen ausmachen – das ist doch ein wenig mehr als die Größe der Menschenmassen in einem Fußballstadion.
Die Formulierung, dass die Frauen und Mädchen den kulturfremden Massen zum Opfer fallen, ist dennoch äußerst unglücklich, denn man könnte sie so interpretieren, dass sich die gesamte Menschenmasse auf die Frauen und Mädchen stürzt. Das allerdings nur, wenn man genau das tut, was der Richter seiner Angeklagten attestiert hat: wenn man nämlich den Kontext nicht beachtet. Denn der Kontext besteht genau in dem von „Bild“ referierten BKA-Bericht, der als Beleg für diesen Satz herangezogen wird. Und dort steht eben nicht die offensichtlich falsche Interpretation des Satzes, sondern das, was ich schon ausgeführt hatte: „Besonders Afghanen sind – gemessen an ihrem geringen Bevölkerungsanteil – überproportional stark vertreten.“ Ich darf wieder an das Prinzip „In dubio pro reo“ erinnern, das hier verlangen dürfte, den von der Angeklagten selbst zitierten sachlichen Zusammenhang zu Rate zu ziehen und sich nicht alleine an einer schlechten Formulierung festzubeißen.
Es geht darum, auf welcher Grundlage Urteile gefällt werden
Der restliche Teil des Beitragstextes ist ohne Belang, denn nach Auskunft der Kreiszeitung hat sich der Richter nur auf die Stellen im Zusammenhang mit sexueller Gewalt konzentriert: „Angaben im Beitragstext zu Delikten mit sexueller Gewalt von Afghanen seien zu sehr aus dem Zusammenhang gerissen worden.“ Nach dem Zitieren des BKA-Bericht geht es aber nur noch um die Frage der Unterbringungskosten und um das Problem, warum Flüchtlinge nicht heimatnah in Sicherheit gebracht werden können.
Ich kenne Marie-Thérèse Kaiser nicht, bis vor Kurzem war mir ihre Existenz völlig unbekannt und sie wird mir in absehbarer Zeit auch wieder aus dem Gedächtnis fallen. Denn es geht hier nicht um die Person, schon gar nicht um ihre Partei. Es geht darum, auf welcher Grundlage Urteile gefällt werden. In diesem Fall sind wir auf eine Frage gestoßen, die ohne vertretbaren Grund als Aussage gedeutet wurde. Der Begleittext zu der betrachteten „Kachel“ wurde auf eine – freundlich formuliert – eher individuelle Art interpretiert, insbesondere, was die Bedeutung des Zusammenhangs angeht. Auf diese Weise konnte nicht nachgewiesen werden, dass ein Angriff auf die Menschenwürde im Sinne des Volksverhetzungsparagraphen, Absatz 2, Satz 1c) vorlag: Aus einem Fragezeichen und mehreren korrekt wiedergegebenen Zitaten, die keineswegs aus dem Zusammenhang gerissen waren, dürfte das auch schwer zu folgern sein. Alles was bleibt, ist die verdächtige Formulierung der „kulturfremden Massen“, die aber – sofern man bereit ist, den Zusammenhang mit dem zitierten BKA-Bericht zu beachten – nur das zum Ausdruck bringt, was der genannte Bericht eben aussagt. Wer natürlich auf die Beachtung des jeweiligen Zusammenhangs keinen großen Wert legt, kann daraus gerne eine Anklage konstruieren.
Man darf auf das Ergebnis des Berufungsverfahrens gespannt sein.
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