Droht Deutschland eine Versorgungskrise? Politiker schwänzen Energie-Gipfel mit Bäcker

Von Kai Rebmann

Während des ersten Lockdowns im Sommer 2020 wurden Bäckereien und Konditoreien als systemrelevant eingestuft und durften deshalb geöffnet bleiben. Neben den Nachwirkungen der Corona-Krise machen dem backenden Handwerk aktuell auch immer weiter steigende Kosten für Rohstoffe und Personal zu schaffen. Zum letzten Sargnagel vieler mittelständischer Betriebe könnten nun die durch die Decke schießenden Energiekosten werden, die viele Bäckereien an den Rand ihrer Existenzgrundlage – oder darüber hinaus – zu bringen drohen. Am vergangenen Wochenende ging ein Tweet mit dem Hilferuf eines Bäckers aus dem Raum Tübingen viral, der ab Oktober eine um das 3,5-fach höhere Abschlagszahlung an seinen Versorger entrichten soll.

„Solche Zahlen habe ich in letzter Zeit schon öfter gehört“, bestätigt Martin Reinhardt auf Nachfrage von reitschuster.de. Der Landesinnungsmeister von Württemberg betreibt im Enzkreis selbst eine handwerkliche Bäckerei und sieht die Zukunft seiner Branche akut gefährdet. Vor allem kleinere Bäckereien könnten die in den vergangenen Monaten und Jahren gestiegenen Kosten nur teilweise an die Kunden weitergeben, da die Produktion für die industriellen Mitbewerber deutlich günstiger sei. Irgendwann sei eine Preisgrenze erreicht, die den Kunden nicht mehr vermittelt werden könne, befürchtet Reinhardt. Der Bäckermeister aus Knittlingen schließt sich daher der Forderung des Zentralverbands des Deutschen Bäckerhandwerks an. In einem gemeinsamen Schreiben an Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) macht sich der Verband zusammen mit dem Deutschen Konditorenbund und den BÄKO-Organisationen für eine „konzertierte Vorgehensweise zwischen dem backenden Handwerk sowie der Politik“ stark.

„Politik entfernt sich immer weiter von der Basis“

Als Sprachrohr der Bäcker in Württemberg und im Nordschwarzwald hat Martin Reinhardt im August die Bundes- und Landtagsabgeordneten aus der Region in sein Café in der beschaulichen Fauststadt eingeladen, um nach kurzfristigen und möglichst unbürokratischen Lösungen zu suchen. Auf der Gästeliste standen: Gunther Krichbaum (CDU), Katja Mast (SPD), Stephanie Aeffner (Grüne), Rainer Semet (FDP), Hans-Ulrich Rülke (FDP), Stefanie Seemann (Grüne), Felix Herkens (Grüne) und Erik Schweikert (FDP). Zu dem Termin erschienen ist – niemand. Reinhardt räumt ein, dass die Einladung zu dem Termin zwar relativ kurzfristig erfolgt sei, dennoch enttäusche es ihn, dass einige nicht einmal abgesagt haben. Katja Mast hat sich entschuldigen lassen und dabei auf Termine in Berlin verwiesen. Dem entsprechenden Schreiben aus dem Wahlkreisbüro der SPD-Bundestagsabgeordneten lässt sich entnehmen, dass Bäckereien von den Zuschüssen nach dem Energiekostendämpfungsprogramm (EKDP) des Bundesfinanzministeriums offenbar ausgenommen sind, da sie laut KUEBLL-Liste der EU nicht als „energieintensive Branche“ gelten.

Es sind Aussagen wie diese, die Martin Reinhardt und seinen Kollegen das Gefühl geben, dass sich die Politik immer weiter von den Anliegen der kleinen Betriebe an der Basis entfernt. Im Gespräch mit reitschuster.de betont der Bäckermeister einmal mehr, dass die Bäckereien und Konditoreien bereits als systemrelevante Branche eingestuft worden seien, da diese einen wichtigen Beitrag zur Grundversorgung leisteten. „Wenn Betriebe, die Nahrungsmittel produzieren, dann bei solchen Förderprogrammen durch das Raster fallen, ist das nur schwer zu verstehen“, wundert sich Reinhardt. Daher fordert der Landesinnungsmeister eine gerechtere Verteilung der Zuschüsse, so dass auch mittelständische Betriebe und deren Mitarbeiter davon profitieren können, nicht nur die Industrie.

Die Versorgung der Bevölkerung droht zusammenzubrechen

In ihrem Schreiben an das Bundeswirtschaftsministerium fordern die Verbände der Bäcker und Konditoren daher nicht nur die Aufnahme ihres Handwerks in das EKDP. Darüber hinaus brauche es einen finanziellen Rettungsschirm, um die Betriebe schnell und spürbar zu entlasten, etwa durch eine Deckelung der Energiekosten oder Auszahlung entsprechender Zuschüsse. Zur Bewältigung der Energiekrise schlagen die Unterzeichner die Einrichtung eines Krisenstabs unter der Leitung der Bundesregierung vor, um insbesondere die Koordination von Maßnahmen zu erleichtern, aber auch um die Kommunikation zu verbessern.

Die Verbände weisen darauf hin, dass 70 Prozent der Öfen in Deutschlands Bäckereien mit Gas betrieben werden. „Hier ist eine Verdreifachung bis Verzehnfachung der Preise zu erwarten, beim Strom eine Verdoppelung bis Verdreifachung. Die Gasumlage verschärft die Lage zusätzlich“, wie es in dem Schreiben heißt. Eine Umrüstung der Backöfen auf andere Energieträger wie Strom oder Öl sei erstens mit sehr hohen Kosten verbunden und zweitens auch aus technischer Sicht kurzfristig nicht machbar. Auch zinsgünstige Darlehen sehen die Fachverbände lediglich als Tropfen auf den heißen Stein, da die Kostenlast dadurch lediglich nach hinten verschoben werde. Mit Nachholeffekten sei nicht zu rechnen, da das während der Krise nicht gekaufte Brot später nicht zweimal gekauft werde.

Als weitere Faktoren führen die Bäcker und Konditoren die ebenfalls stark gestiegenen Material- und Personalkosten an. „Die mehrfache Anhebung des Mindestlohns innerhalb weniger Monate führt teilweise zu Personalkostensteigerungen von über 20 Prozent. Es müssen nicht nur Entgelte unter 12 Euro angehoben werden, sondern auch die darüber, um den Abstand zwischen gelernten und ungelernten Tätigkeiten zu wahren.“ Und zu den Materialkosten erläutern die Unterzeichner: „Die Preise für Mehl und andere Rohstoffe haben sich in den vergangenen Monaten um bis zu 80 Prozent erhöht. Hinzu kommen dramatisch gestiegene Kosten für Maschinen und deren Instandhaltung.“

In Deutschland gibt es derzeit rund 13.000 handwerkliche Bäckereien und Konditoreien, in denen 250.000 Mitarbeiter beschäftigt werden. Wie dringend diese systemrelevante Branche auf staatliche Hilfe angewiesen ist, unterstreicht dieser Appell an Wirtschaftsminister Habeck: „Die gestiegenen Kosten treiben Unternehmer kurzfristig in existenzbedrohende Schwierigkeiten. Wenn nicht schnell und unbürokratisch geholfen wird, sind tausende Betriebe und Arbeitsplätze bereits im September gefährdet, und die Versorgung der Bevölkerung vor allem im ländlichen Raum droht zusammenzubrechen.“

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Kai Rebmann ist Publizist und Verleger. Er leitet einen Verlag und betreibt einen eigenen Blog.

Bild: Shutterstock
Text: kr

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