„Eine Großmacht, wo der Mensch nichts und der Staat alles bedeutet“ Ein Nachruf zum Tod des großen russischen Menschenrechtler Kowaljow

Der große russische Menschenrechtler Sergej Kowaljow ist heute im Alter von 91 Jahren in Moskau gestorben. Ich habe Kowaljows Weg 22 Jahre lang begleiten dürfen. Bei vielen persönlichen Treffen, in vielen Interviews und Telefonaten. Der frühere politische Häftling und spätere Duma-Abgeordnete war ein Gewissen der Nation. Schon Boris Jelzin kritisierte er hart. Umso heftiger seinen Nachfolger Wladimir Putin. Kowaljow war für alle Machthaber, die er erlebte, unbequem. Und darin war er für mich ein großes Beispiel und Vorbild. Statt unter Jelzin auf Posten zu schielen, wurde er schnell wieder zum Dissidenten. Die massiven Anfeindungen unter Putin brachten ihn keinen Millimeter von seinem Weg ab.

Besonders am Herzen lag Kowaljow die Aufklärung über die Arbeit des KGB. Dessen Handschrift erkannte er in Putins Russland überall wieder. Noch bevor Putin Präsident wurde, sagte er in einem Beitrag für den Focus, den ich damals mit ihm bearbeitete, genau das voraus, was dann geschah: eine Machtübernahme des Geheimdienstes, gut getarnt, im neuen Gewand. Kowaljow hat mir sehr geholfen, die Methoden des KGB und seiner Nachfolger zu verstehen. Und das wiederum hilft mir heute, in Angela Merkels „neuem Deutschland“ vieles, was daran erinnert, wiederzuerkennen. Die Ziele sind andere, der Lack ist ein anderer, aber unter vielem scheint eben genau diese erschreckende Handschrift durch – die man etwa als Westdeutscher wohl nur sehr schwer erkennen kann, wenn man sich nicht ausführlich damit beschäftigt hat.

Ich ziehe heute postum den Hut vor diesem großen Mann, und verneige mich tief in Demut und Ehrfurcht vor seinem Lebenswerk. Möge er in Frieden ruhen und das Andenken an ihn ein leuchtendes sein, wie man in Russland sagt – und wie man es in seinem Fall buchstäblich verstehen kann, ja muss!

Als kleine Hommage hier ein paar Ausschnitte aus Focus-Artikeln von mir, in denen ich Kowaljow ausführlich zitierte:

2001:
Russische Bürgerrechtler sind bitter enttäuscht von Gerhard Schröder: „Der Kanzler ist im Umgang mit Präsident Wladimir Putin unglaublich naiv“, sagt Menschenrechtler Sergej Kowaljow zu FOCUS. Jeder sehe, dass der Streit um die Übernahme des unabhängigen TV-Senders NTW in Wirklichkeit ein Kampf um die Pressefreiheit sei. „Wenn Schröder jetzt Verständnis für Putin zeigt, verstellt er sich – oder er nimmt dessen Schutzbehauptungen für bare Münze“, so Kowaljow.

2004 über Schröders Bestätigung, Putin sei ein „lupenreiner Demokrat“:

„Was der Bundeskanzler tut, ist nicht nur falsch, sondern gefährlich, für Russland und für Deutschland“, sagt Sergej Kowaljow, Russlands bekanntester Menschenrechtler: „Man kann sich nur schwer ausmalen, was für einen Schlag solche Äußerungen für die ohnehin geschwächte, an die Wand gedrückte russische Opposition bedeuten.“

Kowaljow wirft Schröder vor, die Öffentlichkeit in Deutschland zu belügen und die Menschen in Russland zu verraten. Der Kanzler sei prinzipienlos, so der frühere Mitstreiter von Friedensnobelpreisträger Andrej Sacharow: „Er opfert Grundwerte wie die Menschenrechte und Demokratie“ vermeintlichen Geschäftsinteressen.

Schröders Behauptung, Putin wolle nur die Staatlichkeit in Russland wiederherstellen, ist nach Ansicht Kowaljows auf tragische Weise richtig: „Putin stellt die Sowjetunion wieder her, nur etwas modernisiert. Eine Großmacht, wo der Mensch nichts und der Staat alles bedeutet.“ Diese Entwicklung sei für Europa sehr gefährlich, wie Putins Ankündigung zeige, neue Superwaffen zu entwickeln.

„Verachtung gegenüber den Russen“

Schröders Argument, nur leise Kritik bringe Erfolg, sei falsch, sagt Kowaljow. Wie schon Sacharow zu Sowjetzeiten sagte, wirke im Kreml nur Druck. „Russland kann heute nicht mehr zurück zur Isolation, wenn der Westen nicht schweigen würde, müsste Putin reagieren.“

2005:

„Der Menschenrechtler und Olof-Palme-Preisträger Sergej Kowaljow wirft Schröder vor, mit seiner Russland-Politik die Öffentlichkeit in Deutschland zu belügen und die Menschen in Russland zu verraten.

2005, kurz vor Merkels Wahlsieg:
Russische Menschenrechtler wie Sergej Kowaljow glauben deshalb nicht an einen Kurswechsel Berlins – aber hegen doch ein wenig Hoffnung: „Unter Merkel könnten zumindest die Bauchpinselei und Heuchelei ein Ende haben.“

2008:

Der Kanzler sei prinzipienlos, so Kowaljow: „Er opfert Grundwerte wie die Menschenrechte und Demokratie“ vermeintlichen Geschäftsinteressen. Dabei handle Schröder kurzsichtig und gegen die Interessen Deutschlands, wenn er die Bundesrepublik, die schon heute ein Drittel ihres Gases aus Russland bezieht, immer abhängiger von Moskaus Energielieferungen und damit erpressbar mache.“

 

 

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Bild: DonSimon/Wikicommons/CC0 1.0
Text: br

 

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