Ein Gastbeitrag von Prof. Felix Dirsch
Weltumspannende Ordnungen, augenblicklich überall diskutiert, haben eine längere Tradition. Ihre Implementierung beabsichtigt stets nach großen Zäsuren, das Verhältnis von universaler Ebene und Einzelstaaten neu zu justieren. Im Anschluss an die Verwerfungen des Ersten Weltkrieges sollte der Genfer Völkerbund die Umsetzung der Ideen Immanuel Kants garantieren, dass das Recht zur „Organisation der Menschheit und damit eins mit der höchsten sittlichen Idee“ werde, wie es der österreichische Jurist Hans Kelsen treffend formulierte. Das sind hehre Vorstellungen, aber im Deutschland der 1920er Jahre überwogen kritische Einwände. Sie verwiesen darauf, dass die neue Ordnung dazu instrumentalisiert werde, den Verliererstaaten des Ersten Weltkrieges ihr Recht auf Satisfaktion möglichst streitig zu machen. Nicht nur der Jurist Carl Schmitt machte auf diese Ziele im Hintergrund aufmerksam, die sich freilich aufgrund der Schwäche des Völkerbundes nicht durchsetzen ließen.
Nach dem Zweiten Weltkrieg, einer noch größeren Zäsur, schränkte die UN als Nachfolgeeinrichtung des Völkerbundes das Recht der Staaten auf Gewaltanwendung ein. Hier liegt ein maßgeblicher Einschnitt in der Geschichte der neuzeitlichen Staatenwelt. Der Hobbes’sche Naturzustand des Krieges aller gegen alle sollte auch auf der internationalen Ebene beendet werden. Den fünf ständigen Mitgliedern des Sicherheitsrates (USA, Frankreich, China, Russland und das Vereinigte Königreich) mit Vetorecht und den zehn nichtständigen Mitgliedern kommt daher nach verbreiteter Meinung die Aufgabe einer Weltpolizei zu.
Die Implosion des Ostblocks bedeutet einen weiteren Einschnitt von kaum übersehbarer Tragweite. 1991 verkündete US-Präsident George H. W. Bush eine Neue Weltordnung unter Führung der nunmehr „einzigen Weltmacht“ (Zbigniew Brzeziński). Eckpfeiler sollten der freie Welthandel und die universelle Durchsetzung der Menschenrechte sein. Gegner (wie der französische Autor Alain de Benoist) verweisen auf die Gefahren der ideologischen Rechtfertigung des US-Imperialismus. Um 2000 legten der US-Literaturwissenschaftler Michael Hardt und der italienische Politologe Antonio Negri eine weltweit beachtete Bilanz in dem Buch „Empire“ vor. Darin werden die Widersprüche des weltumspannenden Kapitalismus herausgestellt und die Sollbruchstellen dieses Weltreiches ohne Zentrum mit gleichwohl umfassendem Herrschaftsanspruch hellsichtig aufgezeigt.
Seit einigen Jahren wächst die Kritik an diesem Konstrukt, das eine Vermögenskonzentration im großen Stil ermöglicht. Die gegenwärtige Zäsur hat die Gewinne der großen Internetplattformen nochmals explodieren lassen. Doch Gegenwind zeigte sich schon vorher. Als maßgebliche Antibewegung gipfelte der vielschichtige Populismus 2016 in der Wahl Donald Trumps und in der Entscheidung der britischen Mehrheit für den Brexit. Populismus bedeute den „Schrei der Völker, die nicht sterben wollen“, so der französische Politiker Philippe de Villiers. Weiter kann man konstatieren, dass Populismus vor allem dann virulent werde, „wenn ein Establishment den Gesellschaftsvertrag mit einem Volk mehr oder weniger aufkündigt“, so AfD-Fraktionssprecher Alexander Gauland. Der Rechtspopulismus, der seine Kritik an der Globalisierung weltweit vertritt, ist der schärfste Gegner einer neuen Weltordnung, die auf den Pfeilern Antirassismus, Gendermainstreaming, Feminismus und so fort beruhen soll. Diese Ziele werden von einer mächtigen europäischen Elite und dem Hauptstrom ihrer Helfer in den Medien verfochten.
Nach Trumps Abwahl (unter welchen Umständen auch immer) und den Möglichkeiten, die die aktuelle Krise bietet, werden die Karten neu gemischt. Der neue US-Präsident hat indirekt schon angekündigt, dass die USA wieder den Weltpolizisten spielen wollen. „World first“ hört sich zumindest gut an, die Entwürfe hinter solchen Parolen sind es freilich weniger. Die Globalisten wissen, dass ihre Antipoden augenblicklich schwächeln. Debatten über eine Neue Weltordnung nehmen deshalb nicht zufällig weiter Fahrt auf. Psychologisch könnte die Situation zum Losschlagen kaum besser sein. Nicht nur der superreiche Rockefeller sah schon vor über einem Vierteljahrhundert voraus, dass ohne nachhaltige Zäsur die Notwendigkeit für eine „große Transformation“ nicht einleuchte. Dass die sukzessive Entmachtung der Staaten ohne Gewalt vor sich gehen kann, glauben auch die Verfechter wohlklingender Schlagworte nicht.
So ist nicht erstaunlich, dass der UN-Generalsekretär kürzlich seine Stimme erhoben hat. António Guterres sprach unlängst von der Unausweichlichkeit eines „Great Reset“. Weitreichende Reformen sollen die offenkundigen Ungerechtigkeiten beseitigen. Ärmere Staaten bedürften einer stärkeren Beteiligung an weitreichenden Entscheidungen. Folgender Satz ragt aus seiner Grundsatzrede heraus: „Ein neues Modell für globale Regierungsführung muss auf einer vollständigen, integrativen und gleichberechtigten Beteiligung an globalen Institutionen beruhen.“ Statt des Zieles einer Weltregierung spricht er von „globaler Regierungsführung“. Welche Institution (dem Portugiesen zufolge) die Welt regieren soll, liegt auf der Hand. Weiter will er vermeintlich Marginalisierte, besonders Frauen und Farbige, in die geplanten Neustrukturierungen einbeziehen. Dass sich eine Sonderorganisation der UN, die WHO, beim Kampf gegen die Ausbreitung von Covid-19 nicht mit Ruhm bekleckert hat, verschwieg Guterres. Er weiß wohl, dass die führenden Entscheider nicht nachtragend sein werden. Schließlich steht das Kürzel WHO ja für internationale Zusammenarbeit auf dem Gesundheitssektor, und die ist nicht nur in Merkels Perspektive immer nur positiv! Die von den Eliten erhoffte Neuausrichtung wurde unlängst auch vom Gründer des Weltwirtschaftsforums, Klaus Schwab, in dem Buch „COVID-19: The Great Reset“ (verfasst zusammen mit Thierry Malleret) thematisiert. Der Schrift mangelt es an Tiefgang; sie zeigt aber in diffuser Weise die Grundrichtung jener auf, die ihre Umverteilungsideologie mit allerlei Phrasen – von Klimagerechtigkeit bis Egalisierungsplänen aller Art – verdecken wollen.
2021 treffen sich wieder die Mitglieder des einflussreichen Davoser Wirtschaftsforums. „Stakeholder-Kapitalismus“ wird dort großgeschrieben werden und hört sich besser an als die Shareholder-Variante. Er findet über den Kreis der Superreichen hinaus Lob. Die Fassade von großer sozialer Sensibilität und beispielhafter Uneigennützigkeit lässt sich im Rahmen dieser Akzentverschiebung besser aufrechterhalten. Der „Gastgeber der Mächtigen“ (Jürgen Dunsch) Schwab hat auch keine Probleme, andere global agierende Bewegungen wie Gretas Klimajünger und LGBTQ-Aktivisten in die Veranstaltung zu integrieren. So ist man sicher auf der Höhe der Zeit. Schließlich braucht der „Great Reset“ eine breite Basis und mediale Unterstützung. Die bunte Truppe hat man – in Anlehnung an Oswald Spengler – als neue Spielart des alten „Milliardärssozialismus“ (David Engels) genannt. Die Schönen und Reichen benötigen für die Umsetzung ihrer Weltverbesserungs-Konzeptionen Legitimation.
Wenn man Schwabs Buch über die „Vierte Industrielle Revolution“ gelesen hat, weiß man, dass er nicht nur auf das Big Business blickt, sondern primär auf technische Grundtendenzen der Epoche: Roboterisierung, KI, Transhumanismus, Digitalisierung und Automatisierung sind (neben anderen) Entwicklungen, die für einen erheblichen Teil wenigstens der Gering -oder Mittelqualifizierten nachhaltige Auswirkungen haben dürften. Zu den Konsequenzen für die arbeitsmarktorganisatorisch im Grunde genommen Überflüssigen zählen planwirtschaftliche Brot-und-Spiele-Vergnügungen für die Massen. Ob und wie sich solche Prozesse auf globaler Ebene managen lassen, bleibt abzuwarten.
Theoretiker werden sich Gedanken darüber machen, ob wir diesmal am „Ende der Geschichte“ (Francis Fukuyama) stehen. Sicher ist, dass sich das Rad der Historie eher ins späte römische Reich zurückdrehen lässt als in die marktwirtschaftliche Aufbruchszeit der Jahrzehnte vor 1989. Jedenfalls wird Langeweile wohl um sich greifen. Naheliegend ist es, sich an Nietzsches „letzten Menschen“ zu erinnern. Brot-und-Spiele-Zerstreuung ist durch staatliche Zuwendungen zu realisieren. Sie fallen aufgrund des faktischen Nullzinses umso leichter. Der mild-großzügige Leviathan hat in Corona-Zeiten schon Routine erwerben können im Öffnen finanzieller Schleusen.
Manche verweisen auf das japanische „Erfolgsmodell“, das bei genauerer Betrachtung jedoch keines ist. Die Bank of Japan demonstriert schon seit drei Jahrzehnten, welche Folgen sich ergeben, wenn es gelingt, die „Dose weiterhin die Straße hinabtreten zu können“ (Markus Krall): noch stärkere Zombisierung der Wirtschaft als in Europa, größere Immobilienblasen, schrumpfendes Pro-Kopf-Einkommen, demographische Krise und viele weitere negative Tendenzen. Der Blaupause-Charakter für die Europäische Zentralbank ist trotz dieser Misserfolge offenkundig. Der Mittelstand verschwindet immer mehr, weil sich schwer begründen lässt, warum man für das malochen soll, was man leicht auch ohne Arbeit haben kann. Das Modell ist attraktiv, es bringt leider mehr Nach- als Vorteile. Auch auf dieser Ebene ist die Anziehungskraft des Geldsozialismus eher verblüffend. Die Globalisten haben einiges zu bieten. Eines vertreten sie ganz sicher aber nicht: die Freiheit, Unabhängigkeit und demokratische Herrschaft der Völker. Diese werden sich an ihre Ohnmacht gegenüber dem fast allmächtigen Regiment, das alles vorschreibt, nur schwer gewöhnen können. Der UN-Migrationspakt und die Umverteilungsorgie des Green New Deal sind nur ein erster Vorgeschmack auf das künftige Weltregime.
Gastbeiträge geben immer die Meinung des Autors wieder, nicht meine. Ich schätze meine Leser als erwachsene Menschen und will ihnen unterschiedliche Blickwinkel bieten, damit sie sich selbst eine Meinung bilden können.
Professor Dr. Felix Dirsch lehrt Politische Theorie und Philosophie. Er ist Autor diverser Publikationen, u.a. von “Nation, Europa, Christenheit” und “Rechtes Christentum“. Dirsch kritisiert unter anderem den Einfluss der 68er-Generation und der „politischen Korrektheit“.
2020 erschienen die Bücher: „Die Stimmen der Opfer. Zitatelexikon der deutschsprachigen jüdischen Zeitzeugen zum Thema: Die Deutschen und Hitlers Judenpolitik“ (zusammen mit Konrad Löw) und „Rechtskatholizismus. Vertreter und geschichtliche Grundlinien. Ein typologischer Überblick“.
Bild: OSORIOartist/Shutterstock
Text: gast
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