Von Kai Rebmann
Ob Christian-Dietrich Grabbe (1801–1836) gewusst hat, was nicht-binäre Geschlechtsneutralität ist? Und auch, ob sich der deutsche Dichter eher als Mann oder Frau definiert hat – oder sich diese Frage überhaupt jemals gestellt hat, – ist nicht überliefert. Sicher ist auf jeden Fall, dass in Detmold (Nordrhein-Westfalen) ein Gymnasium nach einem der berühmtesten Söhne der Stadt benannt wurde. Und eben diese Schule sorgt jetzt mit einer Neuerung für Furore, die als so wichtig erachtet wird, dass sie einen prominenten Platz auf der Startseite der Homepage der Einrichtung bekommen hat. Wo andere Schulen über Bildungsangebote informieren, weist das Christian-Dietrich-Grabbe-Gymnasium stolz auf seine neuen Unisex-Toiletten hin. Das Rektorat gibt bekannt: „Seit gestern ist die Toilettenanlage auf der 300er-Ebene im Neubau nicht mehr binär aufgeteilt in ‚Damen/Mädchen‘ und ‚Herren/Jungen‘, sondern beide Toilettenräumlichkeiten sind nun für alle Geschlechter gleichermaßen geöffnet. Vor dem unverkennbaren Grün unserer Neubautüren prangen neue Schilder, die die Vielfalt und Offenheit ausdrücken, die wir mit dieser Neuerung an unserer Schule unterstützen und fördern wollen.“
Dabei beschränkt sich die Gastfreundschaft auf den Unisex-Toiletten in Detmold aber keineswegs nur auf Männlein und Weiblein. Nein, am Christian-Dietrich-Grabbe-Gymnasium ist man seiner Zeit weit voraus. Unter der englischsprachigen Aufschrift „Unisex Toilet“ informiert eine grafische Darstellung darüber, wer das geschlechtsneutrale Klo für seine Notdurft benutzen darf. Neben binären und nicht-binären Menschen wird unter anderem auch Meerjungfrauen, Außerirdischen und sogar Robotern Einlass gewährt. Einhörner sind hingegen nicht aufgeführt, diese werden wahrscheinlich gebeten, das stille Örtchen eine Etage höher aufzusuchen.
Weiter heißt es: „Die Unisex-Toiletten stehen, wie der Name aussagt, allen Schüler:innen (Zitat) offen. Die anderen Toilettenanlagen unserer Schule (Altbau, E-Bau, Neubau-Schulhof, Betreuung/Mensa sowie die Anlagen in den Turnhallen) sind unverändert getrennt zu nutzen.“ An dieser Stelle ist der Schulleitung ein Fauxpas unterlaufen, über den sie sich selbst sicher am meisten ärgert. Denn: Dieses Handeln ist schlicht inkonsequent. Wie will man es rechtfertigen, dass sich die Schüler der im Altbau untergebrachten Klassen entscheiden müssen, ob sie Mädchen oder Junge sein wollen, während ihre Altersgenossen im Neubau diesbezüglich freie Wahl haben? Dass eine derartige Diskriminierung im Jahr 2022 an einem deutschen Gymnasium noch möglich ist, sollte zu denken geben und muss als zutiefst verstörend empfunden werden.
NRW-Schulen nicht auf Höhe der Zeit
Und überhaupt scheinen die Schulen in NRW in dieser Hinsicht noch in der Steinzeit zu leben. Die „Toilette für alle“ sei im Westen noch „eher selten“, klagt etwa die „Neue Westfälische“. Toiletten für „Jugendliche, die sich weder eindeutig als Frau noch als Mann fühlen“, gebe es zum Beispiel in Köln, Essen, Düsseldorf und Troisdorf, nennt das Blatt einige Städte, die Pionierarbeit leisten. Der Mangel an Unisex-Toiletten an den Schulen in NRW stößt offenbar auch Laura Körner bitter auf. Das Mitglied der Landesschülervertretung moniert, dass den Jugendlichen in der Schule beigebracht wird, „dass die Unterscheidung in nur zwei Geschlechter für das gesellschaftliche Leben notwendig“ sei.
Ja, was denn nun? Einerseits will man sich nicht auf „nur zwei Geschlechter“ reduzieren lassen, andererseits wird gleichzeitig der „Unisex-Toilette“ das Wort geredet? Und Körner meint es offenbar ernst, wenn sie sagt, dass es die Aufgabe der Schulen sei, „Jugendliche darin zu unterstützen, sich selber zu entdecken, und eine solche erzwungene Kategorisierung [das Vorhandensein von binären Klos] bewirkt das genaue Gegenteil.“ Da muss man ja direkt froh sein, in einer anderen Zeit geboren worden und zur Schule gegangen zu sein. Soll man sich angesichts solch gravierender Verschiebungen der Prioritäten wirklich noch über den offensichtlichen Bildungsnotstand in Deutschland wundern?
Aber eines muss man den Schulen und Leuten wie Laura Körner lassen. Sie sind wenigstens ehrlich und machen aus ihrem woken Herzen keine Mördergrube. Ganz anders sieht es dagegen bei einer Grund- und Werkrealschule in Ulm (Baden-Württemberg) aus. Dort muss sich Cornelia Euchner, Leiterin der Sägefeldschule, in Scheinargumente flüchten und diese auch noch an den Haaren herbeiziehen. Auch an der Donau gibt es inzwischen eine Unisex-Toilette. Warum das so ist, begründet Euchner allen Ernstes mit dem „desolaten Zustand“ der bisherigen Klos. Das (binäre) stille Örtchen sei ständig beschädigt worden, da es auf dem Schulhof gelegen habe und deshalb auch für Fremde zugänglich gewesen sei. Die neuen Unisex-Toiletten seien hingegen im Neubau untergebracht, so dass diese nur noch durch die Schüler benutzt werden können.
Offenbar war in Ulm explizit die Schulleitung die treibende Kraft hinter der Schaffung von Unisex-Toiletten. Weshalb gemischte Klos ein Problem sind, muss sich Rektorin Cornelia Euchner von Mona aus der 7a erklären lassen. Das Mädchen habe sich die „Toilette für alle“ anders vorgestellt. Inzwischen habe sich die Schülerin aber daran gewöhnt, „dass Jungs mit im Raum“ sind. Naja, viel mehr wird den Mädchen auch nicht übrigbleiben, wenn es an deutschen Schulen nur noch Unisex-Toiletten gibt…
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Kai Rebmann ist Publizist und Verleger. Er leitet einen Verlag und betreibt einen eigenen Blog.
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