Von Alexander Wallasch
Wer heute auf Christian Lindner schaut, der reibt sich ein ums andere Mal die Augen: Da agiert 2021 ein FDP-Chef, als hätte es den Wahlkampf 2017 nie gegeben und auch nicht die gescheiterten Jamaika-Verhandlungen. Eine Erinnerung:
Christian Lindner wurde im Wahlkampf 2017 vom Wunsch eines Wiedereinzugs der FDP in den Bundestag getrieben, 2013 war man nämlich fast punktgleich mit der AfD knapp unterhalb der Fünfprozenthürde gescheitert.
Gegenüber dem Deutschlandfunk sagte der Parteichef der FDP dann Mitte Dezember 2016 selbstbewusst, unter welchen Bedingungen sich die FDP eine Regierungsbeteiligung nach der Bundestagswahl 2017 in einem Bündnis mit der Union (!) noch vorstellen könne:
„Wir treten nur dann in eine Regierung ein, wenn wir auch tatsächlich liberale Projekte umsetzen können, und wenn das nicht möglich ist, wenn die nur auf dem Papier stehen und wenn die nicht realisiert werden, wenn das nicht möglich ist, dann ist es ja umso notwendiger, dass man aus der Opposition heraus die richtigen Argumente wenigstens in die Debatte einbringt.“
Und Lindner erklärte, was er demgegenüber unter Rot-Rot-Grün befürchte: „Eine bevormundende Politik, die unsere wirtschaftlichen Kräfte vor allen Dingen bremsen möchte, die verteilen möchte…“
Auch was der FDP-Alleinunterhalter von einer Zusammenarbeit mit den Grünen hielt, machte er unmissverständlich deutlich:
„Sie können in diesem Jahr am Beispiel Baden-Württemberg ablesen, dass wir auch danach handeln. Dort hat die FDP ja den Sirenenklängen von Herrn Kretschmann nicht nachgegeben.“
Seine FDP hätte im Gegenteil sehr klare Vorstellungen, so Lindner weiter, „was in unserem Land sich verändern muss“. An erster Stelle nannte der oberste deutsche Liberale Mitte Dezember 2016 noch die Durchsetzung des Rechtsstaates.
Vor der Wahl 2017 wollte Lindner nur dann in eine Regierung eintreten, „wenn es eine Veränderung der Politik in Europa gibt“. Die Marktwirtschaft solle nicht länger deformiert und die dramatische Umverteilung zwischen Staat und Privat oder von Bürgern zu Staat beendet werden.
Am 20. November 2017 wurde Lindners Rede zum Abbruch der Jamaika-Verhandlungen in der Zeit abgedruckt und ein Zitat aus dieser Rede als Überschrift vorangestellt: „Es ist besser, nicht zu regieren, als falsch zu regieren.“
In der bemerkenswerten Rede heißt es: „Mit knapp elf Prozent kann man nicht den Kurs einer ganzen Republik diktieren.“ Und der Liberalen-Chef erklärte damals auch die bereits getroffenen Kompromisse mit den Koalitionspartnern aus Union und Grünen für gescheitert: „Und dort, wo es Übereinkünfte gibt, sind diese Übereinkünfte erkauft mit viel Geld der Bürger oder mit Formelkompromissen.“
Unter anderem gab Lindner in seiner Rede zu Protokoll, dass Jamaika auch deshalb gescheitert sei, weil kein Bestreben hin zu einer „geordneten Einwanderungspolitik“ erkennbar gewesen sei.
2017 meinte Christian Lindner im Brustton der Überzeugung, die FDP könne den Geist des Sondierungspapiers „nicht verantworten, viele der diskutierten Maßnahmen halten wir sogar für schädlich“.
Demgegenüber entlarvend ist das Sondierungspapier der Ampel 2021. Wehe, es könnte jemand, jedenfalls was die FDP angeht, auf die Idee kommen, einmal beide Entwürfe nebeneinander zu legen.
Würde man hier dieselben Maßstäbe ansetzen, die Christian Lindner 2017 für die FDP so kühn und mit roten Wangen formulierte, der Liberale hätte nicht einmal den kleinen Zeh in die Ampel-Verhandlungen stellen dürfen.
2017 sagte der Parteichef der FDP mit stolzgeschwellter Brust, man hätte die Jamaika-Regierungsbeteiligung abgelehnt, weil man ansonsten gezwungen gewesen wäre, die Grundsätze der FDP aufzugeben „und all das, wofür wir Jahre gearbeitet haben“.
Aber woraufhin hat die FDP dann in der vergangenen Legislatur von 2017 bis 2021 zugearbeitet? Hängen geblieben ist dem Beobachter hier nur der Eindruck, die Partei von Walter Scheel und Hans-Dietrich Genscher hätte um sich herum einen Kokon gewebt mit einer besonders dichten Wand hinüber zur AfD.
Nicht die Regierungsarbeit war hier Hauptziel der Kritik, wie es einer Oppositionspartei eigentlich ins Aufgabenbuch geschrieben wurde. Nein, die FDP unter Christian Lindner arbeitete sich daran ab, sich immer wieder neu vom Oppositionsführer im Deutschen Bundestag abzugrenzen.
Nicht weniger entstand da als ein vier Jahre andauerndes Empfehlungsschreiben für eine Koalition – mit wem auch immer aus dem Kreis der etablierten Parteien. Oppositionsarbeit also in seiner passivsten und anbiederndsten Art und Weise.
Ironie der Geschichte allenfalls, dass die FDP den Wiedereinzug vor allem als eine „AfD Light“ schaffte mit jenen Themen, welche die Partei von Gauland und Weidel groß gemacht hat. Der zögerliche AfD-Wähler entschied sich dann eben für die FDP als eine AfD mit weißer Weste – gezielt darauf setzte der für die FDP so erfolgreiche Wahlkampf von Christian Lindner 2017.
Eine gut aufgestellte europäische Grenzpolizei forderte Christian Lindner auf dem Dreikönigstreffen der FDP Anfang Januar 2016: „Europa kann nicht bei seinen vitalen Interessen immer nur mit dem Finger auf andere zeigen, für unsere Zukunft müssen wir auch wieder gemeinsame Verantwortung übernehmen.“
2021 will diese FDP mit einer grünen Partei koalieren, die – um nur ein Beispiel zu nennen – private sogenannte Seenotretter dauerhaft subventionieren will, ebenso wie eine linksextremistische Antifa, die allerdings ebenfalls schon aktiv bei der Seenotrettung mitmischt.
Das sind die neuen Wunsch-Verbündeten der FDP: Grüne, die sich mit Radikalen und Extremisten zusammentun und die eine europäische Grenzsicherung einzig und allein folgendermaßen verstehen: als Asylantragsannahmestelle an den Außengrenzen der Gemeinschaft.
Jedwede konventionelle Form der EU-Grenzsicherung und Abweisung von illegalen Migranten steht unter Generalverdacht, inhuman zu sein, wird als sogenannter „Pushback“ gebrandmarkt – auch die Sprache speist sich hier aus der Ideologie.
Ja doch, der Parteichef der FDP hat in der Stunde persönlicher Größe tatsächlich einmal einen wichtigen Satz gesagt. Einen Satz, den er leider längst wieder vergessen hat, zu lang die Finger und zu süß der Honigtopf: „Es ist besser, nicht zu regieren, als falsch zu regieren.“
Die Corona-Maßnahmen haben unzählige Menschen extrem hart getroffen. Sie haben viele Existenzen gefährdet und vernichtet. Ich möchte Menschen, die betroffen sind, helfen – und veröffentliche deshalb auf meiner Seite Reklame von ihnen. Mit der Bitte an meine Leser, sie wohlwollend zu betrachten.
Namentlich gekennzeichnete Beiträge geben immer die Meinung des Autors wieder, nicht meine.
Alexander Wallasch ist gebürtiger Braunschweiger und betreibt den Blog alexander-wallasch.de. Er schrieb schon früh und regelmäßig Kolumnen für Szene-Magazine. Wallasch war 14 Jahre als Texter für eine Agentur für Automotive tätig – zuletzt u. a. als Cheftexter für ein Volkswagen-Magazin. Über „Deutscher Sohn“, den Afghanistan-Heimkehrerroman von Alexander Wallasch (mit Ingo Niermann), schrieb die Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung: „Das Ergebnis ist eine streng gefügte Prosa, die das kosmopolitische Erbe der Klassik neu durchdenkt. Ein glasklarer Antihysterisierungsroman, unterwegs im deutschen Verdrängten.“ Seit August ist Wallasch Mitglied im „Team Reitschuster“.
Bild: Screenshot Youtube Pressestatement von Christian Lindner am 18.10.2021Text: wal
mehr von Alexander Wallasch auf reitschuster.de
Von Alexander Wallasch.