Von Kai Rebmann
Was die EU unter Freiheit ihrer Bürger versteht, macht die aktuelle Debatte um die sogenannte Chatkontrolle von Messengerdiensten wie WhatsApp oder Signal deutlich. In diesem Zusammenhang fällt auch immer wieder der Begriff „Upload-Moderation“. Zunächst wollte Brüssel mit diesem Instrument sämtliche Inhalte ausspähen und auf strafrechtliche Relevanz überprüfen – mittels eines KI-basierten Filters und ausdrücklich auch ohne jeden Anfangsverdacht.
Nachdem sich relativ schnell abzeichnete, dass die bisherigen Versionen nicht beschlussfähig sein würden, ruderte die EU-Kommission etwas zurück und unterbreitete zuletzt einen Kompromissvorschlag. Jetzt sollen „nur“ noch Bilder und Videos aller Nutzer durchleuchtet werden, Texte und Audio-Nachrichten hingegen nicht mehr. Von der KI als verdächtig eingestufte Inhalte würden dann umgehend bei Europol gemeldet werden.
Zu den größten und wichtigsten Gegnern der Chatkontrolle in ihrer ursprünglich angedachten Form gehörten Deutschland, Frankreich und Polen. In diesen Ländern leben mindestens 35 Prozent der EU-Bürger, der Hürde also, die unter anderem für eine Sperrminorität im EU-Rat notwendig ist. Der hierfür ebenfalls benötigte vierte EU-Mitgliedsstaat sollte unter einer Reihe weiterer kleinerer Länder ohne weiteres zu finden sein.
Knickt Frankreich ein?
Vordergründig soll das neue Gesetz dem Schutz vor Kindesmissbrauch dienen, insbesondere dem sogenannten „Grooming“. Hierbei bahnen Erwachsene über das Internet oder Messengerdienste verbotene Kontakte zu Minderjährigen an. Doch selbst der Juristische Dienst der EU-Staaten hat erhebliche Bedenken gegen die massenhafte und anlasslose Überwachung aller Nutzer angemeldet – und zwar sowohl in der ursprünglich geplanten als auch der abgeschwächten Version.
Das Branchenportal „netzpolitik.org“ zitiert aus einer entsprechenden Stellungnahme: „Das juristische Problem seien nicht Schutzklauseln, Identifizierungsmöglichkeiten oder ähnliches, sondern der Zugriff auf Kommunikation ohne Anfangsverdacht.“ Daran ändert auch die Tatsache nichts, dass die Zustimmung zur sogenannten „Upload-Moderation“ der Freiwilligkeit der Nutzer unterliegt, jedenfalls in dem Sinne, wie der Begriff der „Freiwilligkeit“ von der EU-Kommission definiert wird.
Denn eine Ablehnung der Klausel ginge mit einer eingeschränkten Nutzbarkeit einher, die gewünschten Inhalte könnten nicht kommuniziert werden. Von einer Zustimmung „aus freien Stücken“ könne also keine Rede sein, wie die EU-Juristen zu Bedenken geben: „Wenn die Nutzbarkeit aller Funktionen aber von dieser Zustimmung abhinge, sei diese eben nicht komplett frei und eine Gültigkeit zu bezweifeln.“ Unter dem Strich wird die Chatkontrolle mit Upload-Moderation daher als „rechtswidrig“ und vor Gerichten als kaum haltbar angesehen.
Dessen ungeachtet deuten sich erste Risse in der Brandmauer für Datenschutz und Privatsphäre an. Frankreich stehe dem von der EU-Ratspräsidentschaft aus Belgien unterbreiteten Vorschlag nun „deutlich positiver gegenüber“ und wolle „gerne zur Kompromissfindung beitragen“, wie es heißt. Sollte Paris die Seiten wechseln, wäre es damit wohl auch um die Sperrminorität geschehen, denn mit Ländern wie Luxemburg oder Estland ließe sich die dadurch entstehende Lücke kaum füllen.
Signal erwägt Rückzug aus der EU
Als erster großer Anbieter hat Signal für den Falle eines Falles mit weitreichenden Konsequenzen gedroht. Meredith Whittaker, die Vorsitzende des Messengerdienstes, erklärte via X, dass man weiter fest „an der Seite der Menschen in Europa und deren Recht auf Privatsphäre“ stehe, ganz unabhängig davon, „was auch immer die [EU-]Kommission tut“. Signal werde sich nicht an ein Gesetz halten, „das unsere Datenschutzgarantien untergräbt“, stellt Whittaker klar.
Mit Urteil vom 13. Februar 2024 hat der Europäische Gerichtshof bereits verkündet, dass er eine Chatkontrolle bei Messengerdiensten für „menschenrechtswidrig“ hält. Dabei war es um eine Schwächung der sicheren E2E-Encyrption (Ende-zu-Ende-Verschlüsselung) gegangen. Im konkreten Fall hatte Russland von Telegram die Entschlüsselung entsprechender Nachrichten eines Nutzers (Anton Podchasov) verlangt.
Die Richter kamen jedoch zu der Auffassung, dass dies die Meinungsfreiheit untergraben und eine Hintertür für die wahllose Überwachung unschuldiger Nutzer durch Hacker, Identitätsdiebe und nicht zuletzt auch Staaten öffnen würde. Und was vor wenigen Monaten noch für Russland galt, das sollte in Zukunft dann doch auch für die EU und ihre Mitgliedsstaaten gelten.
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Kai Rebmann ist Publizist und Verleger. Er leitet einen Verlag und betreibt einen eigenen Blog.
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