Von Kai Rebmann
Am Dienstag treffen sich die Energieminister der EU-Mitgliedsstaaten in Brüssel, um über die Folgen eines möglichen Lieferstopps von russischem Gas zu beraten. Für Deutschland wird Robert Habeck (Grüne) am Tisch sitzen und zusammen mit EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen versuchen, seine Amtskollegen von einem Sparzwang beim Gas zu überzeugen. Geht es nach Willen der EU-Kommission, so sollen die Mitgliedsstaaten ihren Gasverbrauch ab dem 1. August 2022 bis zum 31. März 2023 „freiwillig“ um mindestens 15 Prozent verringern. Als Richtwert soll dabei die im Durchschnitt der vergangenen fünf Jahre während dieses Zeitraums verbrauchte Menge gelten. Aber die EU wäre nicht die EU, wenn von der Leyen nicht betonen würde, dass die Drosselung des Gasverbrauchs in den einzelnen Ländern notfalls auch „angeordnet werden“ könne.
Und genau an diesem Punkt scheinen Brüssel und Berlin ziemlich allein dazustehen. Frankreichs Energieministerin Agnès Pannier-Runacher teilte mit, dass es keine Grundlage gebe, auf der die EU-Kommission derartige Einsparungen ohne vorherige Konsultation der Mitgliedsstaaten verordnen könne. Ähnliche Töne kommen auch von der Iberischen Halbinsel. João Galamba, der portugiesische Staatssekretär für Energie und Umwelt, sagte, dass sein Land nicht bereit sei, irgendwelche Vorgaben aus Brüssel zu erfüllen, ohne vorher gefragt worden zu sein. Und Spaniens Energieministerin Teresa Ribera positionierte sich schon wenige Stunden nach Bekanntwerden der EU-Pläne sehr deutlich: „Wir können doch keine Opfer bringen, über die wir nicht gefragt worden sind.“ In Richtung ihres deutschen Amtskollegen schob Ribera nach: „Im Gegensatz zu anderen Ländern haben wir Spanier beim Energieverbrauch nicht über unsere Verhältnisse gelebt.“
16 Jahre Merkel haben Deutschland in Abhängigkeit von Russland geführt
Auch weitere Länder wie Griechenland, Polen, Ungarn oder Zypern äußerten wenig Sympathie für den von der EU geforderten Sparzwang beim Gas. Polens Energiebeauftragter Piotr Naimski verwies gegenüber der Nachrichtenagentur Reuters auf nahezu vollständig gefüllte Gasspeicher und Energieministerin Anna Moskwa betonte, dass Polen zwar jederzeit für das Solidaritätsprinzip einstehe, die Energiesicherheit des eigenen Landes aber „absoluten Vorrang“ habe. Ungarn ging sogar noch einen Schritt weiter und schickte seinen Außenminister Peter Szijjártó nach Moskau, um mit dessen Amtskollegen Sergej Lawrow über zusätzliche Gaslieferungen zu verhandeln. Zudem hat die Regierung in Budapest ein sofortiges Exportverbot für Gas verhängt. Als eines der wenigen Länder in der EU ist Ungarn vom russischen Gas noch abhängiger als Deutschland.
Dabei ist es keineswegs so, dass die drohende Gasknappheit wie eine Naturgewalt über Deutschland hereingebrochen wäre. Der von Ex-Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) und ihren jeweiligen Regierungen betriebene Kuschelkurs mit Moskau beinhaltete ausdrücklich auch die Inkaufnahme einer sehr hohen Energieabhängigkeit von Russland. Auch Warnschüsse wie jener von Donald Trump verhallten nicht nur ungehört, sondern sorgten bei deutschen Spitzenpolitikern sogar für Kopfschütteln und Stirnrunzeln. Im September 2018 warnte der damalige US-Präsident bei der UN-Vollversammlung: „Deutschland wird vollkommen abhängig von russischer Energie werden, wenn es nicht sofort seinen Kurs ändert.“ Für diesen Satz musste sich Donald Trump vom damaligen Bundesaußenminister Heiko Maas (SPD) noch auslachen lassen. Vor der versammelten Weltpresse sagte Maas damals: „Es gibt keine Abhängigkeit Deutschlands von Russland, schon gar nicht in Energiefragen.“ Das Lachen dürfte dem Außenminister im Ruhestand inzwischen gründlich vergangen sein.
Gasexporte aus Deutschland nehmen weiter zu
Andererseits muss die Frage gestellt werden, wie groß die Sorge vor einer Gaskrise in Deutschland bei unseren Politikern tatsächlich ist. Während Länder wie Ungarn überhaupt kein Gas mehr exportieren, scheint sich die Bundesregierung in der Lage zu sehen, die Ausfuhrmengen für den kostbaren Rohstoff immer weiter zu erhöhen. Laut den Anfang vergangener Woche vom Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle (BAFA) veröffentlichten Zahlen hat Deutschland im Mai 2022 so viel Gas exportiert wie in kaum einem anderen Monat in diesem Jahr, und zwar genau 125.105 Terajoule (TJ). Nur im Februar lag dieser Wert mit 128.812 TJ geringfügig höher.
Wohlwissend, dass ihre Pläne zum verordneten Energiesparen in den EU-Mitgliedsstaaten derzeit auf wenig Gegenliebe stoßen, richtet sich Ursula von der Leyen vor Beginn des Gipfels in Brüssel mit einem Appell an die Solidaritätsverweigerer: „Auch Mitgliedsstaaten, die kaum russisches Gas beziehen, können sich den Folgen eines möglichen Lieferstopps in unserem Binnenmarkt nicht entziehen. Deshalb ist es wichtig, dass alle Mitgliedsstaaten die Nachfrage drosseln, dass alle mehr speichern und mit denjenigen Mitgliedern teilen, die stärker betroffen sind.“ Womöglich gäbe es für die Pläne von Robert Habeck und Ursula von der Leyen etwas mehr Unterstützung, wenn aus Berlin auch einmal Worte des Bedauerns zu hören wären, dass man sich in den vergangenen Jahren sehenden Auges und im Gegensatz zu vielen seiner Nachbarn eben doch in die Energieabhängigkeit von Russland begeben hat.
Ob in Sachen Energiesparen letztlich alle Mitgliedsstaaten in Geiselhaft genommen werden können, hängt auch vom Votum der EU-Energieminister ab. Grundsätzlich müssen zunächst so viele Regierungen zustimmen, die mindestens 65 Prozent der EU-Gesamtbevölkerung vertreten, oder mindestens 55 Prozent der EU-Länder, sprich 15 von 27. Beide Mehrheiten scheinen aktuell noch in weiter Ferne zu liegen und werden, wenn überhaupt, wohl einmal mehr nur mit einer Reihe attraktiver Zugeständnisse an die Südländer „eingekauft“ werden können.
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Kai Rebmann ist Publizist und Verleger. Er leitet einen Verlag und betreibt einen eigenen Blog.
Bild: ShutterstockText: kr
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