„Hüte dich vor alten Männern, sie haben nichts zu verlieren“ – diesen Ausspruch von Bernard Shaw zitiert der 83-jährige Focus-Gründer Helmut Markwort im Gespräch mit mir. Und er hält sich auch daran. Er packt aus. Er warnt eindringlich vor Bayerns Ministerpräsident Markus Söder und erklärt, warum er ihn für gefährlich hält. Ohne ein Blatt vor den Mund zu nehmen. Der Mann, der einst den „Gong“ leitete, dann mit dem „Focus“ 1993 die deutsche Medienlandschaft umkrempelte und heute für die FDP im Bayerischen Landtag sitzt, klagt, wie die Tagesschau manipuliert, und erzählt Interna aus dem Landtag – warum er die CSU-Abgeordneten dort alles andere als beneidet. (Den bereits veröffentlichen ersten Teil des Interviews finden Sie hier.)
Reitschuster: Früher gab es ja auch wortgewaltige, konservative Journalisten. Wo sind die hin?
Markwort: Die gibt es schon noch. Etwa im Focus, den wir mit Erfolg gegründet und durchgesetzt haben, schreibt jede Woche Jan Fleischhauer, was ein großer Gewinn ist und was viele Leser zu schätzen wissen. Und der Markwort schreibt auch noch seit 100 Jahren jede Woche eine Seite. Das sind schon Stimmen aus der „Mitte“. In der FAZ z.B. finde ich sehr vernünftige, gute Artikel im Wirtschaftsteil, auch in der Politik. Das Feuilleton ist eher links. In der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung schreibt ein linker Kollege mit der schönen Zeile „Die lieben Kollegen“ gegen alles, was rechts von der Mitte ist. Es gibt zwar interessante Bücher über enttäuschte Redakteure, etwa von Birk Meinhardt, „Wie ich meine Zeitung verlor“ über die Süddeutsche. In der ZEIT habe ich auch gelesen von einem amerikanischen Kollegen, der sich mit der gleichen Enttäuschung von der New York Times abgewendet hat, wo Leute entlassen und gemobbt wurden, die Andersdenkende zu Wort haben kommen lassen. Ich weiß nicht, was man dagegen machen kann. Das ist der Zeitgeist.
Reitschuster: Warum sind so viele, früher eher bürgerliche Blätter, so links geworden?
Markwort: Ich habe die FAZ erwähnt. Da teilt es sich von Ressort zu Ressort. Die ZEIT dagegen ist ein gutes Beispiel für Vielfalt. Da kommen Leute zu Wort, etwa die beiden Autoren, die von der SZ und der New York Times enttäuscht sind.
Die Süddeutsche ist jedoch durchgehend tendenziös. Da muss ich als Gegengift immer die FAZ lesen.
Reitschuster: Ich dachte den Focus.
Markwort: Den Focus sowieso. Ich bin stolz darauf, dass wir den Focus gegründet und durchgesetzt haben. Ich denke noch an die Zeit, wo die veröffentlichte (nicht die öffentliche) Meinung gesagt hat „Deutschland braucht kein zweites Nachrichtenmagazin“. Und jetzt haben wir eins.
Reitschuster: Beim Focus habe ich den Eindruck, dass er nicht mehr so bürgerlich ist, wie unter Ihnen.
Markwort: Nein. Jeder Chefredakteur hat seine eigene Handschrift. Ich finde es sehr schön, dass ich da immer noch schreiben darf, und der Fleischhauer auch. Ich äußere mich nicht negativ zu meinen Nachfolgern. Es sind fleißige, begabte Leute.
Reitschuster: Heute werden nicht-linke Journalisten schnell angefeindet. Da ist man schnell als „rechts“ am Pranger, das gilt heute als identisch mit rechts-“extrem“. Wie kam es dazu, und was kann man dagegen tun?
Markwort: Früher wurde der Roland Tichy öfter zu Talkshows eingeladen, heute wird er gemieden wie die Pest. Als wäre er ansteckend. Das liegt daran, dass die Mehrheit der Auswähler von Talkshows und Nachrichten eher links ist. Ich habe diese Woche im Focus ein drastisches Beispiel geschildert, wie die Tagesschau die Gewalt von links in Leipzig kleingeredet hat. Sie haben nicht erwähnt, dass die Ursache für diese Gewalttaten die Räumung eines besetzten Hauses war. Stattdessen wurde als Auslöser die Debatte um bezahlbaren Wohnraum berichtet. Ein typisches Beispiel für Tendenz-Journalismus. Aber wenn in den Redaktionen aus eigener Überzeugung die Redakteure so handeln, wie der Herr Restle von Monitor ihnen das vordenkt, dann weiß ich gar keine Lösung. Ich bin ja selber im Rundfunkrat vom Bayerischen Rundfunk. Man will ja den Leuten keine Vorschriften machen, aber die Personalauswahl ist das Entscheidende.
Reitschuster: Hätten Sie als Journalist mit Jahrzehnten Berufserfahrung sich so eine Entwicklung früher vorstellen können?
Markwort: Ich habe das kommen sehen. Wir haben beim Focus ein schönes Beispiel für Pluralität innerhalb der Redaktion vorgelebt. Wir hatten Doris Köpf, die heute für die SPD im Landtag sitzt, wir haben einen Chefredakteur des Bayernkurier großgezogen, wir haben Boris Reitschuster der Menschheit vorgesetzt, der Klonovsky schreibt Reden für den Gauland, da hatten wir eine Vielfalt von unterschiedlichsten Positionen und Charakteren in der Redaktion.
Reitschuster: Wie gefällt es Ihnen in Ihrer neuen Rolle als Landtagsabgeordneter?
Markwort: Ich bin vor allem ein Journalist, der auch in der Politik ist. Kein Politiker, der auch Journalist ist. Ich bin dazu gekommen wie die Jungfrau zum Kind. Ich bin eingesprungen. Ich habe ja nicht im Alter von über 80 Jahren plötzlich gesagt, jetzt gehe ich in die Politik. Die FDP in München-Land hatte ein Drama. Ihr Kandidat ist zur CSU übergetreten. Da war große Not in der Partei. Da fiel jemandem ein, der alte Markwort ist ja ein Liberaler, und er rief mich an, in der Not. Da bin ich eingesprungen für die Partei. Was ihr auch gut getan hat. Mit Hilfe des guten bayerischen Wahlsystems bin ich von Platz 16 auf Platz 2 vorgewählt worden. Jetzt bin ich der wahrscheinlich älteste Abgeordnete in Deutschland. Ich halte es mit dem Spruch von Bernard Shaw: „Hüte dich vor alten Männern, sie haben nichts zu verlieren.“ Immerhin repräsentiere ich die Generation der über 80-Jährigen. Das sind 5,5 Millionen und werden täglich mehr. Ich bin unabhängig von Parteitags-Beschlüssen und Juli-Tendenzen. Wir müssen etwas dagegen tun, dass der Allmachtsanspruch des Zentralisten Söder von Bayern auf ganz Deutschland übergreift. Ich arbeite nach Kräften für die freiheitliche Linie. Obwohl ich mein Leben lang mein Denken mir nie habe von Parteitagsbeschlüssen vorschreiben lassen. Aber ich war immer ein Liberaler. Und die Partei, mit der ich zu hundert Prozent übereinstimme, die besteht nur aus mir selber.
Reitschuster: Sie wünschen sich, dass Söder nicht Kanzler wird?
Markwort: Ich beobachte ihn intensiv. Er war acht, zehn Mal bei mir im Sonntagsstammtisch im BR. Da habe ich beobachtet, mit Respekt zunächst, dass er alle technischen Eigenschaften der Politik perfekt beherrscht. Er ist schnell, er ist intelligent, er kann sich anpassen, er kann sich anschaulich ausdrücken, er kapiert Stimmungen, er denkt in Bildern, das ist alles positiv. Was seinen Charakter angeht, so folge ich Horst Seehofer der ihn viel besser kennt als ich. Der sagte: Er neigt zu Schmutzeleien und maßlosem Ehrgeiz. Und wir sehen ja auch jetzt: Dass ausgerechnet er, der Föderalist Söder, aus dem oft separatistisch gesonnenen Bayern, nach einheitlichen Lösungen schreit. Und etwa die Zuschauer aus den Stadien fern halten will, obwohl zum Beispiel die Sachsen und die Sachsen-Anhaltiner sich zum Glück nicht nach ihm richten: Ich bin nicht für Söder als Kanzlerkandidat. Weil ich seine autoritäre Art nicht mag. Der schreibt ja seinen Abgeordneten bei uns im Landtag sogar vor, mit wem sie Kaffee trinken dürfen und mit wem nicht. Das ist zutiefst illiberal.
Reitschuster: Ist die Union nicht generell zu spät dran mit dem Kanzlerkandidaten?
Markwort Das glaube ich nicht. Eher ist die SPD zu früh dran. Dieser Versuch, eine rot-dunkelrote-grüne Union zu schmieden, das hat dem Olaf Scholz mal kurzfristig Aufmerksamkeit gebracht, aber es ist ja erst in einem Jahr Bundestagswahl. Wir werden sehen, wer bei der CDU gewinnt. Ich wäre für den Merz. Der muss sich dann mit Söder zusammen setzen. Der künftige Kanzlerkandidat hat das Problem, dass Merkel noch im Amt sein wird. Es ist sehr schwierig, aus dieser Position heraus zu agieren. Deshalb finde ich es klug, mit der Entscheidung noch zu warten.
Reitschuster: Sie haben gesagt, Sie lesen meine Seite. Warum?
Markwort: Ich werde Ihnen noch eine extra Empfehlung abgeben. Ich freue mich, aus meiner Bekanntschaft, Freundschaft und auch von politisch vernünftig Denkenden immer wieder zu hören, wie begeistert sie Reitschusters Veröffentlichungen folgen.
Reitschuster: Das freut mich. Und obwohl ich es im Normalfall gar nicht mag, wenn Interviewer am Ende noch etwas Persönliches hinzufügen, möchte ich es in diesem besonderen Fall machen. Sie haben in meiner Zeit als Büroleiter des Focus in Moskau immer die Hand schützend über meine Arbeit gehalten. Heute weiß ich, was so ein Rückhalt für eine große Ausnahme ist. Dafür möchte ich mich heute an dieser Stelle bedanken.
Markwort: Ich erinnere mich gern daran, wie wir beide gemeinsam Wladimir Wladimirowitsch Putin in Sotschi interviewt haben. Das war eine aufregende Sache.