Meinungsunterschiede gehören zur Demokratie. Wir hatten in meinem kleinen Team unterschiedliche Meinungen über einen Artikel aus der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ mit der Überschrift: „Das African Book Festival Berlin hat ein früheres Al-Qaida-Mitglied als Kurator berufen. Kann man den Opfern des Islamismus noch mehr ins Gesicht spucken?“
Der Kollege, den ich bat, das Thema aufzugreifen, meinte, es sei der Erwähnung nicht wert. Er schrieb: „Ich weiß nicht, ob Ihr euch einen Gefallen mit diesem Thema tut. Houbeini war in den 90er Jahren also vor ca. 25 Jahren bei der Al-Quaida. Ein Mitwirken bei den Anschlägen vom 11. September 2001 konnte ihm nie nachgewiesen werden. Selbst Obama empfahl vor vielen Jahren, die Vorwürfe endlich fallen zu lassen. Ich frage mich, ob man derart alte Sachen heute aufwärmen sollte.“
Ich sehe das anders. Und meine: Man muss sie dann aufwärmen, wenn jemand wie Houbeini gesellschaftliche Verantwortung übernehmen will. Weil ein Schweigen eine Respektlosigkeit gegenüber den Opfers islamistischen Terrors wäre.
Aber ich akzeptiere auch die Meinung des Kollegen. Und ich überlasse gerne Ihnen die Einschätzung, liebe Leserinnen und Leser.
Zum Sachverhalt: „Diese Wahl ist ein Statement. Im Januar hat der Verein InterKontinental stolz verkündet: ‘Mohamedou Ould Slahi Houbeini wird der neue Kurator des African Book Festival Berlin.‘ Der in Mauretanien geborene Autor, heißt es in der Pressemitteilung, sei bis 2016 zu Unrecht in Guantanamo inhaftiert gewesen“, schreibt die „FAZ“: „Houbeini hielt das Erlebte in ‘Das Guantanamo-Tagebuch‘ (Tropen Verlag) fest. ‘Schreiben sei für ihn ein Mittel der Revanche gegen Zensur und Unterdrückung‘, deshalb laute das Motto des diesjährigen Festivals ‘Breaking Free‘. Houbeini freue sich darauf, ‘gemeinsame und universelle Werte, widergespiegelt in der Literatur, zu präsentieren‘.“
Für den Dschihad geworben
Das Urteil der „FAZ“, das auch meinem gleicht: „Sicher, Folter ist Unrecht, Guantanamo auch. Das ändert aber nichts daran, dass ein Täter zum Opfer werden kann und umgekehrt. Tatsächlich konnte Slahi Houbeini eine Beteiligung an den Terroranschlägen vom 11. September nie nachgewiesen werden – seine Geständnisse dazu hat er unter Folter gemacht. Als gesichert gilt: Houbeini reiste 1991 von Duisburg, wo er Elektrotechnik studierte, nach Afghanistan, trainierte dort in einem Al-Qaida-Camp und schwor Osama Bin Laden den Treueeid.“ Zwischenzeitlich kehrte er demnach nach Deutschland zurück, reiste dann aber 1992 wieder aus, um unter Dschalaluddin Haqqani zu kämpfen. „Das Haqqani-Netzwerk ist ein besonders radikaler Taliban-Flügel, verantwortlich für zahlreiche Terroranschläge. Houbeini war, auch das gilt als gesichert, Anfang der Neunziger im Ruhrgebiet unterwegs, um für den Dschihad zu werben“, so die „FAZ“.
Houbeini selbst sagt, mit der zweiten Rückkehr nach Deutschland habe seine Tätigkeit für Al-Qaida geendet. Doch er bewegte sich dem Bericht zufolge „weiter in islamistischen Kreisen, pflegte den Kontakt zu seinem Vetter Abu Hafs, einem engen Berater Bin Ladens. 1999 rief ihn dieser sogar mit Bin Ladens Satellitentelefon an, was die Aufmerksamkeit der deutschen Sicherheitsbehörden erregte.“ Weiter schreibt das Blatt: „Das Al-Qaida-Trainingscamp war kein Ferienlager, und Slahi Houbeini hat dort nicht Fußball gespielt, sondern wurde an der Waffe ausgebildet.“
Das Fazit der Kollegen: „Man legt seine ideologischen Verstrickungen sicherlich auch nicht einfach ab wie einen alten Pullover. Da sind noch viele Fragen unbeantwortet. Nicht nur, was Slahi Houbeini betrifft. In Zeiten, in denen Islamisten die ganze Sahelzone in Brand stecken und die Taliban Afghanistan terrorisieren: Was, zur Hölle, hat ein Berliner Literaturfestival geritten, ausgerechnet ein ehemaliges Al-Qaida-Mitglied als Kurator zu berufen? Das ist ja nicht irgendein Job, er bedeutet gesellschaftliche Verantwortung. Man hat juristisch nichts gegen Slahi Houbeini in der Hand, auch bleibt die Gefangenschaft in Guantanamo ein Unrecht.“
Keine Kelly Family
Dieses Unrecht aber, so die „FAZ“, ändere nichts daran, dass Houbeini Al-Qaida-Mitglied war. Mitglied einer „totalitären, gewalttätigen und fanatischen“ Organisation, die sie auch damals schon war. Fast noch skandalöser als die Ernennung Houbeinis sei, „dass das alles niemanden zu stören scheint“, so die Zeitung: „Die Festivalleitung bagatellisiert. Als wäre Slahi Houbeinis Zeit bei Al-Qaida nur eine dumme Jugendsünde, etwa so wie drei Jahre Mitgliedschaft beim Fanklub der Kelly Family – also nicht der Rede wert. Was Slahi Houbeini in Afghanistan getan hat, will man lieber nicht so genau wissen. Die Opfer kommen in den Erzählungen nicht vor. Ohnehin kommen die Opfer des Islamismus kaum vor. Auch nicht im Kulturbetrieb, wo man sich – das ist wichtig und richtig – durchaus dem rechten Terror widmet, mit Lesungen, Theaterproduktionen, Ausstellungen. Doch es scheint, als habe man den Terroranschlag vom Breitscheidplatz verdrängt, als sei er nur ein Autounfall gewesen.“
Wie gesagt: Meine persönliche Meinung deckt sich weitgehend mit der geschilderten von der „Frankfurter Allgemeinen“. Bei allem Verständnis und Mitgefühl für das Unrecht, das Houbeini erlitten hat, und für das ihm auch ein Ausgleich zusteht: Für eine Vorbildrolle ist er nicht geeignet, insbesondere, da er sich nie geläutert zeigte und immer nur die Opferrolle ausspielt, aber die Täterrolle vergisst.
Aber, und damit komme ich zur Einleitung dieses Artikels zurück: Ich akzeptiere die abweichende Meinung des Kollegen dazu, ja ich respektiere sie. Ich kann sie sogar nachvollziehen. Aber deswegen muss ich sie mir nicht zu eigen machen. Und der Meinungsunterschied hat nicht die geringste Auswirkung auf unseren sehr guten persönlichen Draht. Wenn er möchte, biete ich ihm hier jeden Raum, um seine Gegenmeinung ausführlich darzulegen. Das halte ich für eine demokratische Selbstverständlichkeit.
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