Ein Gastbeitrag von Marcel Luthe, Mitglied des Abgeordnetenhauses von Berlin
„COVID-19 kostete mehr als 300.000 Lebensjahre in Deutschland“, schrieb die von mir früher einmal sehr geschätzte Frankfurter Allgemeine Zeitung unter Bezugnahme auf einen Aufsatz, der von Mitarbeitern der Bundesbehörde „Robert-Koch-Institut“ und dem Umweltbundesamt verfasst wurde.
Grundlage wissenschaftlicher Debatte sollten zunächst stets dieselben Begriffe sein. Dem wird der Aufsatz selbst insoweit gerecht, dass er sehr wohl verdeutlicht, dass er allein auf gemeldeten COVID-Fallzahlen beruht, die bereits als solche nicht differenziert werden.
Bekanntlich werden mutmaßliche COVID-Fälle in drei unterschiedlichen ICD-10-Codes erfasst, nämlich U07.1 (COVID, Virus positiv), U07.2 (COVID, Virus negativ) und U99.0 (COVID, Diagnostik in Klärung), was – wenn man wie der Aufsatz sowohl die Differenzierung der Codes als auch die Todesursache etwa durch sogenannte Vorerkrankungen außer Acht lässt – zu erheblichen Fehlinterpretationen führen mag.
Wer zum Beispiel in seinem 80. Lebensjahr Lungenkrebs im Endstadium hat und – wie 71 Prozent aller Deutschen – in einem Krankenhaus oder einem Pflegeheim verstirbt, kann gleichzeitig als COVID-Fall erfasst sein – auch bei negativem Labortest.
Warum sollte man das tun? Üblicherweise hilft es, der Spur des Geldes zu folgen: So war es bis zum 31.12.2020 so, dass die Behandlung von COVID-Patienten extrabudgetär erfolgte, also alle ärztlichen Leistungen für COVID-Patienten auch außerhalb der üblichen Vorgaben und Budgetierungen abrechnungsfähig waren.
Es bestand also ein erheblicher finanzieller Anreiz, Patienten im Zweifel als COVID-Patient zu deklarieren, auch wenn der Labortest – auf den allein Bundes- und Landesregierungen ihre „Fallzahlen“ und daraus resultierende Berechnungen abstellen und massive Grundrechtseingriffe begründen wollen – negativ ausfiel.
Dieser ökonomische Aspekt hat in dem Aufsatz naturgemäß keine Berücksichtigung gefunden. Nur nebenbei sei erwähnt, dass ein positiver PCR-Test allein keinen COVID-Fall begründen kann, die Behauptung einer epi- oder gar pandemischen Verbreitung einer Krankheit allein anhand von Testzahlen natürlich nicht nur unpräzise, sondern schlicht unwissenschaftlich ist.
Wenn der Aufsatz also bei dem von mir gewählten Beispiel des Patienten – insoweit passend gewählt, als dass nach den im Aufsatz verwendeten Daten immerhin 89,0 % aller gemeldeten verstorbenen COVID-Patienten 70 Jahre und älter waren – mit Lungenkarzinom im Endstadium die nach der Sterbetabelle durchschnittliche Lebenserwartung von weiteren 8,1 bzw. 9,6 Jahren (Männer/Frauen) für die weiteren Berechnungen zugrunde legt, liegt diese Annahme neben der Sache.
Ähnlich verhält es sich, wenn die Autoren bei lediglich erkrankten, nicht verstorbenen Personen die durch die Erkrankung verlorenen Lebensjahre zugrunde legen.
Zugleich übersehen Aufsatz und darauf basierender Artikel aber einen aus meiner Sicht deutlich gravierenderen Faktor, nämlich den absoluten Verlust an Lebensjahren durch die sogenannten Maßnahmen zur Eindämmung des Virus, die zahlreichen, ständig wechselnden und weitreichenden Verordnungen der Landesregierungen, die diese erlassen.
Hier ist zunächst zu berücksichtigen, dass etwa 82 Millionen Bundesbürger nunmehr seit etwa einem Jahr – je nachdem mehr oder weniger intensiv – ein erhebliches Maß an Lebensqualität missen müssen.
Dieser Faktor ist natürlich schwierig zu bemessen, aber selbst wenn wir nur eine Minderung um 0,5 % annehmen, beläuft sich der Verlust an Lebensjahren bundesweit auf 410.000 Lebensjahre und übertrifft damit den behaupteten COVID-Schaden erheblich.
Richtigerweise müssten wir aber sowohl den – weltweit messbaren – Anstieg der Suizide und Suizidversuche, die psychosozialen Folgen von häuslicher und sexueller Gewalt und die – sicherlich erst in ein bis zwei Jahren messbaren – Auswirkungen fehlenden Sports, der bekanntlich für die Gesunderhaltung essenziell ist, aber auch die stark eingeschränkten sozialen Kontakte und daraus resultierende Depressionen und die Effekte ausgefallener Präventionsmaßnahmen – von kardiologischen Untersuchungen bis zur Behandlung primärer Schlaganfälle – berücksichtigen, die sogenannten Kollateralschäden, über die hier viel berichtet wird.
Von der Vernichtung hunderttausender ökonomischer Existenzen und dem Lebenswerk vieler Bürger ganz zu schweigen.
Hinzu kommen noch all diejenigen, die durch die globalen ökonomischen Folgen einer provinziellen Corona-Verordnungspolitik weltweit betroffen sind. Die Weltbank taxiert den Anstieg derer, die im vergangenen Jahr in extreme Armut – Hungertod inklusive – gestürzt wurden, auf etwa 115 Millionen Menschen.
Die richtige Zeile der FAZ hätte daher lauten müssen: Über 300.000 verlorene Lebensjahre durch Corona-Maßnahmen der Landesregierungen.
Wer Verantwortung trägt, muss für die beabsichtigten wie auch die unbeabsichtigten Folgen seines Handelns einstehen, habe ich Berlins Regierendem Bürgermeister vor einem Monat im Plenum entgegengehalten.
Es wird Zeit, das nun auch zu tun und Schaden vom Volk abzuwenden – dafür sind die Ministerpräsidenten gewählt.
Gastbeiträge geben immer die Meinung des Autors wieder, nicht meine. Ich schätze meine Leser als erwachsene Menschen und will ihnen unterschiedliche Blickwinkel bieten, damit sie sich selbst eine Meinung bilden können.
Marcel Luthe gilt als Berliner Ein-Mann-Opposition. Der ehemalige FDP-Abgeordnete, der die Partei 2020 wegen „inhaltlicher Beliebigkeit“ verließ war Gründer des mit einer Million Stimmen erfolgreichen Volksentscheids „Berlin braucht Tegel“ und versteht sich als investigativer Abgeordneter, der etwa zehn Prozent aller Anfragen der 160 Berliner Abgeordneten stellt.
Im Mai erscheint sein Buch „Sanierungsfall Berlin“ über die Erkenntnisse aus vier Jahren im Parlament.
Text: Gast
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