Ein Leser, den ich seit längerer Zeit kenne, hat mir diese Woche geschrieben, dass sein Schwager aus der Ukraine nach der Einreise in Deutschland direkt am Flughafen gestoppt wurde – mit der Begründung, er sei nicht geimpft. Er muss dem Bericht zufolge nun 1.600 Euro für die eigene faktische Abschiebung bezahlen (siehe hier, vorletzter Absatz).
Ich befragte dazu heute in der Bundespressekonferenz die Bundesregierung: „Es gibt Berichte, dass Reisende aus dem Nicht-EU-Ausland an deutschen Flughäfen zurückgewiesen werden, weil sie nicht geimpft sind. Können Sie das kommentieren, und auf welcher Grundlage erfolgt die Rückweisung?“
Merkels Sprecher Steffen Seibert antwortete: „Das wäre sicherlich eine Frage für das BMI“ – also das Bundesinnenministerium.
Doch auch das wusste nichts zur Klärung des Sachverhalts beizutragen: „Ich kenne diese Medienberichte nicht. Ich kann sie von hier aus auch nicht kommentieren. An unserer Praxis für den Schutz der Außengrenzen hat sich nichts geändert.“
Auf gut Deutsch: Nichts Genaues weiß man nicht. Da ich die Frage online gestellt habe und nicht selbst in der Bundespressekonferenz war, konnte ich leider nicht nachhaken.
Wenig auskunftsfreudig zeigte sich Merkels Sprecher auch bei meiner nächsten Frage: „Mitte November 2018 traf sich die Bundeskanzlerin mit einem Restaurantbesitzer in Chemnitz, weil er nach damaligem Kenntnisstand Opfer eines rechten Brandanschlags wurde. Nun wurde das vermeintliche Opfer wegen des Verdachts der Brandstiftung in der Sache festgenommen. Verfolgt die Bundeskanzlerin den Fall? Bereut sie, mit ihrer Reaktion voreilig gewesen zu sein?“
Die Antwort Seiberts: „Ich habe das nicht zu kommentieren. Wenn es da jetzt ein juristisches Vorgehen gibt, dann muss man sich über den Sachstand erkundigen. Ich habe das hier nicht zu kommentieren. Ein Zeichen gegen Antisemitismus ist nie falsch.“
Erstens ging es aber nicht um Antisemitismus. Und zweitens könnte auch ein „Zeichen gegen Antisemitismus“ durchaus kontraproduktiv sein, wenn damit Betrüger unterstützt werden.
Lächerliche Strafen für Internet-Giganten
Auch auf meine dritte Frage war die Antwort eigentlich eher eine Nicht-Antwort: „Gegen Google/Youtube wurde vom Oberlandesgericht Dresden ein Ordnungsgeld von 100.000 Euro verhängt, weil es dessen Beschluss gegen eine Videolöschung ignorierte. Für den Konzern ist der Betrag nicht relevant. Was plant die Bundesregierung, um zu verhindern, dass Strafen für Gesetzesverstöße von Internetgiganten für diese nicht als schmerzlos verpuffen?“
Der Sprecher des Justizministeriums Leber sagte dazu: „Vielen Dank für die Frage. Wie Sie wissen, können wir aus Respekt vor der Unabhängigkeit der Justiz Gerichtsurteile nicht im Einzelnen kommentieren. Das möchte ich auch in diesem Falle so beibehalten.“
Mir ging es aber gar nicht um das Gerichtsurteil als solches in der Frage. Sondern um die prinzipielle Problematik. Und zu der sagte der Sprecher nichts.
Abendessen mit Geschmäckle
Auch mit meiner vierten Frage ging es mir nicht viel besser. Sie richtete sich an Seibert:
„Wie reagiert die Kanzlerin auf die Kritik, dieses Abendessen mit den Verfassungsrichtern erwecke den Eindruck, deren Unbefangenheit sei beeinträchtigt?“
Merkels Sprecher antwortete: „Dazu verweise ich auf meine Antwort an Herrn Vollradt.“
Sehen wir uns also diese bzw. auch die entsprechende Frage an:
„Herr Seibert, zum Abendessen der Kanzlerin mit Richtern des Bundesverfassungsgerichts: Können Sie freundlicherweise mitteilen, wann und von wem dieses regelmäßig stattfindende Institut eines gemeinsamen Abendessens der Verfassungsrichter mit dem Bundeskanzler bzw. der Bundeskanzlerin eingeführt worden ist?“
Seibert antwortete: „Nein, das kann ich aus dem Stand nicht. Ich kann sagen, dass es solche Begegnungen zwischen den beiden Verfassungsorganen Bundesregierung und Bundesverfassungsgericht meist in Form eines Abendessen 2012, 2015, 2018 und 2019 gab. Das hat also Tradition.
Ich kann noch hinzufügen, dass diese Gespräche dem allgemeinen Austausch von Gedanken und Erfahrungen dienen und dass niemals anhängige Gerichtsverfahren Gegenstand dieses Gedankenaustauschs sind. Beide Verfassungsorgane, die Bundesregierung wie auch das Bundesverfassungsgericht, sind sich ihrer hohen Verantwortung bewusst.“
Seibert verweist also auf eine vorherige Antwort, die sich aber allenfalls am Rande mit meiner Frage befasst. Dass unter Merkel solche Essen Tradition haben, ist bemerkenswert genug. In einer Situation wie 2021, wo das Verfassungsgericht angesichts von Corona eine noch zentralere Rolle spielt als sonst, haben sie ein besonderes „Geschmäckle“. Würde so etwas aus Polen bekannt – wie würde es die Bundesregierung da kommentieren?
Wenigstens etwas aussagekräftig war im Gegensatz zu den Antworten auf meine Fragen die allgemeine Einschätzung von Seibert zur Corona-Lage – in der er betont, es gebe keine Normalität. Das ist insbesondere bemerkenswert vor dem Hintergrund, dass ja immer der Schutz der vulnerablen Gruppen als entscheidende Begründung für die weitreichenden Einschränkungen der Grundrechte angegeben wurde. Seit jeder in diesen Gruppen ein Impfangebot erhalten hat, ist diese Begründung aber mehr als fragwürdig. Hier Seiberts Einschätzung:
Keine Situation der Normalität
„Ich möchte, wenn ich darf, noch ein paar Worte zur Gesamtlage, in der wir uns in der Pandemie derzeit befinden, hinzufügen. Wir sind dank der Impfungen, dank der Vorsichtsmaßnahmen, die Millionen von Menschen weiterhin Tag für Tag ergreifen, auch dank des weiträumigen Testens ja in einer recht guten Lage. Wir können bei Inzidenzen von heute etwas über sechs vieles genießen und vieles ausleben, was den Sommer schön macht. Die Wirtschaft und der Handel können arbeiten. Das Kulturleben kehrt zurück.
Das alles heißt aber nicht, dass wir schon in einer Situation der Normalität wären, wenn man mit „normal“ „vor der Pandemie“ meint. Diese Normalität wünschen wir alle uns zurück, aber wir haben sie noch nicht. Im Gegenteil macht ein Blick in Nachbarländer zu europäischen Freunden doch klar: Die niedrigen Fallzahlen können, das erleben diese Länder, schnell wieder explodieren. Auch wenn schon überall so wie bei uns das Impfen gut vorangeschritten ist, gehen mit solchen in die Höhe schießenden Fallzahlen Risiken einher. Mit Verzögerung können wieder mehr Menschen krank werden.
Natürlich hat das Impfen sozusagen die Gesamtrechnung verändert. Es macht glücklicherweise große Fortschritte. Aber wir sind noch nicht ausreichend gewappnet für den Fall, dass die Zahlen wieder wirklich stark ansteigen. Also lassen Sie uns alle zusammen einen erneuten steilen Anstieg der Fallzahlen verhindern, für die Gesundheit jedes einzelnen und auch, um das Risiko zu vermindern, dass aus vielen neuen Fällen dann doch wieder eine neue Virusvariante werden könnte, gegen die die bisherigen Impfstoffe weniger wirksam werden.
Deswegen die erneute Bitte an alle: Genießen Sie alles, was zurzeit wieder möglich ist, nur tun Sie es bitte mit einer gewissen Vorsicht! Das heißt: Maske tragen, wo Maske vorgeschrieben ist! Abstand halten, wo das geboten ist! Hygieneregeln einhalten, Tests nutzen und, sofern noch nicht geschehen, zum Impfen gehen, auch zur zweiten Impfung! Das ist eine Sache des medizinischen Selbstschutzes und der gesellschaftlichen Solidarität.“
Für mich klingt da an, dass die Corona-Maßnahmen zu einer „unendlichen Geschichte“ werden könnten. Denn das Virus ist gekommen, um zu bleiben. Auch die Gefahr, dass es „eine neue Virusvariante werden könnte, gegen die die bisherigen Impfstoffe weniger wirksam werden“, wird sich nicht ganz auslöschen lassen. Auch wenn Fachleute für den weitaus wahrscheinlicheren Weg halten, dass die Gefahr von Mutation zu Mutation geringer wird. Zudem haben führende Regierungsvertreter früher gesagt, die Impfstoffe ließen sich mit hoher Wahrscheinlichkeit gut an neue Mutationen anpassen – ggf. über eine Auffrischungsimpfung.
Man hat den Eindruck: Nichts Genaues weiß man nicht.
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Bild: Boris Reitschuster
Text: br