Gesellschaft schlecht gelaunter Zombies Sofa und Netflix statt Achtsamkeit und Freude an Leistung

Ein Gastbeitrag von Thilo Schneider

Es ist ein hübsches Video, das da auf X kursiert: Eine Dame in einem schwarzen Kleid und mit einem braunen Hut läuft, den dunkelbraunen (Kaschmir?) – Mantel lässig über dem Unterarm tragend, durch eine deutsche (?) Fußgängerzone. Der Filmer hält die Gesichter der Passanten fest, an denen sie vorüberläuft. Und sie schauen sie alle an. Egal, welches Alter, egal, welches Geschlecht. Manche sehen ihr offen hinterher, andere betrachten sie verstohlen aus den Augenwinkeln, einer älteren Frau ist die Missgunst deutlich anzusehen. Sie ist eine unwirkliche, modische und schöne Erscheinung, diese gutgekleidete Dame. „Frau“ wäre hier zu wenig gesagt.

Ob das Model tatsächlich eine Dame ist? Ich weiß es nicht. Ich erinnere mich aber gerne an den Satz: „Kleider machen Leute.“ Die Passanten, die sich sonst auf der Fußgängerzone befinden, egal, ob männlich oder weiblich, tragen Einheitslook: Jeans und gesteppte Jacken in wirklich hässlichen Farben. Sie müssen sich ein wenig klein und underdressed angesichts des Models vorgekommen sein. Zu Recht – aber sie können nichts mehr dafür.

Wenn wir uns Bilder aus den Städten vom Anfang des letzten Jahrhunderts bis in die 70er Jahre hinein betrachten, so sehen wir Menschen im sogenannten „Sonntagsstaat“. So hart die Arbeit unter der Woche gewesen sein mag – wenn es in die Stadt ging, so wurde sich „herausgeputzt“, das wurde zelebriert, die Stadt war eine Bühne, man wollte sehen und gesehen werden. Sie sind alle gut gekleidet, unsere Vorfahren, der Sonntag oder der Stadtausflug waren etwas Besonderes. Keiner von ihnen wäre auf die Idee gekommen, in Jeans und „FckAfD“-Shirt eine Oper zu besuchen oder am Weihnachtstisch zu sitzen.

Es hat sich – trotz oder gerade wegen des Wohlstandes und des Überflusses hier etwas in der Gesellschaft seit Mitte der 70er Jahre verändert. Ich möchte es „die neue Wurstigkeit“ nennen, auch, wenn diese nun auch schon knapp 50 Jahre alt ist. „Gut gekleidet“ zu sein, damit zu zeigen und zu demonstrieren, dass man sich selbst wichtig ist und pflegt, ist tatsächlich nicht mehr „en vogue“. Sehe ich mich heute in einer zufälligen Fußgängerzone um, dann sehe ich keinen Stil, sondern bestenfalls Style. Schlecht gefärbte Haare, miserable Tattoos, Menschen in Trainings- oder Jogginganzügen, viele haben Haare statt einer Frisur, selbst die simple Benutzung eines Kammes scheint viele meiner Mitmenschen hoffnungslos zu überfordern.

Damit wir uns nicht falsch verstehen: Es geht nicht darum, dass jeder im Gucci-Kleidchen oder Armani-Anzug über das Pflaster tänzelt, diesen Luxus muss man sich leisten können, es geht mir um Stil und Niveau. Das benötigt kein Einkommen jenseits der 2.000 Netto im Monat. Was es aber benötigt, ist der Wille, auf sich selbst zu achten, sich bewusst zu sein, wer man selbst ist. Immer, wenn wir die Haustüre hinter uns schließen, betreten wir eine Bühne. Und wir wissen nie, wen wir an diesem Tag treffen. Unseren Chef oder unseren Kunden oder die Liebe unseres Lebens. Wir wissen es nicht, aber wir sollten vorbereitet sein. Und für einen ersten Eindruck gibt es keine zweite Chance.

Auch das Alter spielt hierbei keine Rolle: Man sieht einem Menschen von außen an, wie er innen, in seinem Mindset, funktioniert. Besonders bei den Jungen, die sich in der Regel noch auf Partnersuche befinden, wird es da schwierig. Auf der weiblichen Seite haben wir da oftmals Frauen, die sich wie Drogensüchtige schminken und entweder in Sackleinen herumwandern oder aussehen, als kämen sie gerade aus der Nachtschicht von „Susi´s (nur echt mit Deppenapostroph) Nacktbar“. Die männlichen Pendants tragen Mützen, Männerdutt und Trainingsanzug, was auch nicht besser ist. Und mit hässlichen Bildchen, die wie Kugelschreibermalereien aus der 3b aussehen, sind sie alle bis zur Halskrause vollgemalt. Im Ernst: Die sehen sich doch an und zweifeln beim ersten Blick, ob sie mit diesen Zombies eine gemeinsame Zukunft planen können.

Was ist also passiert? Sind wir eine verprollte Gesellschaft? Eine Herde von dumpfen Dahintappern auf Schnäppchenjagd? Was unterscheidet uns von unseren Vätern und Großvätern? Ich glaube, wir sind heute im wortwörtlichen Sinne wert-loser als sie. Der Wohlstand, den wir genießen, den haben nicht wir, sondern unsere Vorfahren erarbeitet, als sie 1945 aus den Trümmern krochen und buchstäblich nur noch das hatten, was sie am Leib trugen. Sie haben rangeklotzt, rangekachelt und die gute Hose oder das gute Kleid mussten geschont werden, da teuer und deswegen wurden sie nur an Sonn- und Feiertagen getragen. Zu „besonderen Anlässen“, zu Feierlichkeiten. Wir haben aber keine „besonderen Anlässe und Feierlichkeiten“ mehr. Jeder Tag ist wie der andere, ohne Höhepunkte oder Schönheit oder Ästhetik.

Die Klamotten meiner Zeitgenossen – Kleidung sieht anders aus – sind aber nur ein Indiz für die Dinge, die wir verloren oder verlernt haben. Neben der Tatsache, dass etwa 80% aller Konzertbesucher ihre Musiker durch das Display ihrer Handys sehen – und diese vor Handyrückseiten spielen – und 50% aller Restaurantbesuche damit beginnen, das Essen zu fotografieren und in den asozialen Netzwerken zu posten, werden heute solche Dinge wie „Höflichkeit“ oder auch nur das korrekte Essen mit Messer und Gabel nicht mehr gelehrt. Wohlgemerkt: Wir sprechen nicht von dem Zehn-Gänge-Menü mit einer Batterie an Besteck und der Gabel und der Schneckenzange, mit der man die Biester aus ihren Häuschen bekommt, sondern ganz profan vom Schnitzel „Wiener Art“ mit Pommes. Da werden Messer und Gabel wie ein Hammer in die Faust genommen, da wandert das Gesicht zum Suppenteller, da liegt der Ellbogen auf dem Tisch… Alles Kleinigkeiten, die heute nicht mehr gelehrt werden. Ist ja auch egal – Hauptsache, es schmeckt, nicht wahr? Oder Höflichkeit und Rücksichtnahme: Soll sich doch Omi im Bus oder in der U-Bahn ein Auto anschaffen, wenn sie zu wacklig auf den Beinen ist, sich festzuhalten. Ich war zuerst da, deswegen ist es mein Platz. Und der meines Citybags, da ist das Notebook und das vegane Mittagessen drin, man tut ja so viel für Umwelt und Tierwohl!

Wir haben verlernt, auf unsere Mitmenschen zu achten und wir haben es verlernt, unser Leben zu zelebrieren, uns an uns selbst zu erfreuen. Mir kommt es so vor, als würde ich in einer Gesellschaft von schlecht gelaunten Zombies leben, die Arbeit hassen, Leistung verachten und nur den Wunsch haben, wieder zurück aufs Sofa zu kommen, um Netflix zu gucken.

Andererseits ist es vielleicht ja tatsächlich egal: Die Generationen bis 60 sind sowieso damit beschäftigt, auf ihr Handy zu glotzen oder es zum Telefonieren wie ein kleines Fressbrett vor sich her zu tragen. Für wen oder was sollte man sich da „in Schale“ werfen? Es sieht ja eh niemand den Anderen mehr. Sie sind alle füreinander unsichtbar. Und deswegen erfährt die Dame aus dem kleinen Video eine solche Aufmerksamkeit: Sie sieht – und wird deswegen gesehen. Wir könnten alle schön sein – wen wir uns selbst endlich ernst und in die Verantwortung nehmen. Stattdessen sind wir eine Gesellschaft geworden, die zwar voller Begeisterung den Regenbogen beklatscht, es aber nicht ums Herz bringt, sich wenigstens die Haare zu kämmen. Sind alle so? Nein, nicht alle, ein paar Gute gibt es noch, die Ästhetik zu schätzen wissen. Man erkennt sie an den fehlenden Tattoos und der natürlichen Haarfarbe. Schöne neue Welt

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Gastbeiträge geben immer die Meinung des Autors wieder, nicht meine. Ich schätze meine Leser als erwachsene Menschen und will ihnen unterschiedliche Blickwinkel bieten, damit sie sich selbst eine Meinung bilden können.

Thilo Schneider, Jahrgang 1966, freier Autor und Kabarettist im Nebenberuf, LKR-Mitglied seit 2021, FDP-Flüchtling und Gewinner diverser Poetry-Slams, lebt, liebt und leidet in der Nähe von Aschaffenburg. Weitere Artikel von Thilo Schneider finden Sie hier unter www.politticker.de. In der Achgut-Edition ist folgendes Buch erschienen: The Dark Side of the Mittelschicht, Achgut-Edition, 224 Seiten, 22 Euro.

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