Der Ärger über Habeck kommt eine 74-Jährige teuer zu stehen Ist das schon Volksverhetzung? Gefährliche Politisierung der Justiz

Ein Gastbeitrag von Clivia von Dewitz 

Der Fall einer Rentnerin legt den Verdacht nahe, dass die Staatsgewalt schon bei scharfer Kritik an der Regierung blindem Verfolgungseifer anheimfällt. Eine Analyse.

Das Amtsgericht Düsseldorf verurteilte eine Rentnerin wegen Volksverhetzung zu 150 Tagessätzen á 53 Euro, insgesamt 7950 Euro, weil sie auf Facebook die Migrationspolitik der Bundesregierung mit folgender Aussage kritisiert hatte: „Blablabla. Wir brauchen Fachkräfte und keine Asylanten, die sich hier nur ein schönes Leben machen wollen, ohne unsere Werte und Kultur zu respektieren. Schickt die, die hier sind, mal zum Arbeiten. Wir sind nicht auf Faulenzer und Schmarotzer angewiesen und schon gar nicht auf Messerkünstler und Vergewaltiger.“

Dies war eine Reaktion auf einen am 8. Oktober 2023 auf Facebook veröffentlichten Artikel, in dem Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) abgebildet war und mit der Aussage „Deutschland ist auf Zuwanderung angewiesen, um den Arbeitskräftebedarf zu decken“ zitiert wurde. Die Höhe der Tagessätze dürfte damit zu erklären sein, dass gegen die Verurteilte bereits 2022 ein Strafbefehl wegen übler Nachrede gegen Personen des öffentlichen Lebens erlassen worden war, der inzwischen rechtskräftig ist.

Die Staatsanwaltschaft sah für diesen Facebook-Kommentar nun die Voraussetzungen des § 130 Abs. 1 StGB (Volksverhetzung) als gegeben an, da dadurch in einer Art und Weise, „die geeignet ist, den öffentlichen Frieden zu stören, zum Hass aufgestachelt“ worden sei. In ihrem Plädoyer forderte die Staatsanwaltschaft, die mit zwei Staatsanwälten vor Gericht erschienen war, dass die „massive Politikkritik“ strafschärfend berücksichtigt würde.

Reue und Einsicht wirken strafmildernd

Nachdem Doris van Geul, 74, erklärt hatte, dass der Kommentar ihre Wut über Aussagen von Habeck widerspiegelte, für dessen Position sie kein Verständnis habe, wurde sie vom Staatsanwalt gemaßregelt. Und das mit folgenden Worten: „Das klang jetzt gerade so, als ob Sie die Politik auch weiterhin nicht gutheißen würden.“ Als käme es im Rahmen der Subsumtion unter § 130 StGB darauf an, ob man die gegenwärtige Politik gutheißen würde oder nicht. Immerhin hat die Staatsanwaltschaft in ihrem Schlussplädoyer strafmildernd berücksichtigt, dass van Geul Reue und Einsicht ausgedrückt hatte. In der Höhe der Tagessätze scheint sich das aber nicht wirklich niedergeschlagen zu haben.

Der Richter, Tobias Kampmann, befand überraschenderweise, dass in dieser Aussage Teile der Bevölkerung so angegangen würden, dass darin ein Aufruf zum Hass zu sehen und die Voraussetzungen des § 130 Abs. 1 StGB gegeben seien. Denn wenn man das immer wieder lesen würde, würde man es irgendwann glauben, so seine Argumentation. Was ist davon zu halten?

Der historische Hintergrund

1960 wurde § 130 (Volksverhetzung) ins Strafgesetzbuch eingeführt. Dieser ersetzte den Klassenkampfparagrafen aus der Bismarckzeit. Die Bundesrepublik hatte sich in den 50er-Jahren sehr schwer damit getan, den Tatbestand der Volksverhetzung überhaupt ins Strafrecht aufzunehmen. Immer wieder wurde in den Bundestagsdebatten der 50er-Jahre darauf verwiesen, dass die „innere Bewältigung der unseligen Epoche des Nationalsozialismus“ woanders vor sich gehe als vor dem Strafgericht. Etwa in der Erziehung der Lehrer und Schüler. Der Grund für die Einführung des Volksverhetzungsparagrafen war insbesondere der Schutz jüdischer Menschen in Deutschland vor dem Hintergrund des Holocaust.

Die Überschrift des neuen § 130 StGB, „Volksverhetzung“, ist ein Wortungetüm, das eher in ein totalitäres Strafregime passt als in ein freiheitlich-demokratisch-rechtsstaatliches Strafrecht. Gegen die Einführung einer Sondernorm im Sinne eines „Judensterngesetzes“ wurden von Anfang an rechtsstaatliche Bedenken eingewandt. Die Begriffe „hetzen“ und „Volksverhetzung“ als Gesetzesbegriffe ließen sich nur „in das unbestimmte und daher parteilich willkürliche Strafunrecht einer totalitären Macht einfügen“. Jüdische Mitbürger könnten nicht durch Strafgesetze vor Intoleranz geschützt werden. Erst nach einer Welle antisemitischer und neonazistischer Ausschreitungen, insbesondere der „Schmierwelle“ um den Jahreswechsel 1959/1960, wurde die Gesetzesnovelle zu § 130 StGB im Jahr 1960 schließlich verabschiedet.

Von der Meinungsfreiheit gedeckt

Als Begründung berief man sich auf die Gewaltverbrechen der NS-Zeit, insbesondere auf die Ermordung von sechs Millionen Juden. Denn das, „was mit antisemitischer Spitze gesagt wird, steht doch vor dem Hintergrund der Ermordung von sechs Millionen Juden. Deshalb empfinden wir es als unerträglich; und deshalb sind es auch die antisemitischen Äußerungen, gegen die sich die Strafdrohung vorwiegend richtet“, erklärte der Abgeordnete Bockelmann 1960.

Um einem Missbrauch des § 130 StGB vorzubeugen, hat der Gesetzgeber 1960 das einschränkende Tatbestandsmerkmal des öffentlichen Friedens eingeführt. Damit sollte verhindert werden, dass diese Norm auf jedwede Meinungsäußerung Anwendung findet. Nur wenn durch die Äußerung auch andere Menschen dazu aufgehetzt werden, Straftaten zu begehen, also eine pogromartige Stimmung in der Bevölkerung hervorgerufen wird, kommt eine Anwendbarkeit überhaupt in Betracht. Systematisch wird bei § 130 StGB die Strafbarkeit in den Äußerungsbereich vorverlagert, um zu verhindern, dass schlichte Äußerungen später umschlagen und zu Körperverletzungs- oder gar Tötungsdelikten führen. Eine der Lehren aus der NS-Zeit.

Im vorliegenden Fall wäre ergebnisoffen zu prüfen gewesen, ob die Aussagen überhaupt schon geeignet sind, den öffentlichen Frieden zu gefährden (also geeignet sind, eine pogromartige Stimmung hervorzurufen), wie es der Tatbestand des § 130 StGB vorsieht. Die Aussagen stellen die persönliche Meinung der Äußernden dar. Ein Appell zum Aufruf von Straftaten kann darin nicht gesehen werden. Nur wenn die Äußerung den Tatbestand erfüllt – was nicht der Fall sein dürfte, da gerade nicht zu späteren Straftaten aufgerufen wird und so keine Pogromstimmung provoziert werden sollte –, ist weiter zu prüfen, ob § 130 StGB im konkreten Fall die Meinungsfreiheit in zulässiger Weise einschränken könnte.

Das BVerfG hat in seinem Beschluss von 2018 hinsichtlich § 130 Abs. 3 klargestellt, dass das Ziel dieser Vorschrift der Schutz vor Äußerungen sei, „die ihrem Inhalt nach erkennbar auf rechtsgutgefährdende Handlungen hin angelegt sind“. Eine Verurteilung könne also nur dann an Meinungsäußerungen anknüpfen, „wenn sie über die Überzeugungsbildung hinaus mittelbar auf Realwirkung angelegt sind und etwa in Form von Appellen zum Rechtsbruch, aggressiver Emotionalisierung oder durch Herabsetzung von Hemmschwellen rechtsgutgefährdende Folgen unmittelbar auslösen können“. Die Entscheidung weist am Ende darauf hin: „Die Meinungsfreiheit findet erst dann ihre Grenzen im Strafrecht, wenn die Äußerungen in einen unfriedlichen Charakter umschlagen.“ Dies muss ganz allgemein die Grenze für die Bewertung der Strafbarkeit einer Meinungsäußerung bleiben, andernfalls fällt die Justiz in Gesinnungsstrafrecht zurück.

Im vorliegenden Fall dürften die getätigten Äußerungen schon nicht den Tatbestand der Volksverhetzung erfüllen. Denn sicherlich fehlt es den Aussagen an „unfriedlichem Charakter“. Jedenfalls aber sind sie von der Meinungsfreiheit gedeckt.

Bundesverfassungsgericht betont hohe Bedeutung der Meinungsfreiheit

Das Bundesverfassungsgericht hat gerade erst in seinem Beschluss vom 11. April 2024 die hohe Bedeutung der Meinungsfreiheit betont. Folgenden Kommentar des Journalisten Julian Reichelt (ehemaliger Chefredakteur der Bild-Zeitung) hielt es für von der Meinungsfreiheit gedeckt: „Deutschland zahlte in den letzten zwei Jahren 370 Millionen Euro Entwicklungshilfe an die Taliban (!!!!!!). Wir leben im Irrenhaus, in einem absoluten, kompletten, totalen, historisch einzigartigen Irrenhaus. Was ist das nur für eine Regierung?!“ Das Gericht stellte klar, dass der Staat grundsätzlich keinen Ehrschutz genieße und auch scharfe und polemische Kritik aushalten müsse. Öffentliche Kritik gegen den Staat sei vom Grundrecht der Meinungsfreiheit gedeckt. Einer Einschränkung seien enge Grenzen gesetzt.

Leider zeigt dieser Fall einmal mehr, dass allgemeine Grundsätze gebotener Zurückhaltung der Staatsgewalt, saubere Subsumtionsarbeit, das Bewusstsein für die Mittel des Strafrechts als Ultima Ratio und der Bedeutung der Meinungsfreiheit schnell einem Verfolgungseifer weichen, wenn die Regierung – wenn auch nur ganz allgemein – kritisiert wird. Dies ist nur vor dem Hintergrund einer Politisierung der Justiz zu erklären, die eine Gefährdung demokratischer Grundsätze bedeutet.

Eine der Lehren, die gerade in Deutschland aus der NS-Vergangenheit gezogen werden müssen, ist doch, keine Menschen mehr strafrechtlich zu verfolgen, die die Regierung kritisieren, und demokratische Werte wie Meinungsfreiheit und die Kontrolle der Exekutive durch die Gerichte und die Medien besonders hochzuhalten – auch und gerade in Krisenzeiten.

Dies ist ein Open-Source-Beitrag des Berliner Verlags. Er erschien zuerst auf www.berliner-zeitung.de

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Clivia von Dewitz ist Richterin und hat zu NS-Gedankengut und Strafrecht (§§ 86, 86a und § 130 StGB) promoviert. Ihr Buch „Gerechtigkeit durch Wiedergutmachung. Zur südafrikanischen Wahrheitskommission und deren Übertragbarkeit auf den Ukraine-Konflikt“ ist im Februar 2024 im Westend-Verlag erschienen.

Bild: photocosmos1/Shutterstock, Ekaterina Quehl

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