Ist die Schweiz eine „Nutte“? Wegschauen, wenn nebenan die Hütte brennt?

Ein Gastbeitrag von Klaus Kelle

In Friedenszeiten und wenn die Sonne scheint, dann ist es schön zu sagen, man ist neutral, oder? Man ist zu nichts verpflichtet, hält sich aus allem raus und macht nebenbei gute Geschäfte. Ist Ihnen bei dieser Beschreibung auch spontan unser sympathisches Nachbarland Schweiz eingefallen? Mir schon.

In der Schweiz ist gerade eine heftige Debatte in der Bevölkerung ausgebrochen. Wie Schweden und Finnland zuvor hat man jahrzehntelang allen Verlockungen widerstanden, die eigene militärische Neutralität aufzugeben und sich einem Bündnis/Staatenbund anzuschließen. Doch Russlands Angriffskrieg gegen die Ukraine und die täglich auf allen Kanälen übertragenen Grausamkeiten der russischen Invasoren haben auch in der Schweiz bei vielen ein Umdenken bewirkt.

Die Schweiz hat sich erstmals 1815 darauf verständigt, neutral sein zu wollen. Konkret: Die Eidgenossen halten sich aus Kriegen heraus, schlagen sich auf keine Seite einer Kriegspartei und liefern keine Waffen in Staaten, die in einen Krieg verwickelt sind.

Angesichts einer deutlich pro-ukrainischen Stimmung auch in der Bevölkerung der Schweiz scheinen die lange geltenden Regeln nun aufzuweichen. Die beiden Sicherheitsausschüsse des Parlaments haben gerade empfohlen, die bestehenden Vorschriften zu lockern. „Wir wollen neutral sein, aber wir sind Teil der westlichen Welt“, sagte Thierry Burkart, Präsident der liberalen FDP.

Er hat beantragt, die Weitergabe von Waffen an Länder mit ähnlichen demokratischen Werten wie die der Schweiz zu ermöglichen. „Wir sollten nicht das Vetorecht haben, andere daran zu hindern, der Ukraine zu helfen“, sagte Burkart zur Nachrichtenagentur Reuters.

‚Wenn wir das tun, unterstützen wir Russland, was keine neutrale Position ist‘

So ist es. Und betroffen sind neben Dänemark, dem die Schweiz die Ausfuhr von Schützenpanzern aus heimischer Produktion ebenso verweigert hat, wie sie Deutschland keine Munition für unsere Flugabwehrpanzer Gepard mehr verkauft, die an Kiew geliefert wurden.

Das hat in Berlin für mächtige Verärgerung gesorgt.

Gute Geschäfte mit den europäischen Staaten abschließen und sich ansonsten einen schlanken Fuß machen, das ist in diesen Zeiten nicht mehr akzeptabel.

Denn die Schweiz kann nur deshalb „neutral“ sein, weil sie militärisch bestens eingebettet ist vom mächtigen NATO-Bündnis. Da kann man schön zu Hause sitzen – mit einem Sturmgewehr im Wohnzimmerschrank und Käsefondue zelebrieren, weil man ja weiß, dass es nie einen Verteidigungsfall geben wird, weil Angreifer, die sonst nicht bis nach Zürich kommen, erstmal an der NATO vorbeimüssen. Und das ist gar nicht so einfach …

„Kim Jong-un hat doch sogar in der Schweiz studiert“, empörte sich vorgestern mein Freund Christian beim Feierabend-Treffen mit mir in der Düsseldorfer Cigarworld Lounge. Die russischen Oligarchen horten in der Schweiz unbelangt Milliarden; Waffenhändler, Diktatoren, islamische Terrorstaaten – alle haben ihre Nummernkonten, alle haben einen sicheren Hafen in der Schweiz. Nur wenn Olaf aus Deutschland anruft, um Munition zu bestellen, dann sind sie – leider, leider – neutral.

Es geht so nicht weiter, das merken inzwischen auch immer mehr Schweizer

Im vergangenen Jahr veröffentlichte ein Verbund internationaler (Mainstream-)Medien (darunter die Süddeutsche Zeitung, WDR und NDR) Daten der Credit Suisse, immerhin die zweitgrößte Bank der Schweiz, nach denen das Geldinstitut über viele Jahre hinweg korrupte Autokraten, Kriegsverbrecher, Menschenhändler und Drogendealer als Kunden akzeptiert hatte.  Die geleakten Unterlagen betrafen Konten von mehr als 30.000 dubiosen Kunden aus aller Welt. Die Credit Suisse reagierte hilflos mit dem Hinweis, dass die meisten dieser Konten inzwischen geschlossen worden seien.

Denken Sie auch an die Rolle Schweizer Banken bei Steuerhinterziehung wohlhabender Deutscher in Milliarden-Höhe vor einigen Jahren, die über den Umweg Schweiz organisiert wurden! Finanzminister Peer Steinbrück (SPD) sagte zu dem Thema bei einem G20-Gipfel damals den schönen Satz, man müsse die Kavallerie nicht ausreiten lassen; die Indianer müssten nur wissen, dass es die Kavallerie gibt. Und meinte mit den Indianern die geschäftstüchtigen Schweizer Banker. Da war die Empörung groß bei den Eidgenossen, doch im Grunde hatte Steinbrück natürlich recht.

Und nur der Vollständigkeit halber:

Während des Zweiten Weltkriegs kauften Schweizer Banken tonnenweise geraubtes Gold von den Nazis gegen harte Devisen, mit denen das Dritte Reich militärisch wichtige Rohstoffe aus dem Ausland besorgte. Neutralität? Keine Spur. Geld stinkt ja bekanntlich nicht. Und das geraubte Gold stammte zu einem großen Teil von jüdischen Holocaust-Opfern, die man zuvor umgebracht hatte.

Verstehen Sie mich nicht falsch: Ich mag die Schweiz, wirklich. Aber in Zeiten schwerer Krisen oder gar eines großen Krieges wie derzeit kann man sich vielleicht als Einzelperson entscheiden, nicht mitzumachen – jedenfalls in der westlichen Welt. Aber als Staat? Das ist nicht akzeptabel. Auch nicht für die Schweiz.

Wenn man sich selbst zur westlichen Wertegemeinschaft zählt, dann kann man sich nicht feige wegducken und gleichzeitig beide Hände aufhalten. Die Vorteile der EU mitnehmen, aber keine Verpflichtungen eingehen. Die Sicherheit durch das westliche Bündnis mitnehmen, ohne einen eigenen Beitrag zu leisten. Und dann aber Geld waschen und aufbewahren für die Mordbuben dieser Welt.

Christian greift, als wir aufbrechen am Donnerstagabend, in der Düsseldorfer Lounge zu seinem Glas, um die letzten Tropfen peruanischen Rums zu genießen. Und er sagt: „Klaus, die Schweiz ist eine Nutte …“

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Klaus Kelle, Jahrgang 1959, gehört laut Focus-online zu den „meinungsstärksten Konservativen in Deutschland“. Der gelernte Journalist ist jedoch kein Freund von Schubladen, sieht sich in manchen Themen eher als in der Wolle gefärbten Liberalen, dem vor allem die Unantastbarkeit der freien Meinungsäußerung und ein Zurückdrängen des Staates aus dem Alltag der Deutschen am Herzen liegt. Kelle absolvierte seine Ausbildung zum Redakteur beim „Westfalen-Blatt“ in Bielefeld. Seine inzwischen 30-jährige Karriere führte ihn zu Stationen wie den Medienhäusern Gruner & Jahr, Holtzbrinck, Schibsted (Norwegen) und Axel Springer. Seit 2007 arbeitet er als Medienunternehmer und Publizist und schreibt Beiträge für viel gelesene Zeitungen und Internet-Blogs. Dieser Beitrag ist zuerst auf denken-erwuenscht.com erschienen.

Bild: Shutterstock

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