Von Alexander Wallasch
Am Samstag sprach Bundesgesundheitsminister Jens Spahn auf dem 100. Landestag der Jungen Union Hessen im Kloster Schiffenberg, einer imposanten Anlage aus dem 12. Jahrhundert im Rang eines „Bauwerks von nationaler Bedeutung“.
Jens Spahns Ausführungen vor zweihundert Delegierten, die hier im Kloster so opulent residierten, waren allerdings weniger bedeutsam, viel mehr besonders komisch. Bedeutsam war hier allenfalls die Unverfrorenheit des Vortrags, Spahn musste damit rechnen, dass wenigstens einer mitschreibt oder sein Handy hinhält und Öffentlichkeit sucht.
In diesem Falle erledigte das Frank Rumpenhorst für dpa. Sein Artikel wurde unter anderem von T-Online zitiert. Bevor wir zu Jens Spahn kommen und was da los war, kurz zum ebenfalls eingeladenen Kanzlerkandidaten Armin Laschet (CDU), der im Kloster zur Hintergrundmusik des Boxerfilms „Rocky“ zur Bühne schritt, wie der ansässige Gießener Anzeiger berichtete.
Jens Spahn hatte vor Laschets Rocky-Auftritt vollmundig verkündet, die Union wolle „Deutschland in goldene 20er Jahre führen“. Zumindest, was die Spaltung der Gesellschaft angeht bis hin zu gewalttätigen Übergriffen von Extremisten, hat die Bundesregierung allerdings längst Zustände wie in den gar nicht mehr so goldenen 1920er Jahren zu verantworten. Damit allerdings schmückt sich der Minister nicht.
Wenige Wochen vor der Bundestagswahl muss dem Wahlkampfteam der Union endlich aufgegangen sein, dass man um Wähler werben muss, will man nicht immer mehr Zuspruch verlieren – die Union ist komfortabel gestartet, stürzt aber wieder kontinuierlich ab.
Die Union habe das Land „gut durch die Pandemie geführt“, erklärt stattdessen weiter unverdrossen der Gesundheitsminister der CDU. Da fragt man sich schon, ab welchen Zuständen im Land Jens Spahn hier eigentlich eine negative Prognose stellen würde. Schon im März nämlich sah, was Spahn hier so „gut“ findet, beispielsweise in einer Analyse der Deutschen Welle als Bilanz katastrophal aus:
„Der Wohlfahrtsverlust durch die Corona-Pandemie belaufe sich bislang auf 250 Milliarden Euro, wie das Institut der deutschen Wirtschaft in Köln (IW) genau ein Jahr nach Beginn des ersten Lockdowns am 14. März berechnet hat. Danach mussten mehr als 16.000 Unternehmen Insolvenz anmelden, hinzu kämen 5.000 sogenannte Zombieunternehmen ohne Perspektive.“
Der Schaden dürfte heute aber noch wesentlich erheblicher sein
Wir erinnern uns: Mit Wirkung zum 28. März 2020 trat das „Gesetz zum Schutz der Bevölkerung bei einer epidemischen Lage von nationaler Tragweite“ in Kraft. Von schon komödiantischer Qualität im Licht solcher massiven Einschränkungen der Grundrechte daher die weiteren Aussagen von Spahn auf Schloss Schiffenberg.
Der Minister sagte wörtlich, die Grünen, SPD und Linke wollen „einen Erziehungsauftrag, wir wollen einen Regierungsauftrag, das sind die entscheidenden Unterschiede, um die es am 26. September geht“. Hier will der Spahn wohl vergessen machen, wie erzieherisch und mit Allmachtsfantasien operierend seine Regierung die Menschen in den vergangenen 18 Monaten in eine neue Unfreiheit manövriert hat.
Bei den anderen Parteien ginge es um „Verbote und Gängelung“, so Spahn. Aber sieht das bei der CDU als Regierungspartei der Bundeskanzlerin Merkel etwa anders aus? Spahns Vortrag qualifiziert sich an der Stelle für das satirische Internetportal „Postillon“ oder für einen vorgezogenen politischen Aschermittwoch. Die Diffamierung der Opposition im Land ist unter der Unions-Kanzlerin Angela Merkel perfektioniert worden.
Die etablierten Medien haben als vierte Gewalt faktisch aufgehört zu existieren, eine hochsubventionierte so genannte Zivilgesellschaft nebst einer ganzen Reihe von Nichtregierungsorganisationen macht Stimmung gegen die politische Opposition, ein Klima des Zurückhaltens der eigenen Meinung macht sich auf dem Stimmungsbarometer der Deutschen bemerkbar – kurz gesagt:
Immer mehr Bürger empfinden die ihnen garantierte Meinungsfreiheit zunehmend als Worthülse. Sogar der Discounter Aldi spielt mittlerweile ironisch mit dem Thema Meinungsfreiheit: „Meinungsfreiheit ist unbezahlbar.“
Nichtsdestotrotz eskaliert die Stimmung immer mehr, selbst noch der Verfassungsschutz wird als Waffe beispielsweise gegen eine Corona-Maßnahmen-Opposition in Stellung gebracht.
Zwar sei Impfen immer eine persönliche Entscheidung, so Spahn im Kloster, aber auch „eine Frage der Verantwortung“. Oder anders gesagt: Es sei eben verantwortungslos, Impfen als persönliche Sache zu betrachten. Das persönliche Befinden ist unverantwortlich, der Einzelne zählt nichts mehr?
Die Zeit der Worthülsen ist angebrochen, die Zeit der üblen Nachrede und der falschen Rede. Und dieses Gift haben die Regierung, die etablierten Parteien, der öffentlich-rechtliche Rundfunk und die angeschlossenen privaten Medien zu verantworten.
Der gläserne Mensch darf natürlich auch nicht fehlen in Spahns Rede. So ruft er stellvertretend für die Regierung zum x-ten Mal eine „Modernisierungsoffensive und eine raschere Digitalisierung in Deutschland“ aus.
Aber so vergesslich ist der Bürger nicht. Jedenfalls dürften vielen Deutschen diese Lippenbekenntnisse längst zum Halse heraushängen. Währenddessen hat die Harzer Oma im Tal weiter keine Internetverbindung zum Enkel im Tal nebenan, aber der Beduine in Marokko surft mit seinen Verwandten über drei Wüsten hinweg: „Die Abdeckung des Landes mit LTE bzw. 4G liegt in Marokko bei 59,82 %. Damit ist sie etwas besser als in Deutschland mit 57,12 % .“
Doch, Berufspolitiker wie Jens Spahn beherrschen das politische Geschäft. Aber auch Jens Spahn muss begreifen, dass sich die Zeiten geändert haben. Diese antiquierte Form der politischen Propaganda, vorgetragen auf einem herausgeputzten Klosterschlösschen, mag ja in „geschlossener Gesellschaft“ unter Gleichgesinnten noch funktionieren, aber was in Las Vegas gesprochen wurde, bleibt nicht in Las Vegas. Dann jedenfalls, wenn man sich Journalisten dazu einlädt, die diese wahltaktische Amnesie und Verweigerung von politischer Verantwortung am Folgetag veröffentlichen.
Namentlich gekennzeichnete Beiträge geben immer die Meinung des Autors wieder, nicht meine. Ich schätze meine Leser als erwachsene Menschen und will ihnen unterschiedliche Blickwinkel bieten, damit sie sich selbst eine Meinung bilden können.
Alexander Wallasch ist gebürtiger Braunschweiger und betreibt den Blog alexander-wallasch.de. Er schrieb schon früh und regelmäßig Kolumnen für Szene-Magazine. Wallasch war 14 Jahre als Texter für eine Agentur für Automotive tätig – zuletzt u. a. als Cheftexter für ein Volkswagen-Magazin. Über „Deutscher Sohn“, den Afghanistan-Heimkehrerroman von Alexander Wallasch (mit Ingo Niermann) schrieb die Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung: „Das Ergebnis ist eine streng gefügte Prosa, die das kosmopolitische Erbe der Klassik neu durchdenkt. Ein glasklarer Antihysterisierungsroman, unterwegs im deutschen Verdrängten.“ Seit August ist Wallasch Mitglied im „Team Reitschuster“.
Bild: Alexandros Michailidis/ShutterstockText: wal