Bis vor wenigen Tagen musste jeder, der auf eine mögliche Verschiebung von Wahlen 2021 wegen Corona hinwies, damit rechnen, als Verschwörungstheoretiker verunglimpft zu werden. Nun wurde auch diese „Verschwörungstheorie“ wahr. In Thüringen einigten sich die rot-rot-grüne Koalition und die oppositionelle CDU, die für April vorgesehenen Wahlen zu verschieben. Ausgerechnet in dem Bundesland, wo nach dem Gerangel um die Wahl von Bodo Ramelow von den Linken im Februar 2020 eigentlich so schnell wie möglich Neuwahlen stattfinden sollten.
Zeitgleich gab es in großer Eile einen Beschluss im Bundestag, über den in den Medien kaum bzw. nur unter „ferner liefen“ berichtet wird. Auf der Webseite des Bundestags heißt es dazu: „Der Bundestag hat am Donnerstag, 14. Januar 2021, in namentlicher Abstimmung einen Antrag von CDU/CSU und SPD zum Bundeswahlgesetz (19/25816) angenommen. Damit stellte der Bundestag fest, dass die Durchführung von Versammlungen für die Wahl der Wahlbewerber und der Vertreter für die Vertreterversammlungen zur Bundestagswahl 2021 zumindest teilweise unmöglich ist. 486 Abgeordnete stimmten für den Antrag, 72 dagegen, es gab 21 Enthaltungen.“
Das Schweigen der Medien ist umso erstaunlicher, als damit ein nicht unwesentlicher Pfeiler der repräsentativen Demokratie eben mal demontiert wird. Denn persönliche Versammlungen zur Aufstellung von Bundestagskandidaten haben eine ganz andere Dynamik als indirekte, der inhaltliche und menschliche Austausch ist hier ein anderer. Besonders beachtlich: „Wir führen hier eine Versammlung durch, um zu beschließen, dass Versammlungen nicht mehr möglich sind“, monierte der AfD-Abgeordnete Jochen Haug: „Offensichtlich fällt Ihnen von der Koalition das Paradoxe dieses Antrags gar nicht mehr auf. Eines Antrags, den sie erst gestern quasi überfallartig auf die Tagesordnung gesetzt haben. Und der zu einer kompletten Umwälzung des Rechts der Kandidaten-Aufstellung führen würde. Das zeigt Ihr schlechtes Gewissen bei dem, was Sie da versuchen.“
In dem entsprechenden Antrag berufen sich die Regierungsparteien auf „einen Beschluss der Bundeskanzlerin und der Regierungschefinnen und Regierungschefs der Länder vom 25. November 2020.“ Ein solches Gremium gebe es aber laut Verfassung gar nicht, mahnte Haug. Der Antrag führe als Begründung die Situation in Nordrhein-Westfalen an, wo aber in Wirklichkeit Aufstellungsversammlungen stattfänden: „Entweder Sie wissen nicht, wovon Sie sprechen, oder Sie wollen uns hinters Licht führen!“ Konstantin Kuhle, der für die FDP zu dem Thema sprach, kritisierte die Beschlussvorlage nur sehr verhalten.
Bereits im Juli gab es eine „Ausarbeitung“ des Wissenschaftlichen Dienstes. Ihr Titel: „Verschiebung der Bundestagswahl. Verfassungsrechtliche Aspekte und Konsequenzen“. Darin wird als einer der möglichen Gründe für eine Verschiebung der Wahlen genannt: „Insofern kann eine Lage eintreten, in der sowohl die Vorbereitung der Wahl in den Parteien und Wahlvereinigungen – zum Beispiel durch Versammlungen zur Kandidatenaufstellung – , als auch die Durchführung der Wahl nach dem geregelten Ablauf aufgrund der erhöhten Ansteckungsgefahr wesentlich erschwert wird.“
Hat der Bundestag mit dem Beschluss vom Donnerstag dafür die Weichen gestellt? In der „Ausarbeitung“ ist dieser Punkt zwar nur als mögliche Begründung für eine kurzfristige Verschiebung aufgeführt. Weiter unten steht dort aber auch, möglich sei auch „eine durch Verfassungsänderung bestimmte Verlängerung der laufenden Wahlperiode unter engen Voraussetzungen, wenn schwerwiegende und zwingende Gründe des Allgemeinwohls dies erfordern.“ Die Verlängerung müsse allerdings „kurzfristig“ sein. Doch was ist kurzfristig? Eine Woche? Ein Monat? Ein Jahr?
Auch das Prozedere der Wahl könne geändert werden, so der wissenschaftliche Dienst: „Denkbar wäre unter anderem eine Verlängerung des Wahlzeitraums auf mehrere Tage oder Wochen bzw. die Erhöhung der Zahl deutlich räumlich voneinander getrennter Wahllokale. Mit diesen Möglichkeiten kann eine Ansammlung von Wählern verhindert werden.“ Wenn man das Prozedere schon ändert, wäre wohl auch eine allgemeine Briefwahl nicht mehr gänzlich auszuschließen.
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Text: br
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