Was ist nur mit dem MDR los? Gerade erst erschien in dem öffentlich-rechtlichen Sender ein Video zu Impfnebenwirkungen, für das unsereiner an den Pranger der sogenannten „Faktenchecker“ geraten würde. Doch das ist nicht alles: Die Anstalt des öffentlichen Rechts legt mit einem Beitrag unter dem Titel „Ungeimpfte zu Unrecht beschuldigt?“ nach. Was MDR-Autorin Christiane Cichy dort schreibt, verdient allerhöchsten Respekt – denn unter den Bedingungen des gebührenfinanzierten Fernsehens erfordert es Mut und Rückgrat. Obwohl es eigentlich eine Selbstverständlichkeit sein sollte, wenn sich die Sender an ihren gesetzlichen Auftrag halten würden.
„Die einrichtungsbezogene Impfpflicht soll auslaufen, denn Impfungen würden nicht mehr vor einer Ansteckung schützen, so Gesundheitsminister Karl Lauterbach. Doch einen Fremdschutz gibt es schon lange nicht mehr. Warum wurde dennoch politischer Druck auf Ungeimpfte ausgeübt?“ Diese Frage stellt Cichy zu Beginn ihres Textes. Sie hatte auch schon im April für den Sender über Impfnebenwirkungen berichtet bzw. darüber, wie sich Betroffene im Stich gelassen fühlen.
„Zwar helfen die Corona-Impfstoffe, schwere Krankheitsverläufe zu verhindern, doch sie schützen nicht vor der Ansteckung anderer. Aber genau das war lange das Mantra vieler Politiker, Wissenschaftler und Medien“, schreibt die Autorin in ihrem neuen Beitrag. Sodann zerlegt sie das Mantra von der Impfung „als solidarischer Akt mit den Älteren, Kranken und Schwachen der Gesellschaft“.
Zwar habe es bei der Alphavariante auch einen Fremdschutz gegeben. „Doch rechtfertigten diese Indizien die Behauptungen vieler Politiker, aber auch Ärzte und Wissenschaftler? Ebenso die verbale Ächtung der Ungeimpften – sowie deren Ausschluss aus dem sozialen Leben – während Geimpfte, die zu jener Zeit auch ansteckend sein konnten, auf Großveranstaltungen feiern konnten? Statt jede Kritik zurückzuweisen, ist es vielmehr Zeit für eine Aufarbeitung.“ Eine beachtliche Forderung in einem öffentlichen Sender!
Cichy beginnt selbst mit dieser Aufarbeitung. Etwa mit einem Seitenhieb auf die „Faktenchecker“, die nun behaupten, jeder habe doch gewusst, dass Impfung keinen Fremdschutz biete, es habe doch in den Papieren der Hersteller gestanden. Die gleichen Faktenchecker, die Journalisten zerlegen, wenn diese sie auf unbequeme Hinweise in den Papieren der Hersteller verweisen. Und die keine „Faktenchecks“ darüber bringen, dass damals massenhaft berichtet wurde, etwa in der „Bild“, „Geimpfte seien nicht mehr ansteckend. Man berief sich dabei auf eine „Hoffnungsstudie“ aus Israel – ohne darauf aufmerksam zu machen, dass selbst deren Autoren ihre Aussagekraft in Frage stellten. Und dass sie „keine wissenschaftliche Arbeit im herkömmlichen Sinn ist, sondern ein vorläufiger Bericht des israelischen Gesundheitsministeriums und der Hersteller Biontech und Pfizer.“
„Der Druck auf all jene, die sich nicht impfen lassen wollten, nahm im Herbst 2021, als Deutschland von der vierten Coronawelle überrollt wurde, erheblich zu“, erinnert Cichy – und führt Beispiele für die massive „Hetze an. Wie die Aussage von Prof. Frank Ulrich Montgomery vom Weltärztebund, der in der ARD bei „Anne Will“ die Ungeimpften „quasi an den Pranger“ stellte: „Momentan erleben wir ja wirklich eine Tyrannei der Ungeimpften, die über die zwei Drittel der Geimpften bestimmen und uns diese ganzen Maßnahmen aufoktroyieren.“ Oder die Warnung der damaligen Berliner Gesundheitssenatorin Dilek Kalayci (SPD) via Twitter, keinen Kontakt mehr zu Ungeimpften zu haben.
Dabei wurden „ehemalige Musterländer, wie Irland und Island, in denen die erwachsene Bevölkerung zu mehr als 90 Prozent geimpft waren, wieder zu Hochrisikogebieten mit Inzidenzen auch oberhalb der deutschen Werte.“ Aber „dennoch wurden zu jener Zeit in Deutschland verschiedene Vorschläge für eine allgemeine Corona-Impfpflicht diskutiert“, moniert Cichy: „Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach warb noch im April 2022 mit folgenden Worten dafür: ‘Jeder, der die Impfpflicht will, kann sich hier wiederfinden. Wer aber dagegen stimmt, riskiert erneut Lockdowns und Leid im Herbst.'“
Doch selbst als die Politik das Narrativ vom „Schütze dich und andere!“ gegen ein „Schütze dich selbst (vor einem schweren Verlauf)!“ austauschen musste, sei die einrichtungsbezogene Impfpflicht in Deutschland in Kraft geblieben, klagt die Autorin an. Erst letzte „Woche sei die Wende gekommen: „Völlig überraschend sprach sich der Minister plötzlich dem ZDF gegenüber für ein Ende der Impfpflicht in der Pflege aus. Seine Begründung: ‘Die Impfung schützt nicht mehr vor der Ansteckung‘. Nun muss man sich fragen, warum diese Erkenntnis dem Minister erst jetzt kommt? Denn dass die Impfung nicht vor Ansteckung schützt, ist spätestens mit Omikron klar gewesen.“
Das Fazit der MDR-Autorin: „Die Debatte um den Fremdschutz der Corona-Impfstoffe zeigt deutlich, wie wichtig es ist, die Behauptungen zur Wirksamkeit der Vakzine, aber auch die politischen Entscheidungen der vergangenen zweieinhalb Jahre zu hinterfragen und auch für zukünftige Pandemien aufzuarbeiten. Doch statt Fehler zu analysieren oder gar zuzugeben, beruft man sich nach wie vor darauf, dass Studien Hinweise gegeben hätten, die auf einen effektiven Fremdschutz hoffen ließen. Doch rechtfertigten diese Indizien tatsächlich die verbale Ächtung der Ungeimpften und die massiven Einschränkungen der Grundrechte?“
Für einen öffentlichen Sender ist das geradezu revolutionär. Ich weiß: Eine journalistische Schwalbe macht noch keinen öffentlich-rechtlichen Sommer. Doch es sind inzwischen beim MDR zumindest mehrere Schwalben. Dass ausgerechnet der Sender, der mit Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen für die Bundesländer zuständig ist, in denen der Widerstand gegen die Corona-Maßnahmen und Impf-Druck am heftigsten war, als erster wirklich kritisch diese Themen aufarbeitet, ist ein deutliches Zeichen, dass Distanz, Hinterfragen und kritischer Protest doch Wirkung zeigen.
Vielleicht werden wir ja rückblickend irgendwann sagen, dass es wieder diese drei Bundesländer waren, die eine kleine Revolution angestoßen haben – die kritische Aufarbeitung der Corona-Politik.
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