Ein Gastbeitrag von Okko tom Brok
Die Chance auf den 18. März als Gedenktag ist vertan, aber hier kommt schon der nächste heiße Kandidat für eine Aufnahme in den begehrten Bundesfestkalender: der 31. März, deutscher Gedenktag der Herrschaft der Kinder.
Ich erinnere mich, als Kind meine Heimat Deutschland oft langweilig gefunden zu haben. Besonders im Vergleich zu seinen südlichen und westlichen Nachbarländern. Wenn ich bei der Heimreise an der Grenze die Farben Schwarz-Rot-Gold erblickte, lösten diese Farben zwar durchaus auch ein bisschen heimatliche Gefühle aus, aber mein Empfinden war oft dem mulmig-ambivalenten Gefühl ähnlich, als ob man vor den Sommerferien mit einer schlechten Mathe-Note in sein Elternhaus heimkehrte.
Deutschland, das waren in meiner Kindheit die mit Bohnerwachs gewienerten blitzblanken Hausflure und Treppenhäuser, das war die Brotstulle bei der Arbeit, die geradezu omnipräsente BILD-Zeitung und der altmodische Schulbus, der in 14 Jahren Schulzeit eigentlich nie zu spät kam (Ich oute mich an dieser Stelle als ein echter Fan des deutschen Schulwesens, der sogar noch ein Jahr drangehängt hat!). Alles funktionierte, alles klappte, alles war in Ordnung.
Ein fast programmatisch anmutender Schlager-Hit
Aus heutiger Sicht würde ich sagen: Die Bundesrepublik Deutschland war für mich „der Erwachsene“ unter den europäischen Völkern und Helmut Schmidt war sein Gesicht. Mochten es sich die Franzosen gerne schon morgens bei Rotwein und Gesang gutgehen lassen und ihre rostigen Citroëns bis zum letzten Aufzucken des Motors zu Ende fahren, welche bei uns schon niemals eine Straßenzulassung erhalten hätten. Und mochten die Italiener sich eine Währung halten, die im direkten Vergleich jeden Kinderkaufmannsladen als gut geführten Musterbetrieb erschienen ließ und sich dazu im Grunde beinahe jährlich eine neue Regierung wählten, und die Holländer schließlich sich etwas erlaubten, was sich eigentlich nur hormonell herausgeforderte 16-Jährige ernsthaft wünschen würden: unkontrolliertes Cannabis beim netten Dealer von nebenan. Ich fand es toll! Damals.
Diese europäischen Nachbarn waren sehr liebenswert, gewiss, und ich reiste immer sehr gerne hin, aber was sie für mein Empfinden einte, war die Vermutung, dass da die „Erwachsenen“ nicht ganz so sehr das Sagen hatten. Das war ja für mich mit 16 Jahren gerade das Problem: Deutschland erschien mir immer viel zu ernst, sorgenvoll, immer an der Lösung von (globalen) Problemen orientiert, immer viel zu ausgewogen, zu maßvoll, immer seriös, immer ethisch ausbalanciert, immer hilfsbereit und technisch immer auf der Höhe der Zeit. Kurzum: viel zu erwachsen für mich. Früher.
Als am 31. März 1986 der in der Rückschau fast programmatisch anmutende Schlager-Hit „Kinder an die Macht“ von Herbert Grönemeyer erschien, war etwas radikal Neues in der Welt. Es gibt Ereignisse, die klein und unscheinbar beginnen und sich ungebremst in alle Bereiche einer Gesellschaft ausdehnen. Grönemeyers Hit war wohl solch ein epochales Ereignis, als er sang:
Die Armeen aus Gummibärchen
Die Panzer aus Marzipan
Kriege werden aufgegessen
Einfacher Plan
Kindlich genial
Es gibt kein Gut
Es gibt kein Böse
Es gibt kein Schwarz
Es gibt kein Weiß
Es gibt Zahnlücken
Statt zu unterdrücken
Gibt’s Erdbeereis auf Lebenszeit
Immer für’ne Überraschung gut
Gebt den Kindern das Kommando
Sie berechnen nicht
Was sie tun
Die Welt gehört in Kinderhände
Dem Trübsinn ein Ende
Wir werden in Grund und Boden gelacht
Kinder an die Macht.
Ursprünglich gar nicht als Kampfeshymne gedacht
Was für ein Kontrast, nachdem zuvor jahrhundertelang Kinder entweder als inferiore Gestalten oder bestenfalls als „kleine Erwachsene“ gegolten hatten. Es bedurfte intensivster Bemühungen von pädagogischen Reformern, um die Kindheit überhaupt als eigenständigen Wert und schützenswerte Entwicklungsphase des Menschen zu etablieren.
Hatte also die klassische Pädagogik wohl immer den Wert des Kindes und der Kindheit im Blick, so wäre aber eine Verherrlichung der Infantilität auf Kosten des Erwachsenseins den Geistesgrößen um Pestalozzi, Montessori oder Klafki eher nicht in den Sinn gekommen. Und selbst Jesu Wort, man solle „wie die Kinder“ werden (Mt 18, 3), lässt sich nach herrschender Lehrmeinung keineswegs als Generalangriff auf die manchmal spießige Erwachsenenwelt mit ihren Halbheiten, Verantwortlichkeiten, Sachzwängen und Kompromisslösungen deuten, sondern eher schon als Erinnerung an unsere geistig-seelische Gotteskindschaft, die auf bemerkenswerte Weise mit der nützlichen psychologischen Entdeckung vom „Kind in uns“ korrespondiert. Die „magische“ Phase der eigenen Kindheit mit ihren Träumen und Hoffnungen kann man sich erhalten und als „Rückzugsort“ für Ruhe und innere Balance nutzen oder wiedergewinnen.
Stattdessen aber gleich „Kinder an die Macht“? Offenbar hatte Grönemeyer selbst keineswegs eine programmatische Kampfeshymne für die Machtergreifung durch Kinder schreiben wollen, als die der Hit jedoch alsbald missverstanden wurde. Grönemeyer, der den Song offenbar lediglich als Gelegenheitslied zur Geburt seines Neffen komponiert hatte, sagte später selbst: „Plötzlich saß ich in Talkshows mit Kinderpsychologen und musste mich dafür rechtfertigen.“
Einmal gesungen, ließ sich die Botschaft von friedlich die Welt erobernden „Gummibärchen-Armeen“ und „Panzern aus Marzipan“ nicht mehr zurücknehmen. Der Geist war aus der Flasche. Alles schien möglich, Freibier für alle oder sogar der Weltfrieden, wie ein im selben Jahr erschienener Buchtitel des einstigen CDU-Politikers Franz Alt suggerierte. Die Teddybär-schwangeren Begrüßungszeremonien an deutschen Bahnhöfen im Herbst 2015 dürften wohl spätestens bewiesen haben, dass „Kinder an die Macht“ in Deutschland von Anfang immer sehr viel an mehr war als nur „ein lustiger Song über Kinder“.
Die Gummibärchen-Armeen stehen kurz vor ihrem Sieg
Heute läuft Grönemeyers Hit aus der „goldenen Zeit“ unserer Republik noch manchmal im Radio, umrahmt von Nachrichten einer in den Krieg hüpfenden Außenministerin, die dem russischen Staatschef Putin eine „360°-Wende“ empfiehlt, oder eines deutschen Wirtschaftsministers, der im Amazonas-Dschungel Indianerhäuptling spielt: einfacher Plan, kindlich genial.
Die Gummibärchen-Armeen stehen kurz vor ihrem Sieg. Sie benötigen keinen Strom aus der Steckdose. Im Gegenteil. Ist der Strom erst einmal weg, beginnt die Phantasie, den Mangel auszugleichen. Sie gehen keiner Arbeit nach, aber unser himmlischer Staat ernährt sie doch. Wenn sie aufhören zu produzieren, sind sie nicht insolvent. Wo andere spießig nach dem Morgen fragen, betonen sie, wie gut wir mit nur einer Kugel Eis hervorragend zurechtkommen. Erdbeereis auf Lebenszeit!
Der 31. März, an welchem die Hymne „Kinder an die Macht“ erstmals ertönte, sollte vielleicht ein Gedenktag dieser historischen Transformation werden. Die AfD hat Gerüchten zufolge schon signalisiert, dagegenstimmen zu wollen. Wenn das kein Argument für einen solchen Gedenktag ist?
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Der Beitrag erschien zuerst auf Achgut.com.
Der Autor ist Lehrkraft an einem niedersächsischen Gymnasium und schreibt hier unter einem Pseudonym.
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