Für den Normalsterblichen gibt es kein Pardon: Wer mit jemandem, der positiv auf Covid-19 getestet wurde, im engeren Kontakt war, kommt unter Hausarrest, oder, wie es neudeutsch und viel schöner klingend heißt, in Quarantäne. Erst kürzlich habe ich hier geschildert, wie es eine enge Verwandte von mir in Bayern getroffen hat – unter Bedingungen, die für mich schlichtweg absurd wirkten. Dennoch – sie musste die ganze Zeit zu Hause absitzen, obwohl andere Schüler, die den positiv getesteten Lehrer ebenfalls im Unterricht hatten, weiter in die Schule durften, ebenso wie die meisten anderen Schüler ihrer Jahrgangsstufe. Auch zu Hause gab es keinerlei Trennung – und die Schwester ging weiter in die gleiche Schule.
Gestern wurde bekannt, dass es nun auch den bayerischen Ministerpräsidenten Markus Söder (CSU) erwischt hat: Ausgerechnet der Mann, der auf einen besonders harten Corona-Kurs setzt und ständig Schreckensnachrichten verbreitet, etwa von einer Triage, die es gar nicht gibt, schrieb, dass er in Quarantäne müsse. Weil sein Staatskanzleichef positiv getestet wurde. Doch bei dem Möchtegern-Kanzler aus Franken zeigten sich, anders als bei meiner Verwandten, die Behörden überaus großzügig: Schon nach einem Tag entschied das zuständige Gesundheitsamt, dass Söder Glück hatte und gar nicht in Quarantäne muss.
Die Beamten mögen sich ihren Teil gedacht haben. Erst kürzlich wurde der Chef des Gesundheitsamtes im bayerischen Aichach-Friedberg strafversetzt, weil er nicht brav auf der harten Söder-Linie war. Und siehe da: Schon nach einem Tag stellte die zuständige Behörde nach Angaben der Staatskanzlei fest, dass der Ministerpräsident bei dem Gespräch „mit seinem nachweislich mit Corona infizierten“ (neudeutsch für „positiv getestet“) Staatskanzleichef Florian Herrmann (CSU) die Abstandsregeln eingehalten habe und zugleich auch das Büro in der Staatskanzlei über ein Belüftungssystem verfüge. Darum ist Söder nun plötzlich – Simsalabim – keine „Kontaktperson 1“ mehr. Obwohl er, der die Regeln ja wohl kennt und sich auch informieren konnte, gestern noch das Gegenteil mitteilte.
Komisch. Meine Verwandte hatte in der Schule in Bayern auch die Abstandsregeln eingehalten. Und gelüftet wurde auch ständig. Aber danach fragte nicht mal jemand vom Gesundheitsamt. Söder teilte via Twitter mit, er bleibe „trotzdem im Homeoffice“ – ohne eine Frist zu nennen. Wie lange? Eine Stunde? Einen Tag? Zugleich teilte der CSU-Chef mit, dass ein Corona-Test bei ihm am heutigen Dienstag negativ ausgefallen sei. War bei meiner Verwandten auch so, nachdem sie zwangsweise getestet wurde. Interessierte nur niemanden, und absitzen musste sie den Zweitarrest trotzdem.
Nach Prüfung des zuständigen Gesundheitsamtes bin ich keine Kontaktperson 1 und muss daher nicht in Quarantäne. Aus Vorsicht bleibe ich aber trotzdem im Homeoffice. Ein erster Test war negativ. Danke für alle netten Wünsche. #corona
— Markus Söder (@Markus_Soeder) December 22, 2020
In keinem anderen Bundesland sind die Behörden bei Corona so gnadenlos wie in Bayern. Und kaum ein anderes Bundesland hat eine schlechtere Corona-Bilanz aufzuweisen. Nur willfährigen Medien ist es zu verdanken, dass dieser Zusammenhang kaum thematisiert wird. Und nun übt ausgerechnet eine Behörde im rigidesten Bundesland beim Verfechter der härtesten Maßnahmen eine Milde, auf die einfache Bürger nicht hoffen dürfen. Wie hier mit zweierlei Maß gemessen wird, ist einfach nur beschämend.
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Text: br