Wie die meisten Menschen bin auch ich stolz auf meine Heimatstadt. Zumindest ein bisschen. Auf Bertolt Brecht, der nur ein paar hundert Meter entfernt von meiner Schule an der Kahnfahrt aufwuchs. Auf Rudolf Diesel, von dem viele gar nicht mehr wissen, dass er auch der Erfinder des gleichnamigen Motors ist. Und der streng genommen gar kein Augsburger war, den wir aber dazurechnen, weil er ein paar Jahre am Lech lebte, dort auch wirkte und sein Vater in der Fuggerstadt geboren ist. Genauso wie der Vater von Wolfgang Amadeus Mozart – der damit auch um ein Haar ein Augsburger gewesen wäre. Zudem sind da noch die Fugger, ihre )Sozialsiedlung Fuggerei, die Puppenkiste, der FCA, der Zwetschgendatschi und die zweitausendjährige Geschichte der Stadt.
Aber keine Angst. Das soll keine Geschichtsstunde werden, kein Lokalpatriotismus und auch keine Belehrung. Genauso wie Bertolt Brecht („Das Beste an Augsburg ist der D-Zug nach München“) hadere ich auch oft mit meiner Heimatstadt. Die mir auch dreißig Jahre nach dem Wegzug ebenso wie ihm noch anzuhören ist, zumindest nördlich des Weißwurst-Äquators, auch wenn mir umgekehrt waschechte Augsburger vorwerfen, ich würde schon „wie ein Preuße“ reden (was für Augsburger Verhältnisse wiederum ein dehnbarer Begriff ist). Alles ist eben relativ. Und ich will und werde mich auch sprachlich nicht verbiegen.
Aber ausgerechnet jetzt, im Jahr 2021, hadere ich wieder einmal besonders mit meinem Geburtsort. Und freue mich – meine Mit-Augsburger mögen es mir verzeihen – nicht mehr dort zu wohnen. Besonders streng war man da, wo Bayern und Schwaben aufeinander stoßen, in mancherlei Hinsicht schon immer. Aber dass nun ausgerechnet Augsburg den Vorreiter macht bei einer neuen und sehr zweifelhaften Regel, ist doch erstaunlich: Seit gestern gilt dort auch auf dem Fahrrad, E-Scooter oder Segway und sogar beim Individualsport wie etwa Joggen oder Nordic-Walking Maskenpflicht – wenn jemand in den in Bayern doch recht umfangreichen „Maskenbereichen“ unterwegs ist. In Augsburg umfasst die neben dem Zentrum auch zwei Naherholungsgebiete: Das gesamte Ufer des Kuhsees und Teile des Wertach-Ufers (siehe hier).
„Bisher wurden in Augsburg Fußgängerinnen und Fußgänger, die in Bereichen mit Maskenpflicht keine Mund-Nase-Bedeckung trugen, verwarnt“, schreibt das Portal Presse Augsburg: „Wer durch diese Bereiche mit dem Rad oder E-Scooter fuhr oder joggte, durfte dies laut Stadt Augsburg auch ausdrücklich ohne Maske. ‘Dieses Vorgehen wurde gewählt, um den Infektionsschutz und den praktischen Vollzug bestmöglich zu vereinen‘, erklärt Gesundheitsreferent Reiner Erben“ von den Grünen.
Erben betont, das Rathaus setze nur eine Verordnung des Freistaates um – wo Ministerpräsident Markus Söder (CSU) einerseits zwar als Corona-Hardliner gilt, andererseits aber wie durch ein Wunder nach einem Corona-Kontakt von seinem Gesundheitsamt, das ihm untersteht, von der Quarantäne befreit wurde (siehe hier).
Die Augsburger Allgemeine, bei der ich einst das journalistische Handwerk erlernte, berichtet das anders. Demnach wurden auch vorher schon Radler angehalten, wenn sie ohne Maske fuhren. Einer Studentin wurde ein Bußgeld von 250 Euro auferlegt – obwohl sie betonte, mit der Maske beschlage ihre Brille und sie könne dann schlecht sehen und nicht mehr sicher fahren. Die junge Frau kam mit dem Schrecken davon, die Stadtverwaltung verzichtete später auf die Vollstreckung der Strafe. Zuvor gab es einige Verwirrung und Unklarheit.
Die Informationen der Augsburger Allgemeinen legen nahe, dass meine Landsleute in Augsburg deshalb schlafende Hunde weckten. Jedenfalls schickten sie eine Anfrage an das Münchner Innenministerium, „ob die Maskenpflicht nach Ansicht der Staatsregierung wirklich für alle Personen gilt, die sich im öffentlichen Raum der Zonen mit Maskenpflicht aufhalten – also auch Personen im Auto, auf dem Motorrad, auf dem E-Scooter oder eben auf dem Fahrrad“. Prompt kam die Antwort: Ja. Obwohl von so einer strengen Auslegung in anderen Städten im Freistaat zumindest auf die Schnelle nichts in Erfahrung zu bringen war. Und die Staatsregierung vielleicht selbst gar nicht auf so eine Idee gekommen wäre, denn explizit steht dazu gar nichts in der Verordnung.
Augsburg könnte damit zum Vorreiter und Initiator für das Sporttreiben und Fahrradfahren mit Masken werden.
Nur im Auto darf man in meiner Heimat auch in den Maskenzonen noch „oben ohne“ fahren: Das Tragen einer Mund-Nase-Bedeckung sei dort nicht verpflichtend, wird aber empfohlen, wenn man mit jemanden aus einem fremden Haushalt fährt, heißt es bei Presse Augsburg. Wie lange diese Freiwilligkeit wohl noch halten wird? Der nächste Schritt wäre dann die Maskenpflicht in den eigenen vier Wänden.
Text: br
[themoneytizer id=“57085-3″] [themoneytizer id=“57085-16″] [themoneytizer id=“57085-19″]