Merkel und Lukaschenko Gute und böse Demonstranten

Nein, ich setze nicht Weißrussland und Deutschland gleich. Aber auch wenn mir Merkels Sprecher Steffen Seibert schon mehrfach auf der Bundespressekonferenz vorgehalten hat, man dürfe beide Länder nicht vergleichen: Ich weigere mich, die in Deutschland so stark verbreitete Verwechselung von Vergleich und Gleichsetzung zu übernehmen. Auch sie ist absurd. Man kann auch Josef Stalin mit Mahatma Gandhi vergleichen – nur wird man dann zu dem Schluss kommen, dass sie so gegensätzlich sind, wie es gegensätzlicher kaum geht. Nur ein Irrer dagegen könnte die beiden gleichsetzen.

Letzteres gilt auch für Minsk und Berlin. Aber dennoch: Wenn Merkels Sprecher in großer Regelmäßigkeit die Demonstrationen in Weißrussland in den höchsten Tönen lobt, so stellt sich die Frage, warum gleichzeitig in Deutschland mit aller Macht versucht wird, Kundgebungen zu unterbinden. Gerade das wäre doch ein Zeichen in Richtung Minsk: Seht her, in Demokratien darf demonstriert werden. Auch in schweren Zeiten.

Aber das Gegenteil ist der Fall. Deutschland gibt Lukaschenko in Minsk Steilvorlagen für die Verletzung von Grundrechten. Entsprechende Fragen habe ich auch Seibert in der Bundespressekonferenz schon gestellt (anzusehen hier und nachzulesen hier). Die Antworten waren ausweichend. Gerade teilte Querdenken-Anwalt Markus Haintz mit, dass das Verwaltungsgericht Bremen das Verbot einer für Samstag geplanten Demonstration gegen die Corona-Maßnahmen durch das Ordnungsamt der Hansestadt bestätigt hat. Das Verbot sei „zur Verhinderung der Verbreitung der Coronavirus-Krankheit erforderlich und im Übrigen verhältnismäßig“, so das Gericht (die Verbotsverfügung der Stadt finden Sie im Original unten). Auch in anderen Städten drohen solche Verbote. Aus dem Umfeld der Protestbewegung ist zu hören, dass die Staatsmacht offenbar alles tun werde, um Demonstrationen zu unterbinden, auf denen mehr als ein paar Hundert Menschen zusammenkommen.

Zweierlei Virus-Typen?

Wie auch immer man zu Querdenken steht: Grundrechte sind dafür da, diejenigen zu schützen, die unter Beschuss sind, verpönt, ausgegrenzt. Grundrechte, die nur bei politischem Schönwetter gelten, sind das Papier nicht wert, auf das sie geschrieben sind.

Ist das Virus in Deutschland ein anderes als in Weißrussland? Aus eigener Erfahrung weiß ich, dass das Gesundheitssystem dort weitaus schwächer ist als das in der Bundesrepublik. Wenn es nur um die Gesundheit und Menschenleben ginge, müssten Seibert und die Regierung die Menschen in Weißrussland auffordern, auf die Demonstrationen zu verzichten. Denn Hygieneregeln werden dort kaum eingehalten, auch Masken trägt ein großer Teil der Demonstranten nicht. Präsident Lukaschenko hält das Virus für ungefährlich, es gibt kaum Corona-Maßnahmen. Für die einen ist deshalb ausgerechnet die Diktatur in dem kleinen Land eine Insel der (Alltags-)Freiheit, für die anderen ist sie verantwortlich für unterlassene Hilfeleistung und für unnötiges Sterben – je nach Blickwinkel.

So wenig man ein autoritäres Regime wie Weißrussland  und ein Land mit einer in Gefahr geratenen Demokratie wie Deutschland gleichsetzen kann: Eine Regierung, die entscheidet, dass Proteste ihrer Opposition im eigenen Land weniger wert sind und weniger wichtig als Proteste von Unzufriedenen in anderen Ländern, hat damit streng genommen bereits den Weg der Demokratie verlassen. Auch Weißrusslands Präsident Alexander Lukaschenko ist sicher überzeugt, dass hinter den Protesten gegen ihn finstere Kräfte und Irre stehen. Genauso wie wohl alle autoritären Führer und Tyrannen vor ihm. Demokratie macht es aus, dass kein Regierender nach so einer Einstellung handeln darf. Dass die Regierenden eben nicht unterscheiden zwischen „begründeten“ und „unbegründeten“ Protesten.

Genau das tut aber die Bundesregierung. Und ziemlich unverhohlen.

Wasserwerfer als Beregnung

Nein, in Berlin verschwinden keine Regierungskritiker, und sie müssen auch nicht um ihr Leben fürchten wie in Minsk. Aber ist das ein Grund, hierzulande die Augen zu verschließen vor Auswüchsen der Staatsgewalt? Oder gar noch „härteres Durchgreifen“ gegen Andersdenkende zu fordern, wie viele Politiker und Journalisten? Es täte Merkel und ihren Getreuen gut, sich einmal die Bilder von brutaler und unnötiger Polizeigewalt in Berlin am 18. November anzusehen, am Tag der Verabschiedung des Corona-Gesetzes. Wo im kalten Herbstwetter Wasserwerfer gegen friedliche Demonstranten eingesetzt wurden. Wo Polizei und Fernsehen dies zynisch „Beregnung“ nannten, der künftige ARD-Chefredakteur die Polizei lobte, sie habe ein Auge zugedrückt. Und die Polizei später sogar noch behauptete, das helfe gegen Corona.

So ein Maß an Zynismus hat in demokratischen, freiheitlichen Gesellschaften nichts verloren. Es ist typisch für autoritäre Regime. Etwa für den Sozialismus. Oder postsowjetische Systeme wie in Weißrussland. Und offenbar inzwischen auch für andere Länder. In denen Menschen regieren, die in sozialistischen Kaderorganisationen politisch sozialisiert wurden.

Noch schlimmer als dieser Zynismus ist, dass er so vielen Menschen gar nicht mehr auffällt.

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Die Verbotsverfügung der Stadt Bremen:

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Bilder: Boris Reitschuster

Text: br

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