Nach 13 Monaten SARS-CoV-2 fehlt immer noch eine befriedigende Intensiv-Statistik Warum Corona-Patient nicht gleich Corona-Patient ist

Kürzlich hatte ich hier den Leserbrief eines deutschen Medizin-Professors veröffentlicht, in dem er mit der Corona-Politik der Regierungen abrechnete. Jetzt hat der Professor nachgelegt. Er schickte mir einen Text darüber, dass es die Behörden auch nach 13 Monaten Corona-Krise nicht geschafft haben, eine vernünftige Statistik der Belegung der Intensivstationen auf die Beine zu bringen. Hier der Text:

Die Statistiken sind nach über einem Jahr COVID-19 Teil unseres Lebens geworden. Andererseits ist es erstaunlich, dass auch nach 13 Monaten COVID-19 die Datengrundlage, zumindest die der Öffentlichkeit zugänglichen Daten, unbefriedigend ist. Nach manchen Zahlen muss man irre lang im Netz suchen, um diese zu finden. Ich möchte dies am Beispiel der Belegungszahlen auf den Intensivstationen deutlich machen.

Zuvor allerdings muss der DIVI gedankt werden, dass sie im vergangenen Jahr innerhalb weniger Tage ein Tool und eine Webseite geschaffen hat, welche die Belegung und die Verfügbarkeit von Intensivbetten tagesaktuell darstellt. Im Archiv dazu finden wir auch alle historischen Tagesreports, so dass man sich über den Verlauf, die Reserven etc. auch im Nachhinein tagesbezogen informieren kann. Den Zugang zu den Reports finden Sie hier.

Da die DIVI eigentlich eine Fachgesellschaft ist (Deutsche Interdisziplinäre Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin), deren Ziel ist, „Wissenschaft, Praxis und Forschung in Bezug auf die Intensiv- und Notfallmedizin zu fördern und Politik und Öffentlichkeit auf unsere Belange aufmerksam zu machen“, gehört das Erstellen eines solchen Registers nicht zu den ureigensten Aufgaben der DIVI. Dies hätten aus meiner Sicht die Länder und/oder der Bund im Pflichtenheft gehabt. Haben sie aber nicht abgearbeitet, daher der Dank an die DIVI.

Uneindeutige Begrifflichkeiten

Und jetzt muss ich aber etwas ausholen, um hier eine klare und eindeutige Begrifflichkeit herzustellen.

COVID-19 steht für „coronavirus disease 2019“, zu Deutsch: Coronavirus-Krankheit 2019. In den Statistiken werden alle Menschen aufgeführt, bei denen das SARS-Cov-2 Virus bzw. Virusbestandteile nachgewiesen sind.

Ein PCR-Test stellt aber keine Krankheit fest, sondern bedeutet nur einen Virus(partikel)nachweis. Der Nachweis von Viren in Zusammenschau mit einer bestimmten Symptomatik macht erst die „Krankheit“ aus, die dann vom Arzt festgestellt werden muss. Nota bene: In diesem Zusammenhang stört mich seit einem Jahr in allen Statistiken, auch in denen vom RKI, dass hier von „Genesenen“ gesprochen wird. Diese Zahl der „Genesenen“ errechnet sich aus der Zahl der Menschen mit positivem PCR-Test plus 14 Tage, wenn dann symptomlos, dann abzüglich der in diesem Zeitraum gestorbenen Menschen der Gruppe mit positivem PCR-Test. Aber „genesen“ kann man nur, wenn man krank war. Hier werden aber auch die symptomlosen Menschen mit einbezogen. Sachlich und fachlich aus meiner Sicht falsch. Genesen heißt „gesund“ werden. Gehen RKI und BGM künftig davon aus, das jedweder Virus(partikel)nachweis mittels PCR als „Krankheit“ einzustufen ist, wird unser Land und die Bevölkerung nie wieder gesund und wir werden für immer im Lockdown leben.

Und so hören wir immer: „an und mit COVID-19…“. Daraus ergibt sich: „mit“ kann ja auch beinhalten (s.o.), dass man nicht COVID-19-krank ist, sondern lediglich den SARS-CoV-2-Virus in Form von RNA-Bruchstücken nachgewiesen hat!

'An' (COVID-19) oder 'mit' (SARS-CoV-2)?

Nach diesem, aus meiner Sicht wichtigen, Exkurs zurück zum Thema.

Im Tagesreport werden alle Patienten mit „intensivmedizinischer Versorgung von Patient*innen mit COVID-19“ aufgeführt (Quelle s.o.). Ich frage mich, warum gibt es auch 13 Monate nach Beginn der COVID-19 Situation keine tagesaktuelle Statistik, anhand derer man erfassen kann, welche Patienten auf Intensivstation „an“ (COVID-19) oder „mit“ (SARS-CoV-2) behandelt und beatmet werden?

Um dies zu erläutern, möchte ich die vier gängigsten Gründe der Intensivpflichtigkeit in diesem Kontext darstellen.

  1. Ein Patient wird aufgrund der COVID-19-Erkrankung stationär aufgenommen und im Verlauf auf die Intensivstation verlegt und muss ggf. beatmet werden (wird „wegen“ COVID-19 intensivmedizinisch behandelt und ggf. beatmet).
  2. Ein Patient wird z.B. wegen eines Herzinfarkts oder Verkehrsunfalls (oder, oder, oder) notfallmäßig stationär aufgenommen; es stellt sich bei der Aufnahme heraus, er ist „auch“ SARS-Cov-2 positiv (aber symptomlos). (Dieser Patient wird „mit“ SARS-Cov-2 Nachweis intensivmedizinisch behandelt und ggf. beatmet, nicht aber „wegen“ COVID-19).
  3. Ein Patient wird z.B. an einer Herzklappe operiert und muss danach aufgrund eines komplizierten Verlaufes auf die Intensivstation. Dort wird er im Verlauf „positiv“, z.B. durch das Pflegepersonal oder Besucher, und ist symptomlos. (Dieser Patient wird „mit“ SARS-CoV-2 intensivmedizinisch behandelt und ggf. beatmet, nicht aber „wegen“).
  4. Ein Patient aus Gruppe 3 wird im weiteren intensivmedizinischen oder normalstationären Verlauf SARS-CoV-2 positiv. Dieser Virusbefall macht den Patienten symptomatisch und dies wird dann zur führenden Diagnose. Dieser Patient wird dann „wegen“ COVID-19 intensivmedizinisch behandelt.

Aber dann wäre es eine nosokomiale Erkrankung, ähnlich wie der gefürchtete „Krankenhauskeim“ MRSA. Nosokomial kommt aus dem Altgriechischen und bedeutet so viel wie „krank pflegen“. Eine nosokomiale Infektion ist also eine Infektion, die durch Mikroorganismen während eines stationären Krankenhausaufenthaltes ausgelöst wird. Dann müsste man die Hygienemaßnahmen im behandelnden Krankenhaus kritisch hinterfragen, auch aus haftungsrechtlichen Gründen.

Natürlich ist mir klar, dass alle 4 Beispielpatienten aufgrund einer Erkrankung intensivmedizinisch behandelt werden müssen und dass aufgrund des SARS-CoV-2-Nachweises die Schutzmaßnahmen bei allen 4 Patienten gleich sein müssen. Zumindest, solange bei ihnen SARS-CoV-2 nachgewiesen ist. Ich möchte hier nicht in die Diskussion über die Wertigkeit des PCR-Tests einsteigen, sondern einfach mal „so tun“, als sei hier alles korrekt.

Wir sehen aber, dass es erhebliche Unterschiede gibt, die zum Zählen als Corona-Patient auf einer Intensivstation geführt haben. Im Jahr 2020 wurden 36.305 Patienten mit der COVID-19-Nebendiagnose auf einer Intensivstation behandelt. Im DIVI-Register zählen sie alle als „Corona-Patienten“. Um ein Pandemiegeschehen wirklich abbilden zu können, sollte hier auf ein exaktes Datenmaterial zurückgegriffen werden. Warum das BGM, RKI oder die Länder dies bis heute nicht geschafft haben, erschließt sich mir nicht.

Verzerrende DRG-Codierung

Zudem ist die Diagnose „COVID-19“ falsch, wenn sie nicht symptomatisch waren. Daher dürfte bei diesen Patienten eigentlich nicht „COVID-19“ als Diagnose codiert werden, sondern höchstens der Virusnachweis. Dies ist aber schon ein Fehler in der Codierungsgrundlage, dem Kapitel XXII des Kodierhandbuchs der Diagnosen, ICD-10-GM, Version 2020 (nachzulesen hier). Hier heißt es: „Der Code U07.1!: COVID-19, Virus nachgewiesen. Benutze diese Schlüsselnummer, wenn COVID-19 durch einen Labortest nachgewiesen ist, ungeachtet des Schweregrades des klinischen Befundes oder der Symptome.“ Die Unterscheidung, ob der Virusnachweis zu einem erhöhten Behandlungsaufwand (abgesehen von den Schutzmaßnahmen) geführt hat, erfolgt nicht.

Doppelzählung durch Verlegung

Es tritt häufig auf, dass Patienten, die intensivmedizinisch in einem kleinen Krankenhaus mit im Mittel 8 -10 Intensivbetten behandelt werden, in eine Universitätsklinik oder ein anderes Krankenhaus der Maximalversorgung verlegt werden. (Weil Maximalversorger diese Patienten besser versorgen können. Dies spiegelt sich auch in den Medienberichten über überlastete Intensivstationen wider. Dies ist fast nie das „kleine Krankenhaus um die Ecke“, sondern nahezu immer ein Maximalversorger.) Dabei werden diese Patienten am Verlegungstag als 2 Fälle gemeldet: einmal durch das verlegende Krankenhaus, einmal durch das aufnehmende Krankenhaus (Quelle hier). „Anhand von AOK-Daten bis Ende Juli 2020 wurde analysiert, dass 10,8 Prozent aller stationären COVID-19-Fälle mindestens einmal verlegt wurden. Unter den beatmeten Patienten waren es 31,9 Prozent.“ (Quelle hier). Eine substanzielle, nicht hilfreiche Verzerrung der Datenlage.

Warum konnte man dies nach 13 Monaten COVID-19 noch nicht abstellen? Professor Wieler, der Bundesgesundheitsminister und die Sprecher bzw. Sprecherinnen der Bundesregierung verweisen ja immer wieder darauf, dass sie das ganze Pandemiegeschehen „im Blick“ haben, nicht nur die Inzidenzwerte, und führen dann immer die Zahlen des DIVI-Reportes an. Diese sind aber hinsichtlich der dahinterstehenden Zahlen, aber auch in der Definition, aus meiner Sicht nicht korrekt.

Diejenigen, die selbst wenig haben, bitte ich ausdrücklich darum, das Wenige zu behalten. Umso mehr freut mich Unterstützung von allen, denen sie nicht weh tut!

Gastbeiträge geben immer die Meinung des Autors wieder, nicht meine. Ich schätze meine Leser als erwachsene Menschen und will ihnen unterschiedliche Blickwinkel bieten, damit sie sich selbst eine Meinung bilden können.

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Bild: Alexandros Michailidis/Shutterstock
Text: Gast 

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