Neue Rechte, neue Linke – Balanciert sich die Zivilgesellschaft wieder aus? Der Linksruck und seine Folgen

Ein Gastbeitrag von Sönke Paulsen

Als ich vor zehn Jahren für die SPD zur Zivilgesellschaft recherchieren musste, fiel mir auf, dass die linke Seite der deutschen NGOs bereits ein deutliches Übergewicht hatte. Dazu habe ich hier, in meinem Artikel über die linke Zivilgesellschaft, bereits etwas geschrieben.

Die Mechanismen, mit denen die Zivilgesellschaft nach links verschoben wurde, bin ich allerdings schuldig geblieben. Ich war wohl zu erstaunt, um darüber nachzudenken.

Inzwischen ist mir das klarer geworden, auch während der Recherchen über die rechte Hälfte der Zivilgesellschaft. Gemeint sind Think-Tanks, politische Initiativen, aber auch Blogs, Zeitschriften und Verlage sowie ehrenamtlich helfende Organisationen und nicht zuletzt die Kirchen.

Ein Teil der Nichtregierungsorganisationen ist dabei nach Deutschland eingewandert, überwiegend aus den USA, wo viele (Amnesty, HR-Watch, CARE usw.) ihren Hauptsitz haben, aber nicht nur. Wir finden auch französische, englische, russische und türkische Organisationen, die sich ebenfalls in unserem politischen Spektrum positionieren.

Neu ist beispielsweise der russische Think-Tank DOC, der in Berlin residiert und stark vom Kreml beeinflusst wird. Es handelt sich um einen Think Tank, der neukonservative Werte behandelt, beispielsweise über die Krise der Souveränität in der Digitalisierung schreibt. DOC wird von dem Unternehmer Jakunin finanziert, der enge Kontakte zu Putin hat. Der Kreml bestreitet auch medial einen gewissen Anteil der Neuen Rechten. Sowohl Russia Today, als auch Sputnik berichten gern in deutscher Sprache über rechte Meinungsmacher.

Die Zivilgesellschaft ist nicht statisch rechts oder links, aber es gab erhebliche hegemoniale Anstrengungen im linken Sektor

Zur Schilderung der Mechanismen der politischen Positionierung von Organisationen kann man Einzelfälle aufzählen, wie beispielsweise die Verschiebung der Friedrich-A.-von-Hayek-Gesellschaft nach rechts, vorbei an der Friedrich-Naumann-Stiftung, die FDP-nah ist, in Richtung AfD. Ein anderes Beispiel ist die deutliche Linksverschiebung der evangelischen Kirchen in Deutschland, die inzwischen nicht davor zurückschrecken, politische Plakate an ihren alten Gemäuern anzubringen (Beispiel: „Rechtspopulismus schadet der Seele“ an der Kirche in Berlin Lankwitz).

Viele traditionelle Organisationen verschieben sich oder werden verschoben und verändern damit das Gleichgewicht der Zivilgesellschaft insgesamt.

Es gibt Aufsteiger, die durch die richtigen Regierungskontakte und einen politischen Bedarf nach oben gespült werden, wie die Amadeu-Antonio-Stiftung, die zu siebzig Prozent staatlich finanziert ist und die neuen Bundesländer politisch-links, teils mit Methoden aus dem Handbuch der Staatssicherheit, missioniert.

MERKELEs gibt auch Absteiger, wie die Initiative für Neue Soziale Marktwirtschaft, die neoliberale Politikinhalte noch vor wenigen Jahren prominent in Berlin platzieren konnte und eine enge Zusammenarbeit mit der ebenfalls neoliberalen Bertelsmann-Stiftung pflegte. Von der INSM spricht heute kaum noch einer. Die neoliberalen Positionen der Initiative wurden durch die linke Hegemonie geschwächt.

Trotzdem hat die Zivilgesellschaft in der rechten Hälfte inzwischen aufgeholt. Möglich hat dies vor allem die Migrationskrise vor fünf Jahren gemacht, die eigentlich weiterhin anhält. Es gibt eine ganze Reihe von Initiativen, Blogs, Zeitschriften und Verlagen, die in den letzten Jahren nach oben gekommen sind oder neu gegründet wurden. Ungewollt hat der linksorientierte Rowohlt-Verlag eine Landkarte herausgebracht, die unter dem Titel „Das Netzwerk der Neuen Rechten“ dem politisch rechtsstehenden Leser eine bessere Orientierung gibt, als empörungslustigen Linken, denen das Skandalöse häufig zu kurz kommt. Die Autoren unterscheiden auch explizit zwischen neuen Rechten und alten Rechten, wobei sie den größten Teil des politischen Extremismus weitgehend korrekt, den alten Rechten zuschreiben.

Zitat zur Abgrenzung von den alten Rechten: „Im Gegenteil dazu lehnen die Vertreter*innen der Neuen Rechten diese Überzeugungen ab und setzen sich in Kleidung, Habitus und Lebensstil bewusst davon ab. Die Anhänger*innen leugnen weder die Shoah noch die Konzentrationslager, betonen aber lieber die über tausendjährige Traditionslinie der Deutschen und wollen die deutsche Geschichte nicht auf den Nationalsozialismus reduziert wissen. Die Neue Rechte entstand in den 1960er Jahren in Frankreich (»Nouvelle Droite«), der Begriff tauchte 1964 erstmals auch in Deutschland auf. Im Gegensatz zu den „alten Rechten“ begründen sie ihre gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit nicht mit biologischem Rassismus, sondern mit Kultur und Identität, die reingehalten werden solle („Ethnopluralismus“). Eine ausführliche Beschreibung des Konzeptes der Neuen Rechten gibt es im Buch zur Webseite.“

Man kann sagen, was man will. Eine so faire Abgrenzung zum Extremismus gibt es bei Beschreibungen der Neuen Linken (Beispiel Wikipedia) nicht. Dort werden auch der Linksterrorismus sowie antideutsche und stalinistische Gruppierungen der Neuen Linken zugeschlagen. Auch in linksorientierten Verlagen scheinen die Neuen Linken wesentlich extremistischer dazustehen, als die neuen Rechten, was vermutlich noch niemandem aufgefallen ist und wohl erst später korrigiert werden wird. Bis dahin gilt, dass die „gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit“ linker Gruppen (wie Stalinisten, RAF, revolutionäre Zellen, Autonome und Antifa, Antideutsche) hinlänglich bekannt und geschichtlich erwiesen ist. Das zu revidieren hat die linke Hegemonie bisher nicht erreicht.

Wie auch immer lohnt eine Reise durch die Welt der Neuen Rechten, die keinesfalls nur aus Identitären und Reichsbürgern besteht. Allerdings sollte man genau hinschauen. Denn die politischen Anschauungen der Neuen Rechten, vom Compact-Magazin bis zur Hayek-Gesellschaft, sind mehr als divergent.

Teilweise liegen zwischen rechts und rechts Welten!

So entstand das Compact-Magazin von Elsässer in einer Phase der Querfront-Ideen (deshalb auch die Offenheit für Grüne und Linke), die man immer noch in den Publikationen herauslesen kann. Die Hayek-Stiftung dagegen vertritt seit geraumer Zeit einen kompromisslosen Wirtschaftsliberalismus des neunzehnten Jahrhunderts, in dem die Unternehmen die staatlichen Regeln zu ihrem eigenen Schutz setzen und mit Freiheit niemals individuelle Freiheit oder gar Bürgerrechte gemeint sind, sondern ausschließlich die unternehmerische Freiheit. Der Vorsitzende der Stiftung, Horst Köhler, drückt sich in seinen Reden gern darum, das zuzugeben und schönt den radikalen Ansatz Hayeks, wo er kann. Eine Laudatio auf den Preisträger, Gauck, der nun auch etwas neurechts geworden zu sein scheint, stöhnt unter Begriffsverschiebungen, die Hayek irgendwie zeitgemäß erscheinen lassen sollen. Da haben sich zwei ehemalige Bundespräsidenten zusammengefunden und nach rechts verschoben.

Wirklich Neues wird also auch bei den Neuen Rechten nicht gedacht.

Die Zivilgesellschaft an sich ist nicht demokratisch, was ein Dilemma darstellt.

Man erkennt bei zunehmender Beschäftigung mit dem Thema, dass sich Demokratie keinesfalls in einzelnen Organisationen und Initiativen der Zivilgesellschaft abbildet, seien sie rechts oder links. Innerhalb der Organisationen herrscht meist keine Demokratie und die Ideen sind oft auch nicht demokratisch. Demokratisch ist letztlich nur ein Gleichgewicht vieler solcher NGOs, Think-Tanks und Initiativen. Darauf wird meist nicht geachtet.

Wen es interessiert, der schaue mal bei Compact Online (positiver Artikel über die Corona Maßnahmen von Boris Palmer in Tübingen) rein oder in andere ähnliche Publikationen. Viele andere neurechte Medien finden sich tatsächlich auf der Übersichtskarte im Internet der beiden Autoren von „Das Netzwerk der neuen Rechten“.

In vielen Publikationen, die man als neurechts bezeichnen könnte, ist natürlich die Pandemie das herausragende Thema, was auch nicht verwundert. Denn wer lässt sich dieses Feuerwerk von Beugungen des Rechtsstaates durch Bund und Länder entgehen, wenn er der Gegenseite demokratiefeindliches Verhalten (das Schlimmste also) unterstellen will.

Im Prinzip unterstellen ja heute alle allen, dass sie demokratiefeindlich sind. Dabei sind die meisten Funktionäre der Zivilgesellschaft (einschließlich der meisten Medien) „überzeugte Demokraten“, die eben nur die anderen vom Diskurs ausschließen möchten.

Der Putinismus scheint uns irgendwie geprägt zu haben (wie schon erwähnt spielt Putin in unserer Zivilgesellschaft auch kräftig mit und zwar im rechten Feld, also nicht in Merkels Mannschaft).

Ihren Höhepunkt findet eine solche einseitige Demokratieauffassung aber im offiziell organisierten „Kampf gegen Rechts“. Eine Propagandaaktion mit Geld und Segen der Regierung, die aber auch die Moralisierungslust der Deutschen sehr anspricht. Einer der wenigen kritischen Artikel in den Leitmedien findet sich übrigens in der FAZ.

Die abgeschwächte Kampagne, der „Kampf gegen Rassismus“, ist schon älter und wird unter anderem von allen Entwicklungs- und Hilfsorganisationen mitgetragen, die nebenbei ihr Geschäftsmodell in der Unterstützung afrikanischer Länder haben. Somit ist die Teilnahme am Kampf gegen Rassismus quasi Pflicht, um auch in Zukunft staatliche Finanzierungen zu erhalten.

Der Dachverband deutscher Hilfsorganisationen, „VENRO“ war hier mit als erster dabei, hat seine damalige Pressemitteilung inzwischen allerdings gelöscht. Insbesondere die Abhängigkeit von europäischen und staatlichen Geldern scheint einer der Hauptgründe für viele Organisationen zu sein, nach Links zu rücken und den „Kampf gegen Rechts“ oder den „Kampf gegen den Rassismus“ explizit zu unterstützen, obwohl politische Agitation eigentlich gar nicht zu ihren Aufgaben gehört.

Hier ist einiges aus dem Gleis geraten. Das politische Wohlverhalten vieler caritativer Organisationen ist schlicht und einfach von EU und Bundesregierung gekauft.

Zurück zur Neuen Rechten

Interessant ist, dass auch Teile der Union in der Diskussion um die Neue Rechte erwähnt werden. Die Werte-Union, eine nicht offizielle Gruppierung innerhalb der CDU, hat durch den Eintritt des geschassten Verfassungsschutzpräsidenten Hans Georg Maaßen eine gewisse Bekanntheit bekommen. Der wertkonservative Flügel der Partei ist allerdings nicht neu.

Die Union hat sich unter der Kanzlerschaft von Merkel bis tief in den Kern sozialdemokratischer Wählerkreise hineingefressen und damit rechte Teile der Zivilgesellschaft, beispielsweise auch die kriselnde katholische Kirche, allein gelassen. Die Werte-Union möchte das korrigieren und wird folglich von links öffentlich in AfD-Nähe gedrängt.

Andere Gruppierungen, wie beispielsweise die Union der Mitte (in der sich die Merkel-Fans befinden), wollen den Linkskurs der Kanzlerin, mit Option einer schwarz-grünen Regierung ab 2021, in jedem Falle halten. Auch die meisten Arbeitgeberverbände, die sich traditionell im rechten Feld der Zivilgesellschaft verorten, setzen auf diese eher linke Union der Mitte, die sie für zukunftsfähiger halten, die vor allem, mit Schwarz-Grün, eine feste Machtoption bietet.

So entstehen teils absurde Konstellationen, dass ehemals konservative Unternehmen wie Siemens (Betreiber von Kohlekraftwerken), Organisationen wie „Fridays for Future“ Mitwirkungsrechte im Konzern anbieten. Das ist zwar nicht ganz ungewöhnlich, es gab auch schon Kooperationen zwischen Shell und Greenpeace oder zwischen Nestlé und Food Watch, aber als breit rezipierte PR-Aktionen sind solche Linksverschiebungen neu.

Auch die konservativen Medienunternehmen sind längst komplett nach links umgezogen, zumindest gibt man sich links im Merkelismus. Die Inhalte scheinen manchmal egal zu sein, ein Konsens der Cocktail-Partys angenehm macht, ist wichtiger.

Auch Friede Springer, die das ehemals konservative Boulevard-Blatt im Sinne ihrer besten Freundin Angela Merkel regierte, gibt sich heute links. Bei der Verleihung des Freiheitspreises der Friedrich-Naumann-Stiftung im Oktober wurde ihre Position vom Vorstand Döpfner gelobt: „Niemals Toleranz für die Intoleranz. Niemals Diskriminierung. Niemals Ausgrenzung. Sei es wegen sexueller Orientierung, wegen Hautfarbe, Nationalität oder Religion.“ Springer selbst fügt noch an: „Ich sehe in der Freiheit auch immer unsere Verantwortung zur klugen, wahren, fairen Berichterstattung.“ Sagt die Herrin der Bildzeitung im Jahr 2020. Man denkt unwillkürlich, dass sie entweder Kreide gefressen oder Elektroschocks bekommen haben muss. Aber vielleicht reichte ja auch die Freundschaft mit Angela Merkel für diese politische Konversion aus.

Selbst die extrem konservative Alfred-Herrhausen-Gesellschaft der Deutschen Bank, die ich vor zehn Jahren noch voll auf neoliberalem Kurs verorten musste, gibt heute sozialistischen Forderungen Raum, veranstaltet wohlmeinende Diskussionen über das bedingungslose Grundeinkommen oder über Finanzethik. Das wäre vor wenigen Jahren völlig undenkbar gewesen. Alfred Herrhausen starb bekanntlich 1989 bei einem Bombenattentat, bei dem es ein Bekennerschreiben der Roten Armee Fraktion (RAF) gab. Die Täter wurden nie ermittelt, aber ein linksterroristischer Hintergrund steht im Raum. Möglicherweise laufen die Täter (wahrscheinlich ehemalige Linksterroristen) jetzt unbehelligt im politischen Berlin mit und schauen auch dann und wann mal bei der Herrhausen-Gesellschaft rein.

Die Neue Rechte findet sich also in einem politisch volatilen Umfeld wieder, in dem sich traditionell rechte Player entweder scheinbar (Siemens, Springer) oder tatsächlich (Union) nach links verschieben.

Die neuen Rechten fordern auch für sich Toleranz ein, die den Konservativen jetzt verwehrt wird und sie an den Rand des Rechtsextremismus-Vorwurfes bringt, wenn sie dem allgemeinen und verordneten Linkstrend nicht folgen. Wenn Ihnen die Toleranz verwehrt wird, schreiben sie eben Bücher, die es nicht selten an die Spitze der Bestseller-Listen schaffen (Sarrazin, Maaßen). Erfolgreiche Blogs fangen „gefallene Journalisten“, Publizisten und Politiker auf, die im Mainstream ausgegrenzt werden. Von Toleranz ist da nicht zu reden. Entweder man geht oder wird gegangen. So wurde Roland Tichy kürzlich zum Rücktritt vom Vorsitz der Ludwig-Ehrhardt-Stiftung genötigt, weil er einen angeblich sexistischen Tweet gegen die Politikerin der SPD Chebli gelassen habe. Genötigt wurde er ausgerechnet von zwei Unionspolitikern (Bär und Spahn).

Man sieht, dass die Auseinandersetzung um die Hegemonie in der Zivilgesellschaft kein Kindergeburtstag ist. Einen demokratischen Diskurs wird es erst dann geben, wenn das rechte Spektrum der Zivilgesellschaft gestärkt ist und sich im Mainstream mit seinen Meinungen frei bewegen kann.

Bis dahin ist es noch ein weiter Weg, den es aber lohnt, zu beobachten. Denn die Neuen Rechten schlafen nicht. Sie finden ihr Publikum, so oder so. 

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Gastbeiträge geben immer die Meinung des Autors wieder, nicht meine. Ich schätze meine Leser als erwachsene Menschen und will ihnen unterschiedliche Blickwinkel bieten, damit sie sich selbst eine Meinung bilden können.

Sönke Paulsen ist freier Blogger und Publizist. Er schreibt auch in seiner eigenen Zeitschrift „Heralt“

Bild: Billion Photos / Shutterstock
Text: Gast
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