Orwell in Oberbayern – Fischerwirtin verurteilt Anwalt droht mit Verfassungsbeschwerde

Chronik einer Krankheit

Corona macht krank. Darüber berichten wir. Geschichten, die es nicht in die Medien schaffen. Die Serie „Kollateralschaden“ basiert auf Berichten Betroffener der Coronapolitik. Damit keiner sagen kann: „Das haben wir nicht gewusst!“

Fischerwirtin verurteilt

Von Johanna und Frank Wahlig

Christi Himmelfahrt 2020 am Kochelsee, Vatertag: Beim Fischerwirt in Schlehdorf feiern Stammgäste und Dorfprominenz bei Weißwurst und Bier zu Harmonika- und Harfenmusik. Traditionell, stimmungsvoll. Der Himmel weiß-blau, in Sichtweite die Berge.

Die Juniorchefin vom Fischerwirt, Laura, hat die aktuellen Corona-Auflagen studiert. Im Biergarten sitzen nicht mehr als zwei Haushalte an einem Tisch. Gelbe Bänder geben die Laufrichtung vor. Die Belegschaft in zwei getrennte Gruppen unterteilt. Hygienezettel auf den Tischen.

Dann kommt die Polizei. Mehrere Mannschaftswagen halten vorm Lokal. Die Polizei beendet die fröhliche Gesellschaft: „Musik aus! Sonst ist der Laden zu!“ Musik bei Bier und Weißwurst, das sei eine Veranstaltung, so die Polizei, und Veranstaltungen seien in dieser Zeit verboten.

Fischerwirtinnen Laura und Michaela Wagner-Adams

Die erste Anzeige für den Fischerwirt. Die erste Anzeige von vielen.

Jetzt wurde der Betreiberin des Fischerwirts vor dem Amtsgericht Wolfratshausen der Prozess gemacht. Dort kamen eine ganze Reihe von Anschuldigungen zur Verhandlung. Denn auch Gäste von Fischbachau bis Gütersloh hatten den Fischerwirt angezeigt. Sie waren zur Verhandlung als Zeugen geladen. Nach den bayerischen Coronaregeln waren ganze zehn Zuschauer im Gerichtssaal erlaubt. Rund 150 Unterstützer der Gastwirtin mussten draußen bleiben und warten. „Tatzeugen“, also Kellner und Stammgäste, wurden vom Gericht nicht gehört. Auch sie warten vor der Tür auf das Ergebnis der Verhandlung. Die Verurteilung der Fischerwirtin Michaela Wagner-Adams.

Tempel der Schwurbelei

„Die Polizei ist Stammgast“, sagt die Fischerwirtin

Seit dem „Vatertagsumtrunk“ ist die Polizei „Stammgast“ beim Fischerwirt. Im Sommer gingen alle paar Tage Anzeigen von Gästen bei Polizeioberkommissar Johann E. von der Polizeistation Kochel ein, berichtet der Beamte bei der Verhandlung am Amtsgericht Wolfratshausen. Die Gäste beobachten und zeigen an, aufmerksame Menschen.

Gäste seien ohne Mund-Nasenbedeckung in der Gaststube, Kellner hätten ohne Maske Gäste bedient, Kellner hätten ihnen bekannte Stammgäste umarmt, Kugelschreiber seien nicht desinfiziert, Salzstreuer stehen auf dem Tisch. Und außerdem mache die Fischerwirtin aus ihrer „Gesinnung“ kein Geheimnis. Sie gehe auf Demos gegen die Coronamaßnahmen und hänge Plakate am Gartenzaun auf, im Lokal lägen Flyer aus, die coronakritisch seien. All dies hatten Gäste zur Anzeige gebracht.

Angeklagt vor dem Amtsgericht Wolfratshausen war die Inhaberin des Fischerwirts, Michaela Wagner-Adams. Nach vier Stunden Verhandlung – die Zeugen bestätigten die Vergehen – fiel das Urteil. Die Fischerwirtin wurde verurteilt: 3.500 Euro Strafe.

Stammgäste und Unterstützer draußen vor dem Gericht wollen spontan Geld sammeln und es der Fischerwirtin spenden. „Das ist rührend“, sagt die Wirtin, „doch es geht mir nicht ums Geld“.

Gäste der Fischerwirtin sind Ankläger und Zeugen

Die Fischerwirtin Michaela Wagner-Adams zeige ganz offen eine „falsche“ Gesinnung, so die Einlassung des Zeugen Christoph M., eines Kommunikationsberaters aus München. Der Werbefachmann hat im Wirtshaus auf dem Weg zur Toilette „Querdenker-Propaganda“ entdeckt, erzählt er vor Gericht, um die „falsche Gesinnung“ zu verdeutlichen. Der Fischerwirt in Schlehdorf sei ein „Tempel der Schwurbelei“. Da gehe er nicht mehr hin, so der Werbefachmann. Er habe nach dem Besuch die örtliche Regionalzeitung informiert. Andere Gäste haben die Wirtsleute bei Gesundheitsamt und Polizei angezeigt, zum Beispiel Lehrerin Barbara W.-S. aus dem benachbarten Iffeldorf. Die Frau habe sich wegen mangelnder Abstände zwischen Tischen „unwohl“ gefühlt. Nachgemessen hat die Frau nicht. Oder Asthmapatientin, Hausfrau Marianne N.-S. aus Fischbachau. Und das Urlauber-Ehepaar Petra und Klaus Sch. aus Marburg sowie eine Touristin aus Gütersloh. Alle zeigten an, dass nicht alle Kellner Masken trugen und die Abstände augenscheinlich nicht eingehalten worden sein sollen.

Person bekannt, Gesinnung bekannt: Wiederholungsgefahr!

„Bei uns haben einige Kellner Maskenatteste wegen gesundheitlicher Probleme, weil sie bei der anstrengenden Arbeit in Wirtshaus und Biergarten Atemnot, Kreislaufbeschwerden oder Bluthochdruck bekommen, wenn sie Masken tragen müssen“, erklärt die Wirtin. „Soll ich den Leuten kündigen?“, fragt die Wirtin die Richterin. Aus Personalnot müsse man schon jetzt zwei Tage Ruhetag pro Woche einlegen, weil man die Arbeit nicht schaffe. Personalmangel wie eh und je, mit und ohne Maskenattest …

Richterin Hagenfeldt stellte fest, die corona-kritische Einstellung der Wirtin sei bekannt und sie habe sich „bewusst aufgelehnt“. Mit Wiederholungsgefahr! „Wenn nicht genügend Kellner mit Maske zur Verfügung stehen, dann müssen Sie halt an diesem Tag schließen … oder dann sollten Sie darüber nachdenken, das Arbeitsverhältnis zu beenden“, so rät die Richterin der Fischerwirtin.

Das Bußgeld wurde von der Richterin auf 3.500 Euro festgesetzt. Die Richterin zur Wirtin: „Damit haben sie noch wahnsinnig Glück gehabt.“ Denn die Regelgeldbuße betrage 5.000 Euro bei solchen Vergehen.

„Abstandsregeln im Biergarten und Maskenpflicht bei der Arbeit verfassungswidrig!“

„Tatzeugen“, also betroffene Kellner oder beschuldigte Stammgäste, waren nicht geladen, bemängelt Verteidiger David Mühlberger. Beweise für mangelnde Abstände fehlten. Eine Verurteilung auf der Basis von „Beobachtungen“ also. Ein Verfahren nur mit „Belastungszeugen“. Der Anwalt schüttelt den Kopf.

Der zweite Verteidiger, Dr. Josef Hingerl, hält die Richterin für „befangen“. Aber „ich werde Sie nicht ablehnen“, sagt er zur Vorsitzenden Sandra Hagenfeldt. „Das hat keinen Sinn.“ Der Anwalt strebt Verfassungsbeschwerde an. Denn die Grundlage für die Klage gegen die Fischerwirtin – von Abstandsregeln im Biergarten bis zum Maskentragen bei der Arbeit für die Kellner – sei verfassungswidrig, die Klage damit nichtig. Alle Beweise des Verteidigers Dr. Hingerl wurden von der Richterin Hagenfeldt abgelehnt. Die Anwälte kündigen Beschwerde gegen das Urteil an.

Zuspruch aus aller Welt: Fischerwirt ausgebucht

„Wir wollen für alle unsere Gäste da sein“, beteuert Juniorchefin Laura. Auch wenn sie die Wirtsleute hinterher anhängen und Denunzianten sind. Gerade deshalb erfährt der Fischerwirt unerwarteten Zuspruch und ungebrochenen Zulauf: In Internetforen wurde zum Besuch des Prozesses gegen den „Mutwirt“ vom Kochelsee aufgerufen. „Standing Ovations“ und Applaus, als die Fischerwirtin und ihre Anwälte nach über vier Stunden Verhandlung das Gericht verlassen. Kamerateams warten vor der Tür. Spendenaufrufe im Internet für die Finanzierung von Anwälten und Bußgeldern. „Aus aller Welt erreichen uns Gäste und Zuschriften. Von Niederbayern bis Florida“, erzählt Laura Adams. Die Ferienwohnungen sind weit über die Saison hinaus belegt. Wirtshaus und Biergarten sind mit alten und neuen Stammgästen ausgebucht. Reservierung dringend empfohlen.

Diejenigen, die selbst wenig haben, bitte ich ausdrücklich darum, das Wenige zu behalten. Umso mehr freut mich Unterstützung von allen, denen sie nicht weh tut!

Gastbeiträge geben immer die Meinung des Autors wieder, nicht meine. Ich schätze meine Leser als erwachsene Menschen und will ihnen unterschiedliche Blickwinkel bieten, damit sie sich selbst eine Meinung bilden können.

Johanna Wahlig ist Politologin, Journalistin und Unternehmerin. Frank Wahlig ist Historiker und war 30 Jahre lang ARD-Hauptstadtkorrespondent.
Bild: privat
Text: Gast

 

mehr aus der Rubrik Kollateralschaden auf reitschuster.de

 

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert