Pensionen: EU-Abgeordnete kassieren doppelt und dreifach ab Brüssel als Selbstbedienungsladen

Von reitschuster.de

Die Rente ist sicher! Was einst schon Norbert Blüm zu wissen glaubte, gilt zumindest für die Abgeordneten des EU-Parlaments. Brüssel informiert über die entsprechenden Dienst- und Versorgungsbezüge wie folgt: „Die Mitglieder haben mit Vollendung des 63. Lebensjahres Anspruch auf eine Altersrente. Die Altersversorgung entspricht 3,5 Prozent der Dienstbezüge für jedes volle Jahr der Ausübung des Mandats, liegt insgesamt jedoch höchstens bei 70 Prozent der Dienstbezüge.“

Unter Berücksichtigung des Inflationsausgleichs kann da in Einzelfällen auch mal eine Summe im hohen vierstelligen Bereich zusammenkommen. Doch das war nicht immer so. In den ersten Jahren hatten EU-Abgeordnete ihre Schäfchen für das Alter noch nicht unbedingt im Trockenen, vor allem dann nicht, wenn sie beispielsweise nur eine Periode in Brüssel und Straßburg zugebracht haben.

Deshalb wurde im Jahr 1989 der sogenannte „Freiwillige Pensionsfonds des Europäischen Parlaments“ aus der Taufe gehoben, bei der es sich um eine private Gesellschaft nach luxemburgischem Recht handelt. Wenn man so will, ist dieser Fonds am ehesten noch mit einer Art der privaten Altersvorsorge zu vergleichen, der zu nicht unwesentlichen Teilen durch Steuergelder finanziert oder, besser gesagt, subventioniert werden muss.

Denn: Über dem „privaten“ Rentenfond der EU-Parlamentarier kreist faktisch der Pleitegeier und das nicht erst seit gestern. Das Debakel war offensichtlich schon spätestens im Jahr 2009 absehbar. Nicht umsonst schreibt Brüssel über diesen Fonds: „In das 1989 eingeführte zusätzliche Altersversorgungssystem für Mitglieder des Europäischen Parlaments wurden ab Juli 2009 keine neuen Mitglieder mehr aufgenommen, so dass das System ausläuft.“ Es wird – vor allem für die Steuerzahler – jedoch ein Ende mit Schrecken!

Fonds steht mit mehr als 300 Millionen Euro in der Kreide

Bis heute hat der Rentenfonds ein Defizit in Höhe von mehr als 300 Millionen Euro angehäuft, spätestens Ende 2024 droht der endgültige Kollaps. Deshalb soll jetzt die EU einspringen und die üppige Zusatz-Rente für ihre Parlamentarier absichern. Das geht aus einem Memorandum des italienischen Fonds-Generalsekretärs Alessandro Chiocchetti hervor, das den Kollegen des internationalen Journalisten-Netzwerks „Investigate Europe“ zugespielt wurde.

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Demnach soll jetzt zunächst das aus 20 Mitgliedern bestehende Präsidium des EU-Parlaments darüber befinden, ob und gegebenenfalls in welcher Höhe die Steuerzahler in der EU zur Kasse gebeten werden. Der Clou dabei: Drei dieser Politiker – Othmar Karas (Österreich, ÖVP), Dimitrios Papadimoulis (Griechenland, Linke), Roberts Zile (Lettland, Nationalkonservative Partei) – haben selbst noch Ansprüche aus dem insolventen Pensionsfonds und dürfen damit selbst über die Zukunft ihrer eigenen Zusatz-Rente (mit)entscheiden.

Diese bunte Mischung aus allen EU-Mitgliedsstaaten und dem gesamten politischen Spektrum steht exemplarisch für die Anspruchsberechtigten und liefert wohl auch die Erklärung dafür, weshalb der ganz große Aufschrei der Empörung bisher ausgeblieben ist. Inge Gräßle (CDU) war bis 2019 Vorsitzende des Ausschusses für Haushaltskontrolle, der sich mit dem aktuellen Skandal befasst. Die heutige Bundestagsabgeordnete bezeichnet die Vorgänge rund um den Rentenfonds im „tagesspiegel“ als „skandalös“.

System wurde mit ‚geradezu krimineller Energie‘ geschaffen

Noch etwas deutlicher wird der aktuelle EU-Abgeordnete Daniel Freund (Grüne), der von einem System spricht, das „mit geradezu krimineller Energie“ geschaffen worden und „von Anfang an zum Scheitern verurteilt“ gewesen sei. Und in Richtung der drei Vize-Präsidenten aus Griechenland, Österreich und Lettland fordert Freund: „Es kann nicht sein, dass die drei Abgeordneten jetzt über ihre eigene Zusatz-Rente entscheiden. Sie sollten sich zumindest nicht an den Debatten und Abstimmungen beteiligen.“

Der Grieche hat vor wenigen Tagen – nachdem der Skandal publik geworden war – mitgeteilt, auf künftige Ansprüche verzichten zu wollen. Seine beiden Kollegen haben sich bisher ebenso wenig dazu geäußert wie die italienische Parlamentspräsidentin Roberta Metsola. Laut dem Unternehmensregister in Luxemburg zählt der Fonds heute 660 Anspruchsberechtigte, den Recherchen von „Investgate Europe“ zufolge sollen jedoch 908 ehemalige und aktuelle EU-Abgeordnete zu den Nutznießern gehören.

Brüssel als Selbstbedienungsladen für Parlamentarier

Die Entstehung des „Freiwillige Pensionsfonds des Europäischen Parlaments“ wirkt nicht nur aus heutiger Sicht wie ein astreines Schurkenstück. Schon mit Zahlungen von wenigen hundert Euro im Monat – die Rede ist von 231 bis 359 Euro – wurde ein lebenslanger Anspruch auf die lukrative Zusatzrente aus dem Fonds erworben. Einzige „Bedingung“: Die Beiträge mussten mindestens zwei (!) Jahre lang bezahlt werden. Wer 19 Jahre lang einbezahlte, erreichte so die maximale Höhe von 6.800 Euro – pro Monat versteht sich.

Aber es kommt noch dicker: Die Beiträge wurden mit Mitteln aus dem EU-Haushalt, sprich des Steuerzahlers üppig subventioniert. Auf jede individuell geleistete Einzahlung legte Brüssel den doppelten Betrag nochmal obendrauf. Für eine Einzahlung von 300 Euro wanderten also insgesamt 900 Euro in den Fonds. Über die Jahre hinweg wurde der EU-Haushalt dadurch um rund 100 Millionen Euro erleichtert.

Im Jahr 2004 wurde der Parlamentsverwaltung klar, was eigentlich von Beginn an hätte offensichtlich sein müssen: Das Modell rechnete sich nicht, die Entnahmen überstiegen die Einzahlungen bei Weitem. In der Folge wurden die Beiträge deshalb verdreifacht, wiederum im bereits „bewährten“ Verhältnis: Ein Drittel der Parlamentarier, zwei Drittel der Steuerzahler.

Diese lebenserhaltende Maßnahme funktionierte bis zum Jahr 2009. Dann wurde der Fonds endgültig dichtgemacht, was sich jedoch lediglich auf die Aufnahme neuer Mitglieder sowie die bisherigen Einzahlungen bezog. Die Ansprüche der bisherige Berechtigten blieben weiterhin bestehen – mit dem jetzt öffentlich gewordenen Ergebnis eines Defizits in Höhe von 300 Millionen Euro.

Besonders dreist: Von den damals 20 amtierenden Mitgliedern des Parlamentspräsidiums gehörten 15 auch zu den Architekten des Pensionsfonds. Lediglich der Niederländer Jan Mulder stimmte gegen die Einrichtung dieser ganz speziellen Rentenkasse. Alle anderen Vize-Präsidenten stimmten dafür, einen Interessenskonflikt konnte dabei offenbar niemand erkennen.

Dem Bericht zufolge stehen 21 aktuelle EU-Parlamentarier auf der Liste des Fonds, aus Deutschland etwa Michael Gahler (CDU). Ranghöchstes Mitglied ist Kommissions-Vizepräsident Josep Borrell. Da der Spanier 75 Jahre alt ist, erhält er die Zusatz-Rente zuzüglich zu seinem regulären Salär in Höhe von rund 20.000 Euro pro Monat. Weitere prominente Namen auf der Liste: Marine Le Pen (Frankreich), Nigel Farage (Großbritannien) oder Alexander Graf Lambsdorff (Deutschland, FDP).

Als ehemalige Mitglieder des Fonds werden aus Deutschland unter anderem die Grünen-Politiker Cem Özdemir und Claudia Roth genannt, die inzwischen offenbar aber ausgetreten sind und damit auf ihre Ansprüche verzichten.

Quadratur des Kreises

Die vermeintlich logische Lösung scheint auf der Hand zu liegen: Den Selbstbedienungsladen schließen und die leidige Debatte darüber gar nicht erst beginnen. Doch so einfach ist es leider nicht. Die Ansprüche bestehen weiter fort und zwar ganz unabhängig davon, wie sie zustande gekommen sind. Und weil das Fell des Bären verteilt ist, muss bzw. soll jetzt allem Anschein nach eben der Steuerzahler einspringen. Wer auf so etwas wie moralische Einsicht hofft, der sieht sich getäuscht.

Neben der Übernahme des gesamten Defizits liegt in Brüssel ein alternativer Vorschlag auf dem Tisch. Dieser sieht vor, dass die Anspruchsberechtigten den Gürtel etwas enger schnallen müssen – und dürfte erfahrungsgemäß schon allein deshalb zum Scheitern verurteilt sein: Die Auszahlungen sollen reduziert, das Eintrittsalter erhöht und der Inflationsausgleich gestrichen werden. Ja, die Erhöhung des Renteneintrittsalters ist bei Politikern zwar beliebt – aber eben nur, wenn sie es von anderen verlangen.

Schon im Jahr 2018 hatte sich die Fonds-Verwaltung erdreistet, eine Gebühr in Höhe von 5 Prozent einzuführen, was für die Mitglieder mit Einbußen von maximal 300 Euro pro Kopf und Monat verbunden gewesen wäre. Ergebnis: Fünf „Polit-Rentner“ haben vor dem Europäischen Gerichtshof gegen die Gebühr geklagt, sind dort allerdings abgeblitzt. Insider rechnen damit, dass mit Ähnlichem auch zu rechnen sein wird, falls sich das Parlamentspräsidium oder das Parlament als Ganzes für den Alternativ-Vorschlag entscheiden sollte.

Kürzungen bei der Rente sind schon eine tolle Sache – solange es nicht um die eigenen, sowieso schon sehr üppigen Ansprüche geht. Wohlgemerkt: Es geht hier lediglich um die Zusatz-Rente, die regulären Pensionen in Höhe von bis zu 6.900 Euro pro Monat bekommen die EU-Abgeordneten dessen ungeachtet ohnehin. Summa summarum kann sich aus der Kombination aus beiden Ansprüchen eine monatliche Rente von 13.700 Euro ergeben.

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