Ein Gastbeitrag von Rechtsanwalt Björn Stjerna
Am Montag, den 13. Dezember 2021 spazierten Presseberichten zufolge mehrere hundert Bürgerinnen und Bürger durch die Innenstadt von Landau in der Pfalz. Die Polizei sah hierin eine Verletzung der seinerzeit geltenden Schutzmaßnahmen gegen die Verbreitung des „Corona“-Virus, stellte sich den Spaziergängern in den Weg und führte Identitätsfeststellungen durch.
Dies unter anderem bei einem älteren, nach Angaben der Staatsanwaltschaft Landau 71-jährigen Mann auf dem dortigen Marktplatz. Videoaufnahmen zeigen, wie mehrere Polizeibedienstete von ihm den Personalausweis verlangen, was er offenbar verweigert. Vier Polizisten umringen ihn, es wird diskutiert. Plötzlich ergreift einer der Polizisten den Mann von hinten am Hals und schleudert ihn mit voller Kraft zu Boden. Das Video wurde zum Beispiel auf reitschuster.de veröffentlicht und kommentiert („Schockierend: Polizei reißt alten Mann brutal zu Boden – Massive Gewalt bei einer Ausweiskontrolle“).
Aus hiesiger Sicht war dieses Vorgehen der Polizei unverhältnismäßig und damit ein Fall für die Staatsanwaltschaft.
II. Strafanzeige gegen die an den Vorgang beteiligten Polizisten wegen Körperverletzung im Amt
Ich erstattete am 22. Dezember 2021 gegen die an dem Vorgang beteiligten Polizeibediensteten Strafanzeige, insbesondere wegen Körperverletzung im Amt, und bat darum, mich über den Ausgang der Ermittlungen zu informieren. Mit Schreiben vom 19. Januar 2022 teilte mir die Staatsanwaltschaft Landau das Aktenzeichen des Verfahrens mit.
III. Einstellung des Ermittlungsverfahrens durch die Staatsanwaltschaft Landau
Mit Nachricht vom 8. August 2022 teilte die Staatsanwaltschaft Landau mit, das Ermittlungsverfahren eingestellt zu haben, da man den polizeilichen Umgang mit dem Mann als gerechtfertigt ansehe. Die Ausführungen in dem dreiseitigen Schreiben lassen tief blicken.
Einleitend wird erklärt, der Einsatzgrund habe darin bestanden, dass sich rund 200 Personen, „die jedenfalls zum Teil der sogenannten Querdenkerszene zuzurechnen waren, unter anderem auf dem Rathausplatz versammelten“. Es habe die Gefahr bestanden, dass es zu Verstößen gegen die zum damaligen Zeitpunkt geltende 29. „Corona-Bekämpfungsverordnung“ des Landes Rheinland-Pfalz kommen werde. Die beschuldigten Polizisten hätten „Teilnehmer der Versammlung, die in Kleingruppen auftraten, keine Masken trugen und innerhalb der Kleingruppen das Abstandsgebot nicht einhielten, darauf [kontrolliert], ob es sich um Personen desselben Haushalts oder höchstens eines weiteren Haushalts im Sinne des § 4 Abs. 1 der 29. CoBeLVO handelte“, um anderenfalls wegen einer Ordnungswidrigkeit ein Bußgeldverfahren gegen sie einzuleiten.
Der besagte 71-jährige Mann sei Teilnehmer einer Gruppe gewesen, bei der „vier Personen ohne Maske und ohne den erforderlichen Abstand zusammenstanden“. Er habe die Angabe seiner Personalien verweigert und behauptet, keine Ausweispapiere dabei zu haben. Die handelnden Polizisten hätten ihm daraufhin unter Angabe der Rechtsgrundlage erklärt, ihn zur Feststellung seiner Identität zu durchsuchen. Der Mann habe dennoch „hartnäckig“ die Feststellung seiner Personalien verweigert und auch seine Durchsuchung abgelehnt. Die Polizisten hätten sich daher „entschieden, die angekündigte Durchsuchung durchzuführen“ und hätten dem Mann erklärt, dass er „die Maßnahmen zu dulden habe“.
Die anschließenden Abläufe beschreibt die Staatsanwaltschaft Landau wie folgt:
„Auf diese Ansprache reagierte der Betroffene ungehalten und entgegnete, dass ‚etwas passiere‘, wenn er durch die Beamten angefasst werde und dass es ‚rappeln‘ werde, wenn die Beamten versuchen, die Durchsuchung durchzusetzen. Diese Drohung mit Gewalt für den Fall der Durchsetzung einer rechtmäßigen Diensthandlung stellt eine Straftat des Widerstandes gegen Vollstreckungsbeamte dar. Dadurch wurde die Maßnahme der Identitätsfeststellung ab diesem Zeitpunkt auch erforderlich unter dem Gesichtspunkt der Aufklärung einer Straftat. Durch die Ankündigung von Gewalt und die Art und Weise, wie sich der Betroffene während der gesamten Zeit der Ansprache durch die Beamten verhielt, war für diese auch ersichtlich, dass er der hoheitlichen Maßnahme tatsächlich mit Gewalt begegnen werde. Eine drohende Gewaltanwendung war auch deswegen aus der Sicht der Beamten naheliegend, weil der Betroffene ihnen ein hoheitliches Tätigwerden gänzlich absprach, da er erklärte, er habe sich vom ‚System abgemeldet‘ und die ‚BRD-GmbH keinerlei Berechtigung‘ habe, hoheitliche Maßnahmen gegen ihn zu ergreifen.
Daraufhin ergab sich für die Polizeibeamten die Situation, dass sie aufgrund ihrer hoheitlichen Aufgabe berufen waren, eine Person zu kontrollieren, die den Staat und seine Repräsentanten ablehnt und von der aufgrund dieser Haltung und der Ankündigung von Gewalt ein nicht abschätzbares Gefährdungspotential ausging. Daher haben die Beamten den Entschluss gefasst, den Betroffenen zu fixieren, wobei die Fixierung einerseits möglichst schonend für die zu kontrollierende Person sein sollte, andererseits jedoch einen Kampf mit ungewissem Verletzungsrisiko für die Beamten sicher vermeiden sollte. Zu diesem Zweck wendeten die Beamten die sogenannte Kopfhebeltechnik an, bei der die Person aus dem Gleichgewicht gebracht wird, sodass diese auf ihr Gesäß fällt und sodann fixiert werden kann. Dieses Vorgehen entspricht den geltenden Standards der polizeilichen Ausbildung und Praxis für eine gefahrlose Fixierung zur Durchführung von Personenkontrollen, bei denen Widerstand zu erwarten ist.“
Nach den Ermittlungen stehe fest, dass sich der Sachverhalt in der beschrieben Art und Weise zugetragen habe. Dies ergebe sich aus den Angaben der Polizisten und „zu weiten Teilen“ auch des Betroffenen selbst sowie aus dem vorhandenen Videomaterial. Die abschließende Würdigung der Staatsanwaltschaft Landau fällt wie folgt aus:
„Aufgrund dessen durften die Polizeibeamten davon ausgehen, dass sie im Falle der Durchsetzung des bereits angekündigten unmittelbaren Zwangs in Form der Durchsuchung mit gewaltsamen Attacken der zu kontrollierenden Person zu rechnen hatten. Das Vorgehen der Polizeibeamten war nicht zu beanstanden. Die angewendete Kopfhebeltechnik gewährleistete einerseits, dass die Beamten nicht in ein Kampfgeschehen verwickelt wurden und dem Eigenschutz damit genüge getan war. Andererseits gewährleistete sie ein Ablegen des Betroffenen auf seinem Gesäß, was im Gegensatz zu einem unkontrollierten Sturz auf andere Körperstellen, der bei einer gewaltsamen Auseinandersetzung zu befürchten gewesen wäre, das geringste Verletzungsrisiko barg. Daher war die Maßnahme geeignet und erforderlich, um die angedrohte Gewalt zu verhindern und stellte dabei das mildeste Mittel dar.
Denn Polizeibeamte, die den hoheitlichen Auftrag wahrnehmen, geltendes Recht und Rechtsverordnungen wie die 29. CoBeLVO durchzusetzen, müssen sich im Fall eines angedrohten gewaltsamen Widerstandes gegen die Maßnahmen zu ihrer Durchsetzung nicht auf einen Kampf mit unbestimmtem Ausgang einlassen und eigene Verletzungen in Kauf nehmen. Um einen gewaltsamen Widerstand zu verhindern, werden in der polizeilichen Praxis Hebeltechniken angewandt, die ein dynamisches Kampfgeschehen unterbinden und dennoch für den Betroffenen das geringste Verletzungsrisiko bergen. Hiervon haben die Beschuldigten in rechtlich nicht zu beanstandender Weise Gebrauch gemacht. (…) Unter Berücksichtigung der vorstehenden Erwägungen war das Verhalten der Polizeibeamten nicht rechtswidrig, sodass ein hinreichender Tatverdacht für eine strafbare Körperverletzung im Amt oder eine rechtswidrige Nötigung nicht vorliegt. Auch haben sich keine Anhaltspunkte für weiteres strafbares Verhalten ergeben. Das Verfahren war daher einzustellen.“
IV. Bewertung
Zunächst sei einmal mehr daran erinnert, dass die Verhältnismäßigkeit eine Grundvoraussetzung der Rechtmäßigkeit jedes staatlichen Handelns ist. Hierfür muss dieses Handeln zunächst einen legitimen Zweck verfolgen; es muss weiter zu dessen Erreichung geeignet, erforderlich und angemessen sein.
Dies gilt insbesondere für Maßnahmen der Polizei, was auch im Polizeigesetz des Landes Rheinland-Pfalz ausdrücklich geregelt ist. Dies bedeutet, dass auch eine polizeiliche Maßnahme, die sachlich geboten sein mag, dann insgesamt rechtswidrig ist, wenn in ihrer Ausführung der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit nicht beachtet wird, weil die Art und Weise des polizeilichen Handelns zu dem erstrebten Erfolg erkennbar außer Verhältnis steht, also entweder nicht hierfür nicht geeignet, nicht erforderlich oder nicht angemessen ist.
Das Vorgehen der Polizei gegen den 71-jährigen Mann dürfte kaum als verhältnismäßig anzusehen sein, einmal mehr überzeugen die gegenteiligen Ausführungen der Staatsanwaltschaft nicht im Ansatz.
1. Der Kontext des Geschehens
Es fällt zunächst auf, dass die Staatsanwaltschaft das Geschehen – wie bereits im Fall der offenbar im Zusammenhang mit Maßnahmen der Polizei Berlin zu Tode gekommenen älteren Dame – der „sogenannten Querdenkerszene“ zuordnet. Welche Bewandtnis dies für die rechtliche Beurteilung haben soll, erschließt sich nicht. Bekanntlich gilt der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit uneingeschränkt und gleichermaßen für jeden Adressaten polizeilichen Handels, so dass es nicht darauf ankommt, ob es sich um sog. „Querdenker“, „Rechte“, „Linke“ oder mit anderen Etiketten versehene Gruppierungen handelt. Alle sind entsprechend dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit gleich zu behandeln. Erfolgt dies nicht, ist die polizeiliche Maßnahme rechtswidrig und die unverhältnismäßigen Handlungen sind potentiell strafbar.
Zusätzlich wird der betroffene 71-jährige Mann durch die Staatsanwaltschaft Landau in den Kontext der „Reichsbürgerszene“ gestellt, was eine „drohende Gewaltanwendung“ durch ihn aus Sicht der handelnden Polizisten als „naheliegend“ habe erscheinen lassen. Diese hätten eine Person kontrollieren müssen, „die den Staat und seine Repräsentanten ablehnt und von der aufgrund dieser Haltung und der Ankündigung von Gewalt ein nicht abschätzbares Gefährdungspotential ausging“. Die faktischen Grundlagen dieser Ausführungen der Staatsanwaltschaft Landau sind unklar. Auch hier sei jedoch daran erinnert: Auch für sog. „Reichsbürger“ gilt in jedem Fall uneingeschränkt der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit polizeilichen Handelns. Dies sollte auch bei der Staatsanwaltschaft Landau bekannt sein.
2. Drohende Gewalt seitens des 71-Jährigen?
Sieht man sich die öffentlich verfügbare Videoaufzeichnung an, fällt es schwer, die von der Staatsanwaltschaft Landau behauptete Gewaltbereitschaft des Mannes zu erkennen. Der Mann verhält sich nicht aggressiv. Er diskutiert zwar (man hört die in pfälzischem Dialekt gefärbte Frage „Sind wir in einer Bananenrepublik oder sind wir in Deutschland?“), allerdings bewegt er sich ruhig und hat zunächst beide, zuletzt noch eine Hand in den Jackentaschen verstaut, was nicht gerade das übliche Verhalten von jemandem ist, der Gewalt anzuwenden beabsichtigt. Umgekehrt scheint er auch keine Gewalt seitens der Polizei zu erwarten. Es ist unklar, ob die Staatsanwaltschaft Landau über weitergehende Videoaufnahmen verfügt und was diese zeigen, aber zumindest anhand des besagten öffentlich verfügbaren Videomaterials, das die Situation unmittelbar vor und nach dem polizeilichen Zugriff zeigt, ist eine drohende Gewaltanwendung seitens des Mannes nicht ersichtlich. Damit ist auch nicht nachvollziehbar, aus welchen Umständen die Staatsanwaltschaft Landau ihre These ableitet, von diesem sei ein „nicht abschätzbares Gefährdungspotential“ ausgegangen.
Davon abgesehen: Der Mann ist 71 Jahre alt, ihm stehen vier Polizisten in Schutzausrüstung unmittelbar gegenüber, die ihn mehrheitlich um rund einen Kopf überragen, ihm also körperlich weit überlegen und die zudem in der Mehrheit sind. Auch hier stellt sich die Frage, welche relevante Gefahr unter diesen Vorzeichen von einem 71-Jährigen überhaupt auszugehen vermag.
3. „Kopfhebeltechnik“ gegen einen 71-Jährigen
Für große Verwunderung sorgen auch die Ausführungen der Staatsanwaltschaft Landau zu der gegen den Mann eingesetzten sog. „Kopfhebeltechnik“. Diese bringe die betroffene Person aus dem Gleichgewicht, „so dass diese auf ihr Gesäß fällt und sodann fixiert werden kann“. Es handle sich um eine „den geltenden Standards der polizeilichen Ausbildung und Praxis“ entsprechendes Vorgehen „für eine gefahrlose Fixierung zur Durchführung von Personenkontrollen, bei denen Widerstand zu erwarten ist“. Auch habe die Technik „ein Ablegen des Betroffenen auf seinem Gesäß“ gewährleistet, was „im Gegensatz zu einem unkontrollierten Sturz auf andere Körperstellen, der bei einer gewaltsamen Auseinandersetzung zu befürchten gewesen wäre, das geringste Verletzungsrisiko barg“. Die Maßnahme sei daher geeignet und erforderlich gewesen, um die angedrohte Gewalt zu verhindern und sei zudem das mildeste Mittel gewesen.
Die einleitend erwähnte Videoaufzeichnung zeigt die Durchführung der besagten „Kopfhebeltechnik“. Von einem schonenden „Ablegen“ des Mannes auf seinem Gesäß kann wohl kaum die Rede sein. Vielmehr wird der Mann von dem agierenden Polizisten von hinten am Hals ergriffen und ungebremst auf den steinernen Boden geschmettert. Der Polizist hätte den Mann vermutlich ohne weiteres auf seinem Gesäß ablegen können, er hat es aber nicht getan. Dass die Folgen eines solchen Vorgehens gerade gegen einen älteren Menschen für dessen Gesundheit gravierend sein können, liegt auf der Hand. Vor dem Hintergrund des in dem öffentlich verfügbaren Video dokumentierten, eher passiven Verhaltens des Mannes ist dieses Verhalten umso unverständlicher. Für die rechtliche Beurteilung unerheblich ist dabei, ob dieses Vorgehen – den Ausführungen der Staatsanwaltschaft Landau zufolge – angeblich „den geltenden Standards der polizeilichen Ausbildung und Praxis“ entspricht. Scheint dies für die vorliegende Situation bereits zweifelhaft, hat sich jedenfalls nicht die strafrechtliche Beurteilung an angeblichen „polizeilichen Standards“ zu orientieren, sondern umgekehrt diese Standards an den rechtlichen Vorgaben.
Aus hiesiger Sicht und aufgrund der bisher öffentlich verfügbaren Informationen zu dem Vorgang war das konkrete polizeiliche Vorgehen gegen den Mann unverhältnismäßig und damit rechtswidrig. Wenn er fixiert werden sollte, wobei ein legitimer Anlass hierfür jedenfalls dem bisher öffentlich verfügbaren Material nicht ohne weiteres zu entnehmen ist, bedurfte es hierfür ersichtlich bereits keiner „Kopfhebeltechnik“. Vielmehr hätten dies die dem Mann gegenüberstehenden vier Polizisten in Schutzausrüstung zweifelsohne auch anderweitig durchzusetzen vermocht. Hätte ihn auf jeder Seite ein Polizist ergriffen, hätte er sich hiergegen schon aufgrund der in seinen Jackentaschen befindlichen Hände kaum relevant zu wehren vermocht. Wird die besagte „Kopfhebeltechnik“ dennoch eingesetzt, ist es jedenfalls nicht erforderlich, einen älteren Menschen von hinten und mit voller Wucht mit dem Rücken voran auf einen steinernen Boden zu werfen, hier drohen schwerste Verletzungen. Dieser Aufprall hätte ohne weiteres abgefedert werden können. Zudem fehlt es auch an der Angemessenheit dieses Vorgehens, denn das ungebremste Niederwerfen des Mannes war – wie vorstehend beschrieben – nicht das mildeste Mittel zu seiner Fixierung.
Der Einstellungsbescheid der Staatsanwaltschaft Landau zeigt einmal mehr, dass unverhältnismäßiger Gewalteinsatz durch Polizeibedienstete durch die Staatsanwaltschaften offenbar nicht verfolgt wird und somit einen Freibrief erhält, was derartiges polizeiliches Verhalten bestärkt. Kehrseite dieser Medaille ist, das sowohl die Polizei als auch die Staatsanwaltschaften rapide das Vertrauen der Bürgerinnen und Bürger verspielen.
Man darf mit Interesse beobachten, ob und wann sich die Politik dieses immer drängender werden Problems annimmt.
Der Beitrag ist zuerst auf der Seite von Rechtsanwalt Björn Stjerna erschienen.
Bild: Screenshot Video Boris Reitschuster