Ich traute meinen Ohren nicht auf der Bundespressekonferenz am Freitag. Bisher gab es für mich keine Zweifel daran, dass in den Augen der Bundesregierung und der ihr treu ergebenen großen Medien die größte Gefahr für unsere Gesellschaft Corona ist. Doch dem ist nicht so, wie ich am Freitag auf der Bundespressekonferenz erfahren musste. Auf meine Frage, ob die Bundesinnenministerin vor lauter Konzentration auf Rechtsextremismus nicht den linken und religiösen Extremismus aus dem Auge verlor, wo doch gerade erst Linksextremisten eine Moschee attackiert hatten, antwortet der Sprecher der neuen Ministerin: „Der Rechtsextremismus ist zum gegenwärtigen Zeitpunkt die größte Bedrohung unserer Gesellschaft.“ Beachtliche Worte. Mehr dazu und zu meinen Fragen zu Corona finden Sie in meinen neuen, zehnminütigen Video von der letzten Bundespressekonferenz.
Hier auch Auszüge aus meinem aktuellen Wochenbriefing. Sie können es hier kostenlos abonnieren:
Der russische Ministerpräsident Viktor Tschernomyrdin ist im russischen Sprachraum unter anderem für folgenden legendären Ausspruch bekannt. „Wir wollten nur das Beste, aber es kam, wie es immer kommt.“ So ähnlich ging es auch mir mit diesem Wochenbriefing. Zum einen hatte ich den Vorsatz, es Corona-frei zu gestalten. Aber das ganz durchzuhalten, wäre so, wie wenn man bei einem Feuer nur vom guten Wetter redet. Und zum anderen wollte ich das Wochenbriefing diesmal früher absenden. Aber wie immer kam ständig etwas dazwischen. Zuletzt heute die gute Nachricht, dass das Oberverwaltungsgericht Lüneburg die 2G-Regel für gesetzeswidrig erklärt hat. In einer unanfechtbaren Entscheidung. Natürlich musste ich darüber sofort schreiben (das Resultat sehen Sie hier).
Der Beschluss aus Niedersachsen ist nicht nur eine Ohrfeige für die Politik. Er zeigt auch, dass der Rechtsstaat zumindest teilweise noch funktioniert. Anders als Karlsruhe, wo Angela Merkel einen Vertrauten an die Spitze setzen ließ und die Richter schon mal zum Abendessen ins Kanzleramt kamen und dort laufende Verfahren besprachen. So wenig die Entscheidung die tiefgreifenden und höchst beunruhigenden Tendenzen bei der Gewaltenteilung aufhebt – sie macht zumindest ein wenig Hoffnung. Auch, wenn wohl davon auszugehen ist, dass andere, willfährigere Gerichte anders entscheiden.
Weniger Hoffnung macht mir die aktuelle Entwicklung in der Bundespressekonferenz. „Ich verspreche Ihnen: Unser Ziel ist eine transparente Kommunikation. Wir versuchen nach Kräften, Ihre Fragen tatsächlich zu beantworten“ – mit diesem Versprechen startete der neue Sprecher der Bundesregierung, Steffen Hebestreit, am Montag vor den Hauptstadtkorrespondenten. Übrigens war er früher selbst im Vorstand der Bundespressekonferenz, weswegen die Vorstellung in meinen Augen geradezu familiär war, Duzen inklusive. Schon am Mittwoch konterkarierte der Sprecher von Scholz in meinen Augen sein Versprechen. So zynisch wie von ihm wurde ich selbst von Vorgänger Steffen Seibert nicht abgefertigt. Und die Ohrfeige von der Regierungsbank trifft nicht nur mich: Es ist auch eine Ohrfeige für Millionen Leser.
Bild: Screenshot BPK/Ekaterina Quehl
Text: br
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