„Sabotage des Meinungsbildungsprozesses“ soll Straftat werden Berliner Justizsenatorin geriet in selbst gestellte Falle

Ein Gastbeitrag von Thomas Rießinger

Es soll vorkommen, dass sogar Politiker gelegentlich auf eine gute Idee verfallen, auch wenn man stets damit rechnen muss, dass sie ihre eigene Idee nicht begreifen. So ist es der Berliner Justizsenatorin Felor Badenberg während eines Interviews mit der Berliner Zeitung ergangen, bei dem über dies und das gesprochen wurde, über ihre Einwanderung aus dem Iran vor langer Zeit, ihre berufliche Laufbahn oder den Verfassungsschutz im Allgemeinen und Besonderen und auch über die Demonstrationen zur Zeit der sonderbaren PCR-Pandemie. Nichts davon ist bemerkenswert oder originell, die Lektüre des größten Teils des Interviews kann man sich ersparen.

Doch gegen Ende gelingt der Frau, die zuvor Verfassungsschutz-Vizechefin war und als Pro­te­gé von dessen Präsident Thomas Haldenwang (CDU) galt, eine Erkenntnis, die ihr bedauerlicherweise selbst nicht aufgefallen ist. Zunächst spricht sie darüber, „dass ausländische Mächte darauf abzielen, Informationen aus Deutschland abzuziehen. Es werden auch zunehmend Informationen nach Deutschland eingesteuert, um Einfluss auf unsere demokratischen Prozesse zu nehmen“, was große Gefahren nach sich ziehe. Man müsse deshalb „darüber sprechen, ob unsere Gesetze Deutschland noch ausreichend vor diesen Gefahren schützen und die Berliner Strafverfolgungsbehörden die rechtlichen Instrumente dafür haben. Das Strafrecht schützt vor Sabotagemaßnahmen aus der Zeit des Kalten Krieges“. Vor Sabotagemaßnahmen aus der Zeit des Kalten Krieges kann uns kein heutiges Strafrecht schützen, denn die fanden ja schon zur Zeit eben dieses Kalten Krieges statt, und selbst wenn sie den Satz etwas klarer formuliert hätte, sollte ihr eigentlich klar sein, dass das Strafrecht vor gar nichts schützt, denn auch Morde werden begangen, obwohl sie strafrechtlich verboten sind – man kann die entsprechenden strafbewehrten Taten ahnden, sobald sie begangen wurden, doch nicht davor schützen.

Aber erst im nächsten Satz findet sie zu einer wahrhaft bahnbrechenden Idee. „Heute ist aber nicht mehr,“ so sagt sie, „nur das Abgreifen von Informationen, sondern auch das Einbringen von Desinformationen und Propaganda gefährlich. Die Sabotage des Meinungsbildungsprozesses muss unter Strafe gestellt werden.“ Chapeau! Ich applaudiere, oder vielmehr: Ich würde applaudieren, wenn sie ihren Satz wirklich begriffen hätte. Denn zu meinem großen Bedauern bezieht sie die Strafandrohung nur auf die ausländischen Mächte, weshalb ich Nancy Faeser schon einmal vorsorglich darauf hinweisen möchte, dass hier ein hinreichender Tatverdacht auf ein Hassverbrechen gegen Ausländer vorliegt. Zudem dürfte es sich als etwas schwierig erweisen, die Urheber von ausländischer Desinformation und Propaganda mit den Mitteln des deutschen Strafrechts zu belangen, denn das reicht nicht bis nach Moskau, Peking oder Washington. Doch heißt es nicht im Matthäus-Evangelium, Kapitel 7, Vers 3: „Warum siehst du den Splitter im Auge deines Bruders, aber den Balken in deinem Auge bemerkst du nicht?“ Es gibt so schöne Beispiele von Desinformation und Propaganda im eigenen Land, die mit Sicherheit der „Sabotage des Meinungsbildungsprozesses“ Vorschub geleistet haben, da muss man nicht erst jenseits der Grenzen suchen. Wie wäre es zum Beispiel mit der Geschichte der RKI-Protokolle von der Entstehung bis zur Schwärzung? Selbst aus dem bisher vorhandenen Material kann man unzweifelhaft schließen, dass in den offiziellen Verlautbarungen während der sonderbaren PCR-Pandemie gelogen wurde, dass sich nicht nur der sprichwörtliche „Balken in deinem Auge“ biegen musste, sondern jeder andere auch. Da wurde Desinformation verbreitet, da wurde Propaganda betrieben mit dem Ziel, die Bürger in Angst und Schrecken zu jagen und sie vom eigenen Denken abzuhalten: Sabotage des Meinungsbildungsprozesses in schönster Form. Und die Sabotage geht noch weiter, denn das Gerichtsverfahren zur Entschwärzung der Protokolle wurde inzwischen vom 6. Mai auf Anfang Juli verschoben – angeblich wegen Zeitmangels der das RKI vertretenden Anwälte. Schon wieder eine Sabotage des Meinungsbildungsprozesses, denn just zwischen dem alten und dem neuen Termin finden die Europawahlen statt, und der eine oder andere Wähler hätte seine Meinung wohl ein wenig von den Resultaten der Entschwärzung beeinflussen lassen.

Zielrichtung des Vorschlages selbst nicht erkannt

Ich stimme Badenberg zu: Derartige Sabotage sollte strafrechtlich verfolgt werden, die Verantwortlichen im RKI und im Bundesgesundheitsministerium müssten ermittelt und angeklagt werden, wenn wir denn schon über das Gesetz verfügen würden, das die findige Justizsenatorin sich so dringlich wünscht. Ist das der einzige Fall? Aber nein! Ich darf an Robert Habecks Aktivitäten im Zusammenhang mit dem Atomausstieg erinnern. In seinem Ministerium hatten zuständige Fachbeamte festgestellt, dass ein weiterer Betrieb der Atomkraftwerke im Hinblick auf nukleare Sicherheit, Versorgungssicherheit und die Höhe der Strompreise sinnvoll sei – die Führungsebene des Ministeriums machte daraus das genaue Gegenteil. Von einem Ministerium erfundene Desinformation, wie man sie sich klarer nicht vorstellen kann, Sabotage des Meinungsbildungsprozesses reinsten Wassers; was braucht Badenberg noch, um auch hier strafrechtliche Relevanz zu entdecken? Denn in solchen Fällen sind die Täter im Lande, man könnte sie ermitteln, verhaften und vor Gericht stellen, aber das ist dann nicht mehr ganz so angenehm wie das Schwadronieren über vom Ausland gesteuerte Desinformation.

Im Übrigen muss man sich bei der inländischen Anwendung des Badenberg-Prinzips nicht auf Politiker und Ministerien beschränken. Auch angebliche Journalisten wie die sogenannten Rechercheure von „Correctiv“ würde das Prinzip in Bedrängnis bringen. Denn als was soll ich die Correctiv-Veröffentlichungen über das „Potsdamer Geheimtreffen“ wohl deuten? Als Information? Als Berichterstattung? Wohl kaum: Schon wieder sieht man ein Beispiel von Desinformation und Propaganda, mit dem nichts weiter erreicht werden sollte als die Sabotage des Meinungsbildungsprozesses, indem man dem politischen Gegner das unterstellt, was sich die eigene Phantasie ausgedacht hat.

Es liegt offen am Tage: Badenberg hat recht, obwohl sie selbst nicht weiß, wie sehr, und obwohl sie die einzig sinnvolle Zielrichtung ihres Vorschlages nicht erkennt. Ich stimme daher auch ihrer Folgerung zu: „Ich sehe hier die Bundesregierung in der Verantwortung, eine entsprechende Regelung vorzulegen. Es geht um nicht weniger als um unsere Demokratie. In einem Staat, in dem die Macht vom Volke in freien Wahlen ausgeübt wird, ist der freie Willensbildungsprozess der erste Angriffspunkt für autokratische Regime.“ Das stimmt, es geht um die Demokratie – und, am Rande bemerkt, auch um den Rechtsstaat, aber der scheint der Justizsenatorin nicht in den Sinn zu kommen –, der freie Willensbildungsprozess steht unter Angriff. Ob man die Urheber dieser Angriffe nun gleich als „autokratisches Regime“ bezeichnen muss, lasse ich offen; Badenberg hat es ja nicht bemerkt, dass sie deutsche Minister, Behörden und sogenannte Journalisten mit diesem schönen Attribut versehen hat. In jedem Fall wäre es nun an der Bundesregierung, „eine entsprechende Regelung vorzulegen“, endlich hat Justizminister Buschmann wieder etwas zu tun. Und kaum ist das Gesetz in Kraft getreten, muss selbstverständlich der zuständige Justizminister dem Generalbundesanwalt die Order erteilen, im Sinne des neuen Gesetzes gegen die eigene Regierung, gegen die eigenen Minister, gegen die regierungshörigen angeblichen Journalisten zu ermitteln.

Geschehen wird nichts dergleichen. Zu schlimm wäre es, der Wahrheit ins Gesicht zu sehen und festzustellen, wo die tatsächlichen Probleme liegen. „Manche Irrtümer“, schrieb Arthur Schopenhauer, „halten wir unser Leben hindurch fest und hüten uns, jemals ihren Grund zu prüfen, bloß aus einer uns selber unbewussten Furcht, die Entdeckung machen zu können, dass wir so lange und so oft das Falsche geglaubt und behauptet haben.“ So mag es sein, aber nicht nur so. Denn manche halten auch an ihren Irrtümern fest, obwohl sie ganz genau wissen, dass es Irrtümer sind, weil sie ihre Ideologie um jeden Preis retten wollen. Den Preis zahlen dann meistens andere.

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Gastbeiträge geben immer die Meinung des Autors wieder, nicht meine. Ich schätze meine Leser als erwachsene Menschen und will ihnen unterschiedliche Blickwinkel bieten, damit sie sich selbst eine Meinung bilden können.

Thomas Rießinger ist promovierter Mathematiker und war Professor für Mathematik und Informatik an der Fachhochschule Frankfurt am Main. Neben einigen Fachbüchern über Mathematik hat er auch Aufsätze zur Philosophie und Geschichte sowie ein Buch zur Unterhaltungsmathematik publiziert.

 

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