Es gibt Momente, in denen sich Fußball und Gesellschaft gegenseitig den Spiegel vorhalten.
Der gestrige war einer davon.
Nach der 0:6-Heimklatsche des FC Augsburg gegen Leipzig stand Trainer Sandro Wagner, wie immer perfekt frisiert, gestylt und gegelt, vor den Kameras, als wäre nichts passiert. Kein Wort der Selbstkritik, kein Infragestellen seiner Taktik, kein Hinweis auf den eigenen Anteil am Debakel. Mit dem obligatorischen Dauergrinsen, über jeden Selbstzweifel erhaben. Stattdessen sprach er von „Detailthemen“, „Restverteidigung“ und „Lernprozessen“. Als ihn ein Reporter fragte, warum er nach vier Gegentoren zur Pause keinen einzigen Spieler auswechselte, antwortete er ernsthaft, er habe gesehen, „wie der eine oder andere auf dem Feld lernt, seinen Mann zu stehen“. Das ist nicht Führung – das ist Pädagogik im Ausnahmezustand.
Wer ist dieser Mann, der sich inmitten eines 0:6-Debakels so unerschütterlich gibt? Sandro Wagner, 37, ehemaliger Nationalstürmer, TV-Experte und Lieblingsschüler von Julian Nagelsmann, hat noch keinen einzigen Erst-, Zweit- oder Drittligaklub trainiert. Seinen Trainerschein macht er gerade erst fertig. Trotzdem gilt er als Zukunftshoffnung des deutschen Fußballs – eloquent, ehrgeizig, fotogen. Ein Mann, der wie geschaffen scheint für die Ära des schönen Scheins: mehr Rhetorik als Realität, mehr Wirkung als Wirken. Schon als Spieler war Wagner berüchtigt für große Worte und überschaubare Resultate. Nun ergeht es ihm als Trainer nicht anders – ein Produkt des modernen Funktionärsdenkens, das lieber Visionen honoriert als Ergebnisse. Wie bei manchen Grünen-Politikern reicht heute Haltung statt Handwerk, Überzeugung statt Qualifikation. Hauptsache fotogen, Hauptsache cool, Hauptsache Schein – Substanz ist zweitrangig.
Als ein Journalist Wagner gestern fragte, ob er nach dieser Blamage immer noch die volle Rückendeckung der Vereinsführung habe, blickte Wagner sekundenlang ins Leere, lächelte dünn – und sagte nur ein einziges Wort: „Ja.“ Auf Nachfrage kam nichts Substanzielles, nur Phrasen über „Prozesse“, „junge Mannschaft“ und „Entwicklung“. Es war, als rede jemand nicht über Fußball, sondern über ein Start-up, das gerade Insolvenz anmeldet.
„Ich fand, wir hatten in vielen Bereichen eine gute Struktur“, sagte Wagner. „Es war kein strukturelles Problem, sondern vier individuelle Fehler.“ Man stelle sich das vor: 0:6 im eigenen Stadion – und der Trainer spricht von „Struktur“ und „Einzelfällen“. Es ist dieselbe Logik, mit der Politiker den Zustand der Bundesrepublik beschreiben: Man habe „vieles richtig gemacht“, nur „nicht ausreichend kommuniziert“.
Es war, als sähe man einem Minister bei der Pressekonferenz nach einer gescheiterten Reform zu: Die Zahlen sind katastrophal, das Vertrauen weg – doch die Worte klingen, als sei alles Teil des Plans.
Die Parallelen zur Bundesrepublik sind frappierend. Wie der FC Augsburg weigert sich dieses Land, Fehler als Fehler zu begreifen. Ob Energiewende, Migration oder Bildung – überall dieselbe Melodie: „Wir müssen aus den Rückschlägen lernen“, „Wir sind auf einem guten Weg“, „Das sind nur Details“.
Wagner, der in acht Bundesligaspielen fünf Klatschen einfuhr, sagte tatsächlich: „Ich weiß nicht, ob man das generell festmachen kann“, als er nach einem Defensivproblem gefragt wurde – obwohl sein Team mit 20 Gegentoren die Schießbude der Liga ist. Das Fußball-Magazin Kicker schrieb das brav ab, kommentarlos, ohne den offensichtlichen Widerspruch zu benennen.
Meisterschaft im Ausreden
Wagner zwang eine Mannschaft, die von Kampfkraft, Kollektiv und Kompaktheit lebte, in ein System des Hochpressings und Schönspielens – ein Konzept, das selbst Topteams überfordert. Die Folge: totale Verunsicherung, defensive Lücken, taktisches Chaos. Und ein Trainer, der all das als „Lernprozess“ verkauft – und die Schuld bei den Spielern sucht, bei „individuellen Fehlern“ statt im eigenen System.
Das sehen sogar die Fans längst klarer als die Verantwortlichen. Auf den sozialen Medien herrscht blankes Entsetzen: „Mehr Demut und weniger Show“, schreibt einer. „Die Dreierkette klappt nicht – das muss Wagner sehen“, ein anderer. Viele kritisieren seine Arroganz, seine Beratungsresistenz, das Schönreden des Offensichtlichen. Und während ein paar Unverbesserliche von „Philosophie“ und „Sahnetag des Gegners“ sprechen, formuliert die Mehrheit, was jeder sieht: dass die Mannschaft überfordert ist, weil ihr ein System aufgezwungen wurde, das nicht zu ihr passt. Wie in der Politik: Die Basis erkennt längst, dass der Kurs falsch ist – nur oben klammert man sich an die Erzählung, es sei alles Teil eines Plans.
Noch erstaunlicher als Wagners Realitätsverweigerung war die der Journalisten. Kein einziger stellte die naheliegenden Fragen: Warum keine Selbstkritik, kein Eingeständnis eigener Fehler? Warum kein Hinterfragen einer Taktik, die offensichtlich nicht aufgeht und die Mannschaft brutal überfordert? Warum diese gleichgeschliffenen Phrasen? Stattdessen nickten sie artig, hielten Mikrofone hin und ließen den Kaiser in aller Ruhe nackt weiterregieren. Eine ganze Pressekonferenz als kollektiver Realitätsverlust – sinnbildlich für ein Land, in dem Anpassung längst mit Professionalität verwechselt wird.
Wie in der Politik: Dort, wo längst nichts mehr funktioniert, wird von „Mut“, „Prozessen“ und „Dialog“ geredet. So wie Wagner nach dem 0:6 davon sprach, dass seine Spieler „auf dem Platz lernen und wachsen“ sollten, wenn sie in der Defensive versagen. Es ist dieselbe Hybris: die Verwechslung von Durchhalteparolen mit Stärke, von Sturheit mit Haltung – man kennt sie von jenem ebenfalls immer durchgestylten Ex-Wirtschaftsminister, der im Zweifel lieber redet als liefert und kläglich gescheitert ist.
Die Vereinsführung in Augsburg spielt brav mit. Geschäftsführer Michael Ströll, der Wagners grundsoliden Vorgänger Jess Thorup – den erfolgreichsten Coach der Vereinsgeschichte – feuerte, weil der ihm nicht schillernd genug war und nicht hoch genug hinaus wollte, wirkt wie das politische Berlin: unfähig, Fehlentscheidungen rückgängig zu machen, weil man sonst das eigene Gesicht verlieren würde. Der Präsident? Ein Platzhalter ohne Einfluss, der seinen Posten vor allem dem Geschäftsführer verdankt, den er eigentlich kontrollieren sollte. Ein Vereinschef, der sich wegduckt, wenn’s kracht und ein Geschäftsführer, der lieber intrigiert als korrigiert – das ist die politische Besetzung eines sportlichen Untergangs.
Sportdirektor Benjamin Weber sagte nach dem Spiel: „Es war keiner ein Totalausfall.“ Nach einem 0:6! Das ist wie ein Arzt, der nach einem Herzstillstand sagt: „Na ja, immerhin hat das linke Bein noch gezuckt.“ Wie gleichgetaktet, benutzt Weber dieselben Wörter wie Wagner: „Kommunikation“, „Verantwortung übernehmen“, „Prozess“. Beide reden über Strukturen, während ihnen das Gebäude über dem Kopf brennt.
In der Rückrunde der vergangenen Saison hatte die Mannschaft eine der besten Defensiven der Liga. Jetzt die schlechteste. Dabei sind die Leistungsträger geblieben. Aber Wagner kam – und mit ihm der Größenwahn. Der FCA war immer stark, wenn er wusste, wer er ist: ein ehrlicher, kämpfender Klub mit begrenzten Mitteln, der über Einsatz, Disziplin und Bodenhaftung kam. Dann glaubte man plötzlich, man müsse „attraktiven Fußball spielen“, als gehöre man zur Champions League der Stilfragen. Wagner verkündete, seine Spieler seien „nicht schlechter als die der Bayern“. Das ist nicht Selbstvertrauen – das ist Selbsttäuschung. Seitdem ist Augsburg wie ein Handwerker, der auf Designer macht: Die Werkzeuge liegen noch auf der Bank, aber keiner weiß mehr, wofür sie da sind.
Wagner hat das Gleichgewicht der Mannschaft zerstört, weil er ihr sein Denken aufzwingt. Statt Instinkt nur noch Theorie, statt Herz nur noch „Haltung“. Wie in der Politik, wie in der Wirtschaft. Und hier wie da: So spielt keine Mannschaft, so funktioniert kein Staat. Wer seine Ideologie über die Realität stellt, muss scheitern. Wer ständig über das „Wie“ nachdenkt, verliert das „Warum“. Es ist wie beim Tanzen: Wer dauernd über seine Schritte grübelt, stolpert. Leidenschaft ersetzt man nicht durch PowerPoint oder Riesen-Leinwände, wie Wagner eine anschaffen ließ. Für 100.000 Euro.
Interims-Kapitän Kristijan Jakic leistete sich nach dem Debakel gegen Leipzig im Gespräch mit den erbosten Ultra-Fans einen Wutausbruch. Das war kein Ausrutscher, das war ein Schrei: „Wir halten das Gerede nicht mehr aus!“ Schon vor Wochen hatte Jakic in einem Interview gewarnt, man müsse „wieder die Basics bringen“ und habe „zu viele einfache Gegentore“ kassiert. O-Ton. „Wir brauchen einen dreckigen Sieg“. Also genau das Gegenteil von dem, was Schön-Spieler Wagner als Parole ausgibt. Das war nichts anderes als eine höflich verpackte Revolte gegen den Trainer – nur wollte es keiner so nennen. Die Journalisten taten, als hätten sie es nicht verstanden. Statt zu schreiben, dass der Vize-Kapitän seinen Trainer inhaltlich infrage stellte, wurde das Interview als Aufruf zu mehr Einsatz gedeutet. So wie in der Politik jede noch so klare Warnung zur „kommunikativen Dissonanz“ erklärt wird, wenn sie nicht ins Narrativ passt.
Wenn kritische Worte verpuffen, ist es besser, Männchen zu machen. So wie der Schweizer Nationalspieler und FCA-Neuzugang Fabian Rieder. Der im Nachhinein zu dem GAU sagte, es sei ein „guter Austausch“ gewesen. Was für eine Posse! Eine reine Schutzbehauptung – eine PR-Übersetzung von „Es ist explodiert“. Die Mannschaft weiß, dass sie nicht funktioniert, aber sie darf das eigentliche Problem – den Trainer – nicht benennen.
Was Augsburg jetzt erlebt, ist die sportliche Version des Zustands unseres ganzen Landes:
Ein System, das lieber scheitert, als sich zu korrigieren.
Ein Umfeld, das lieber schweigt, als zu widersprechen.
Und Medien, die lieber bunte Bilder zeigen, als unbequeme Fragen zu stellen.
Wenn nun jemand sagt, von der Seitenlinie könne man leicht kritisieren – angenommen, diese Kritik. Und ich nehme mich von dem Desaster explizit nicht aus. Auch ich ließ mich blenden. Auch ich war anfangs von Wagner begeistert: von seiner Energie, seiner Klarheit, seinem Auftreten. Ich hielt ihn für einen Typen mit Rückgrat. Heute sehe ich: Er hat Rückgrat – aber gegen die Realität. Vieles, was ich für Glanz hielt, war nur Schein. Auch die angebliche Demut, die er so oft betont, scheint nur eine Phrase zu sein – denn hätte er wirklich Demut, würde er mit dem Debakel anders umgehen.
Also: Asche auf mein Haupt. Nur gut, dass ich nicht beim FCA in Verantwortung stehe. Denn wer weiß – vielleicht hätte ich dann auch Angst, die eigenen Fehler zuzugeben. Und würde deswegen so lange an die eigene Illusion glauben, bis es zu spät ist.
Doch Prozesse ohne Einsicht enden immer gleich.
In der Bundesliga wie in der Politik.
Mit Abstieg.
PS: Ich wünsche meinem Verein Augsburg eigentlich nur alles Gute. Und mit ganz schwerem Herzen muss ich mir jetzt wünschen, dass der FCA am Dienstag im DFB-Pokal gegen den Zweitligisten Bochum verliert – nicht aus Schadenfreude, sondern aus Hoffnung. Ein glücklicher Sieg, wie er gegen den selbst im Unterhaus schwächelnden Verein durchaus wahrscheinlich ist, würde das Elend nur verlängern und den Absturz nur beschleunigen. Wenn dagegen auch hier noch einmal das Versagen offensichtlich wird, gibt es vielleicht wenigstens eine Chance, dass der Verein rechtzeitig die Notbremse zieht, den Trainer wechselt – und die Liga hält.
Ich bin kein Fußballfachmann und erhebe keinerlei Anspruch auf die Wahrheit. Wenn Sie jetzt sagen: „Reitschuster, bleib bei deinen Leisten“ – dann haben Sie recht. Aber diese Zeilen schreibe ich nicht als Journalist, sondern als Augsburger, dessen Herz schon für den FCA schlug, als er noch in der vierten Liga dümpelte.
PPS: Nichts würde mich mehr freuen, als wenn ich mich – was leider vorkommt – kolossal irre – und Sandro Wagner selbst die Trendwende schafft. Allein: Mir fehlt beim FCA der Glaube an so ein Wunder. Denn wie in der Politik gilt auch im Fußball: Realitätsverweigerung endet nie gut.
Aktualisierung am 29.10.25: Nur drei Tage nach dem 0:6 gegen Leipzig verlor der FCA auch das Pokalspiel gegen den Vorletzten der zweiten Liga, den VfL Bochum – erneut vor heimischem Publikum.
Wagners Reaktion? Auf die Frage, wie verunsichert er sei:
„Nicht verunsichert – null Komma null.“
Zwei Demütigungen in 72 Stunden – und keinerlei Zweifel.
Das ist kein Selbstvertrauen. Das ist Realitätsverlust als Führungsstil.
Auffällig: Die „Augsburger Allgemeine“ beschreibt, wie Wagner seine Spieler permanent an die Seitenlinie zitierte, Positionen nach elf Minuten wechselte, ununterbrochen dirigierte – ein Trainer, der nicht coacht, sondern ferngesteuert spielen lässt. Mikro-Management aus Kontrollzwang statt Vertrauen in die Mannschaft.
Und dazu die Körpersprache: Maske statt Mimik, Härte statt Reflexion.
Ein Muster, das man aus der Politik kennt: Wenn die Realität widerspricht, wird nicht die Lage angepasst, sondern die Pose.
Kurz gesagt:
Wagner wirkt wie jemand, der lieber Recht behält, als gewinnt.
Das ist die gefährlichste Form des Ehrgeizes – im Fußball wie in der Republik.
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