Scholz bei Illner: Von der Rückkehr in den kalten Krieg Kann eine Schlaftablette Jungbrunnen für Deutschland sein?

Von Alexander Wallasch

Der Bundeskanzler sitzt mehr als eine Stunde alleine bei Maybrit Illner. Für die Journalistin eigentlich eine gute Chance, Olaf Scholz zu stellen. Erster Eindruck: Scholz erscheint nach 86 Tagen im Amt immer noch wie weggeduckt hinter seinen vorlaut auftretenden grünen Ministern Habeck und Baerbock.

Der Bundeskanzler wirkt tatsächlich so, als wäre er immer noch nicht aus seinem Finanzminister-Sessel aufgestanden, obwohl er längst Merkels Thron bestiegen hat.

Im Gegenteil: Nach wie vor hat sich ein Bild von Scholz besonders eingebrannt: Der Sozialdemokrat am Händchen der Scheidenden auf dem G-20-Gipfel, als Merkel der Welt ihren designierten Nachfolger am Gängelband vorstellte.

Scholz hat das Amt in schweren Zeiten übernommen: Der Graben quer durch die Gesellschaft war nie so groß wie heute, die Pandemie hat das Land mental und wirtschaftlich an den Rand des Nervenzusammenbruchs geführt. Und da konnte Scholz noch nicht einmal ahnen, dass es mit dem Krieg in der Ukraine noch viel schlimmer kommen würde.

Ist Olaf Scholz nicht aus den Startlöchern gekommen? Immerhin hat er schon Wesentliches auf den Weg gebracht: Die von Russland angegriffene Ukraine bekommt schwere Waffen geliefert und die Bundeswehr soll jetzt mit einhundert Milliarden Euro kriegstauglich werden.

Der Bundeskanzler hat auch Glück gehabt: Die Corona-Problematik ebenso wie die neu eskalierende Massenzuwanderung sind vor den lähmenden Bildern aus der Ukraine nebensächlich geworden: Die Schrecken des Krieges haben Europa wieder im Würgegriff. Also eigentlich genug Gesprächsstoff und Erklärungsbedarf.

Maybrit Illner leitet den Talk damit ein, dass Scholz der Bevölkerung diese „radikale Wende in der Politik“ erklären soll.

Erster Satz von Scholz dazu: „Umso länger der Krieg dauert, umso mehr Zerstörung wird er anrichten. Es wird mehr Menschenleben kosten, es werden Zivillisten sterben.“

Und Scholz erinnert daran, dass er gerade noch in Moskau Kränze niedergelegt hat für die Opfer des von Deutschland angezettelten Krieges.

Schon da fällt diese teils holprige, teils um die richtigen Worte ringende Sprache des Sozialdemokraten auf. Er tastet sich vor wie im Nebel, verhalten die Stimme, immer um Verständlichkeit ringend, als bräche sie ihm gleich ganz weg.

Gleichzeitig wirkt sein Vortrag berechnend, als wüsste er um die Schutzwirkung, die so ein Zaudern auslösen kann. Sein Wirtschaftsminister Robert Habeck bleibt weiter Großmeister der Zauderer. So aber erscheint die Merkel-Ablösung auch hier nur wie die schlechtere Kopie.

Scholz erzählt, er hätte noch am Dienstag mit dem ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj telefoniert, es wäre darum gegangen, die Gespräche mit Russland nicht abreißen zu lassen.

Er sagt, dass es bei seinem Gespräch mit Putin viel um Geschichte gegangen sei und auch darum, wie es früher einmal so war in der Welt. Scholz befürchtet hier eine „Zeit unendlicher Kriege“, wenn jetzt jeder schauen würde, wie die Grenzen früher einmal verlaufen seien.

Die Rückkehr zu so etwas wie militärischer Stärke durch einen sozialdemokratischen Bundeskanzler – noch dazu unter grüner Regierungsbeteiligung – wird von Illner als „Austausch der DNA der SPD“ bezeichnet.

Abschreckung auf sozialdemokratisch

Aber was sagt Scholz zum von ihm neu ausgerufenen Prinzip der Abschreckung, zur Rückkehr des Kalten Krieges?

Für ihn markiert der 24. Februar 2022 mit dem Überfall auf die Ukraine eine Zeitenwende, die neue Entscheidungen verlange und auch rechtfertige.

Scholz erklärt sein Rezept, das den Bürgern die Angst vor dem Krieg nehmen soll: „Besonnen bleiben, entschlossen sein, einen klaren Kurs verfolgen.“

Aber ob das irgendjemanden beruhigt, auch angesichts der Tatsache, dass Deutschland jetzt zusätzlich zu den schon zugesagten Waffen auch 2700 Flugabwehrraketen noch aus DDR-Beständen geliefert hat, also über drei Jahrzehnte alte Waffensysteme, das bleibt freilich fraglich.

„Wandel durch Annäherung“, Maybrit Illner will wissen, ob das sozialdemokratische Konzept von Brandt und Scheel gescheitert ist. Nein, dieses Konzept hätte die Wiedervereinigung und eine große positive Veränderung in Europa ermöglicht, so der Bundeskanzler.

Olaf Scholz will seiner Vorgängerin im Amt in der Ukraine-Frage nicht an den Karren fahren: Merkel hätte in der Verantwortung um die Friedensordnung in Europa die richtigen Entscheidungen getroffen. Es wäre immer zuerst darum gegangen, eine direkte Konfrontation zwischen Russland und der Nato zu vermeiden.

Die Ukraine nicht in Nato und EU aufgenommen zu haben, bleibe eine richtige Entscheidung, so Scholz rückblickend. Das würde auch jetzt nicht auf der Tagesordnung stehen. Dieser Auffassung seien auch der US-Präsident, der französische Präsident und auch der Nato-Generalsekretär, betont Scholz.

Die amerikanischen Milliardenzahlungen für Waffen an die Ukraine werden von Scholz überhaupt nicht erwähnt und Illner fragt der Einfachheit halber auch nicht danach.

Also zählt Scholz den Erfolg von Sanktionen gegen Russland auf: Die russischen Börsenkurse seien eingebrochen, die Wirtschaft in größten Schwierigkeiten und das wirtschaftliche Wachstum werde „an ganz ganz vielen Stellen beeinträchtigt.“

Wo Nord Stream 2 jetzt tot sei, warum bezieht der Westen inklusive USA „weiter Gas und Öl aus Russland?“, will Illner immerhin noch wissen.

Scholz weicht auf „weitere Sanktionen“ aus, die man beschlossen hätte. Nein, er kann auch auf Nachfrage keine Antwort geben. Immerhin so viel: Es gäbe Vorbereitungen, „auch anderswo Gas einzukaufen“.

Maybrit Illner bleibt hartnäckig: „Aber damit halten wir das System Putin am Laufen, damit verdient er weiter Geld“. Scholz weicht erneut aus, man hätte sich früh vorbereitet, man will zukünftig die „eigene Unabhängigkeit erhöhen“.

Eine interessante Frage zwischendurch: Die Aufzeichnung der Sendung in der Mediathek ist Freitagvormittag etwa drei Minuten kürzer als sie noch am Aufzeichnungstag angeboten wurde (Wir fragen das ZDF und liefern Antworten nach).

Abtauchen in die Stille nach dem gesprochenen Wort

Scholz wird bei den kritischen Fragen immer leiser, obwohl sich Maybrit Illner schon die Minuten davor konzentrieren musste zuzuhören. Jeder kennt leider solche Gesprächspartner, die Aufmerksamkeit durch Lautstärke-Reduzierung erzwingen – auch da, wo sie nicht viel zu sagen haben.

Scholz will jetzt verhindern, dass in der Ukraine „Millionen Menschen zu Tode kommen“. Millionen? Das ist schon ein echtes Horrorszenario. Woher bezieht Scholz solche grausigen Prognosen? Die Aufgabe sei es, ebenso zu verhindern, dass sich dieser Krieg nicht „über Jahrzehnte ausbreitet“.

Scholz zeigt sich berührt vom Mut einiger Russen, die in ihrem Land gegen den Krieg demonstrieren. Diese Demonstrationen „erfordern ja doch einen ganz anderen Mut, als es hierzulande erforderlich ist, wenn man auf eine Kundgebung gehen will“.

War das ein unanständiger Seitenhieb gegen Spaziergänger und Querdenker, die doch froh sein könnten, dass Staat und Polizei hier noch nicht agieren wie in Russland?

Für Scholz muss die Demokratie in der Welt von den Bürgern ausgehen, „Regime-Change“ wäre keine gute Perspektive, so der Bundeskanzler, der von Russland erwartet, damit umzugehen, dass in seiner Nachbarschaft „eine große Gemeinschaft demokratischer Staaten und offener Gesellschaften existiert, in der Meinungsunterschiede akzeptiert werden“.

Scholz schafft es, so etwas zu sagen ohne einen einzigen Funken an Selbstkritik. Die Verwerfungen und Gräben in Deutschland nimmt er nicht zur Kenntnis.

Mit zunehmender Dauer des Gesprächs beendet Maybrit Illner immer öfter die Sätze von Scholz.

„Ist die Deutsche Bundeswehr überhaupt kriegsfähig?“, fragt Illner. Scholz antwortet, dass es ihm nicht gefällt, wenn das Wort „Krieg“ so leichtfertig in den Mund genommen wird. „Wir sind kein Kriegsbündnis, sondern ein Verteidigungsbündnis.“ Die Verteidigungsfähigkeit wäre notwendig, damit es niemals zu einem Krieg kommt.

Den Zustand der Bundeswehr kann man nicht mehr schönreden

Aber wer ist dann dafür verantwortlich, dass die Bundeswehr eine solche Lachnummer geworden ist, die Scholz jetzt mit einhundert Milliarden Euro zurück in die Wehrfähigkeit katapultieren will?

Zunächst einmal will Scholz, dass man die „großartige Arbeit“ der Soldaten „nicht so schlechtreden darf“. Aber hat er vergessen, wie geschlossen ablehnend alle Fraktionen des Parlaments reagiert haben, als er in seiner Regierungserklärung seine Verteidigungsministerin vorgestellt hatte und nur bei ihr der Applaus ausblieb?

Irgendwelche Missstände bei der Bundeswehr will Scholz auch auf Nachfrage nicht gelten lassen. Der Bundeskanzler ist im Verlauf des Gesprächs nie über seine üblichen Worthülsen hinweggekommen. Maybrit Illner hatte ein paar Mal vorsichtig kritisch nachgefragt, aber es ist ihr nicht gelungen, den Wattepanzer von Scholz mit professionellen journalistischen Mitteln aufzureißen.

Und dann ist die Sendung schon vorbei. Und angesichts der dramatischen Lage in Europa mit Krieg in der Ukraine war das nicht mehr als ein dünner Aufguss der Regierungserklärung von Scholz.

Illners – von wem auch immer mit Spannung erwartete – Kanzlerbefragung hat vor allem einen Eindruck hinterlassen: Wir werden von einem lethargisch auftretenden Bundeskanzler regiert, der im Kabinett von grün-ideologisch verbrämten Ministern gejagt wird.

Es macht zuletzt den Eindruck, Maybrit Illner müsse sich fast zwingen, wach zu bleiben. Aber sie vergisst leider, was Journalistinnen in so einem Fall machen: Nämlich dem Gegenüber mit dem spitzen Hacken kräftig auf die Füße treten. Eine weitere verschenkte Stunde im öffentlich-rechtlichen Fernsehen.

Diejenigen, die selbst wenig haben, bitte ich ausdrücklich darum, das Wenige zu behalten. Umso mehr freut mich Unterstützung von allen, denen sie nicht weh tut!

Namentlich gekennzeichnete Beiträge geben immer die Meinung des Autors wieder, nicht meine.

Alexander Wallasch ist gebürtiger Braunschweiger. Er schrieb schon früh und regelmäßig Kolumnen für Szene-Magazine. Wallasch war 14 Jahre als Texter für eine Agentur für Automotive tätig – zuletzt u. a. als Cheftexter für ein Volkswagen-Magazin. Über „Deutscher Sohn“, den Afghanistan-Heimkehrerroman von Alexander Wallasch (mit Ingo Niermann), schrieb die Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung: „Das Ergebnis ist eine streng gefügte Prosa, die das kosmopolitische Erbe der Klassik neu durchdenkt. Ein glasklarer Antihysterisierungsroman, unterwegs im deutschen Verdrängten.“

Bild: Screenshot https://www.zdf.de/politik/maybrit-illner
Text: wal

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