Ein Gastbeitrag Von Sönke Paulsen.
„Freiheit statt Sozialismus“ ergab immerhin noch einen Wahlslogan in den siebziger Jahren, der zwar nicht zum Sieg bei der Bundestagswahl führte, aber immerhin als Slogan durchging. Sozialismus war eben nicht mehrheitsfähig in der damaligen BRD und ist es im heutigen Deutschland auch nicht.
Aber wie sieht es mit Solidarität aus? Auch dieser Begriff dürfte spätestens seit der Flüchtlingswelle, endgültig aber mit der Pandemie umstritten sein. Solidarität ist der Wesenszug von Gemeinschaften, der sich in der Regel spontan und freiwillig zeigt, aus einer allgemeinen Einsicht heraus. Solidarität, die von oben verordnet wird, ist eigentlich keine.
Europäische Regierungen geraten zunehmend in ein Dilemma. Sie wollen mit den Mitteln der freiheitlichen Demokratie und des Rechtsstaates ein solidarisches Verhalten erzwingen. Sie wollen die Bürger dazu bringen, durch ihr „Gesundheitsverhalten“, die Institutionen und die Gemeinschaft zu entlasten und scheitern damit regelmäßig an etwa einem Drittel der Bürger. Dieses Drittel ist recht heterogen und zeigt eigentlich nur die Gemeinsamkeit, dass es die Freiheit verteidigen will.
Das verursacht Ärger auf allen Seiten, um es vorsichtig auszudrücken.
Macron, der französische Präsident und Präsidentschaftskandidat für die anstehenden Wahlen im Frühjahr, hat sich schon mal Luft gemacht. „Jemand der unverantwortlich ist, ist kein Bürger“, was so viel bedeutet, dass man ihm auch die bürgerlichen Freiheiten nicht mehr gönnen sollte. Das geht an die Adresse nicht geimpften Mitbürger und zwar nicht nur in Frankreich.
Ähnlich, wenn auch etwas vorsichtiger, drückt sich Olaf Scholz aus, der von einer lautstarken Minderheit redet, die sehr radikal vorginge. Er wolle keine roten Linien mehr akzeptieren, was seinerseits äußerst radikal ist.
In den Niederlanden hetzen Polizisten ihre Hunde auf Demonstranten, die dann auch zubeißen. In Deutschland beißt ein Demonstrant einen Polizisten, womit regierungstreue, deutsche Medien diesen niederländischen Skandal konterkarieren. In Belgien werden Regierungslockdowns im kulturellen Bereich vom obersten Gericht gekippt. In Spanien, Italien und Österreich gehen die Menschen gegen die Impfpflicht auf die Straße.
Die Frage ist nun, ob das alles keine Bürger sind, keine Citoyens, wie es Macron behauptet.
Das ist natürlich Unsinn. Denn genau dafür haben wir ja die Freiheit, unsere Rechte auf der Straße zu behaupten. Wo auch sonst? Es lässt sich auch schwer behaupten, dass diese Bürger nicht solidarisch sind. Sie stehen zusammen und verteidigen mit großer Solidarität und auch unter großen Opfern unsere Freiheit gegen staatliche Eingriffe. Das ist eben auch solidarisch, nur nicht so, wie von den Regierungen gewünscht.
Sollen Sie das nicht? Ist das nicht mehr unser Freiheitsbegriff? Sind das Wirrköpfe und Radikale?
In „Bild-Live“ wurde gerade eine Auswahl von absurden „Corona-Maßnahmen“ präsentiert, darunter Demo-Verbote, 2G-Regeln an Unis, keine nicht geimpften Freunde treffen für Kinder ab 14 Jahren, Sportverbot für Kleinkinder, wenn Eltern nicht geimpft sind. Die Reihe ließe sich wohl fortsetzen.
Wenn Kritik an absurden und vornehmlich spalterischen Regeln, die tief in unsere Grundrechte eingreifen, zur informellen Aberkennung unseres Status als Staatsbürger führt, dann hat unsere Demokratie schweren Schaden genommen.
Vielleicht waren wir aber auch nie so demokratisch und hatten es mit der Freiheit nur dann, wenn sie als Begabe für ein süßes Leben mit opulenten Urlaubsreisen und einem Wohlstand, der ständig wuchs, verstanden wurde.
Das Problem wird verschärft, wenn Regierungen derart dilettantisch in unseren Grundrechten herumstochern, wie das derzeit passiert. Man würde sich von einem Chirurgen, der so erratisch agiert, wie unsere Politik, niemals operieren lassen und hier geht es schließlich um unsere Gesundheit, eigentlich um alle unsere Lebensmöglichkeiten!
Das Leben bedingt eine Vielzahl von Freiheitseinschränkungen mit denen wir uns so oder so herumschlagen müssen. Das Grundgesetz gibt uns unsere Freiheitsrechte aber deshalb, damit wir uns wenigstens dem Staat gegenüber unserer Haut erwehren können. Das sind die Basics der Freiheit und die „roten Linien“ für den Staat. Diese Linien müssen verteidigt werden.
Daneben haben wir auch die Freiheit uns solidarisch zu verhalten. Wie wir uns miteinander solidarisieren, ist eine Frage der Einigung. Dieser Weg kann nicht diktiert werden. Das zumindest sollten wir aus dem kalten Krieg gelernt haben, aus welchem der Slogan: „Freiheit statt Sozialismus“ stammt.
Gastbeiträge geben immer die Meinung des Autors wieder, nicht meine. Ich schätze meine Leser als erwachsene Menschen und will ihnen unterschiedliche Blickwinkel bieten, damit sie sich selbst eine Meinung bilden können.
Sönke Paulsen ist freier Blogger und Publizist. Er schreibt auch in seiner eigenen Zeitschrift „Heralt“. Hier finden Sie seine Fortsetzungsgeschichte „Angriff auf die Welt“ – der „wahre“ Bond.
Bild: ShutterstockText: Gast