Spahns Corona-Spagat und wie sich die Regierung in Widersprüche verwickelt Bemerkenswerte Antworten auf der Bundespressekonferenz

Es ist selbst bei gutem Willen schwer nachvollziehbar. Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) hat noch am Montag das Auslaufen der „epidemischen Lage von nationaler Tragweite“ gefordert. Viele haben sich darüber gefreut. Mich eingeschlossen. Mein erster Gedanke: Kaum winkt die Opposition, schon wird rational gehandelt. Doch ganz offenbar war die Forderung nicht mehr als ein billiger Trick. Wie die „Bild“-Zeitung aufdeckte, gab der Minister den Spitzen der Ampel-Parteien gleichzeitig Tipps und Vorschläge, damit sie die Corona-Maßnahmen weiter aufrechterhalten! Das klingt geradezu nach kognitiver Dissonanz. Oder nach einer bewussten Irreführung der Bürger. Deshalb habe ich am Mittwoch auf der Bundespressekonferenz bei Spahns Sprecherin Parissa Hajebi nachgehakt: 

„Minister Spahn hat das Auslaufen der epidemischen Lage von nationaler Tragweite gefordert. Nun gab er den Spitzen der Ampel-Parteien Tipps und Vorschläge, damit sie die Coronamaßnahmen weiter aufrechterhalten. Wie passt das zusammen?“

HAJEBI: „Ich möchte hier noch einmal betonen, dass es Aufgabe des Bundestages ist, zu entscheiden, wie es damit weitergehen soll. Ich kann auch noch einmal sagen, dass der Minister aufgrund der hohen Impfquote gesagt hat, dass die epidemische Lage auch beendet werden kann und dass man mit besonderer Vorsicht, wie gesagt, mit 3G-Regeln in Innenräumen und dem Tragen von Masken, in zum Beispiel Bussen und Bahnen, gut durch Herbst und Winter kommen kann. Wie es nun weitergeht, entscheidet, wie gesagt, der Bundestag.“ (anzusehen hier).

Ich bat ja darum, den Widerspruch aufzulösen. Aber hier wird er ganz einfach noch einmal aufgezählt. Und ein Eingehen auf das Thema vermieden: Denn in einem Brief an die Spitzen von SPD, Grüne und FDP vom 15. Oktober, der „Bild“ vorliegt, schrieb Spahn: „Die epidemiologische Lage bestätigt die weitere Notwendigkeit dieser Maßnahmen in diesem Herbst und Winter.“ Es sei „unbedingt erforderlich, dass insbesondere die Rechtsgrundlage des § 28a Infektionsschutzgesetz weiterhin durch die Länder und Kommunen angewendet werden kann.“ 

Also mit anderen Worten: Der Minister fordert öffentlich das eine und macht hinter den Kulissen das andere. „Bild“ schreibt: „Spahn schlägt unter anderem vor, das Infektionsschutzgesetz so zu ändern, dass es keiner ‘epidemischen Lage‘ bedarf, um ‘notwendige Schutzmaßnahmen‘ gegen die Verbreitung des Coronavirus zu beschließen. Das ruft scharfe Kritik unter Rechtswissenschaftlern hervor.“ Das Blatt zitiert den Staatsrechtler Franz Josef Lindner: „Hier wird den Bürgern ein X für ein U vorgemacht.“ Der Staat schaffe sich die Möglichkeit, „die scharfe Waffe dauerhaft in der Hand zu behalten“ – auch ohne „epidemische Lage“. „Für den Bürger ist das nicht mehr nachvollziehbar.“ Die FDP-Gesundheitspolitikerin Christine Aschenberg-Dugnus wirft Spahn im Gespräch mit der Zeitung vor, er habe noch Ende August für eine Verlängerung der epidemischen Lage geworben: „Jetzt tut er so, als sei er vom Saulus zum Paulus geworden. Diese politische Inszenierung kaufen wir ihm nicht ab.“

Interessant auch, wie Regierungssprecher Steffen Seibert der Sichtweise des eigenen Ministers auf derselben Bundespressekonferenz widerspricht: „Man muss wissen: Die Feststellung einer epidemischen Lage von nationaler Tragweite ist unter anderem die Voraussetzung für die Maßnahmen zur Eindämmung der Verbreitung des Virus, wie sie in § 28a Infektionsschutzgesetz aufgeführt sind. Ich kann für die Bundeskanzlerin sagen, dass sie diesen rechtlichen Zusammenhang zwischen der Feststellung einer epidemischen Lage von nationaler Tragweite und dem § 28 weiter für sinnvoll hält. Eine klare, bundesweit geltende Rechtsgrundlage hat sich während der Pandemie bewährt.“

Wenig auskunftsfreudig zeigte sich die Bundesregierung bei meinen anderen beiden Fragen:

Von dem Sprecher von Finanzminister Olaf Scholz, Dennis Kolberg, wollte ich zum angekündigten Rücktritt des Bundesbankpräsidenten, den viele als eine Reaktion auf die drohende massive Inflation sehen, wissen: „Herr Weidmann kritisierte noch einmal ausdrücklich die Geldpolitik der EZB. Er spricht von einer einseitigen Fokussierung auf Deflation. Wie stehen Sie zu dieser Kritik?“ Die Antwort des Scholz-Sprechers: „Der Bundesbankpräsident hat sich ja heute geäußert. Er hat sich ausdrücklich bei der EZB und auch bei der Präsidentin der EZB für die Zusammenarbeit bedankt. Damit möchte ich es bewenden lassen.“

m-vgVon Steffen Seibert und Alina Vick, der Sprecherin des Innenministeriums, das auch Verfassungsministerium ist, wollte ich wissen: „Amnesty beklagt Zensur, Schikane und Kriminalisierung von Coronamaßnahmenkritikern und warnt, dass ein Klima der Angst entstehe. Der Begriff ‚Fake News‘ werde von Politikern missbraucht, um kritische Meinungen zu diskreditieren. Wie sehen Sie die Entwicklung in Deutschland?“ 

Seiberts Antwort: „Da würde ich, ehrlich gesagt, gerne erst einmal lesen, was Amnesty International da aufgeschrieben oder geäußert hat und welche Stelle von Amnesty International das getan hat. Bevor ich das nicht gelesen habe, kann ich mich dazu hier nicht verhalten. Unsere grundsätzliche Haltung der Meinungsfreiheit, zur Zensurfreiheit in Deutschland ist ja vielfach dargelegt worden.“ (anzusehen hier).

In der Tat. In einer Art und Weise, die ich als zynisch und undemokratisch auffasse: Lautstark werden Probleme mit Meinungsfreiheit in allen Teilen der Welt kritisiert. Und im eigenen Land werden sie verschwiegen und – schlimmer noch – zumindest passiv, aber wohl auch aktiv befördert.

Bemerkenswert auch auf der Bundespressekonferenz am Mittwoch, wie Taten von zwei Männern, die seit 25 Jahren nicht mehr der Bundeswehr angehören, so dargestellt werden, dass zumindest beim flüchtigen Zuschauer oder Leser der Eindruck hängen bleibt, sie hätten etwas mit der Bundeswehr zu tun. Mehr dazu – und auch alle oben beschriebenen Szenen – in meinem neuen Video-Kommentar aus der Bundespressekonferenz, wie immer neuerdings wegen der Zensur auf Youtube auf Rumble und auf Odysee.  

 


 

Die Bundespressekonferenz in voller Länge hier:

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Diejenigen, die selbst wenig haben, bitte ich ausdrücklich darum, das Wenige zu behalten. Umso mehr freut mich Unterstützung von allen, denen sie nicht weh tut!

 
Bild: Shutterstock
Text: Reitschuster.de

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