Umfaller Merz: Nach Kritik an Cancel Culture betreibt er Cancel Culture Der CDU-Chef macht den Lindner

„Die größte Bedrohung für die Meinungsfreiheit ist aus meiner Sicht inzwischen die Zensurkultur, die man im angelsächsischen Sprachgebrauch auch ‘Cancel Culture’ nennt. Ich sehe mit größter Besorgnis, was an den Universitäten in den USA passiert; das schwappt jetzt auch nach Europa über.“ Das sagte CDU-Chef Friedrich Merz vor wenigen Tagen in einem „Welt“-Interview. Im Vorspann meines Berichts darüber hieß es: „Friedrich Merz machte in einem Interview vor allem linke Aktivisten für die schwindende Meinungsfreiheit in Deutschland verantwortlich.“ Und er beklagte sich gegen einen „ausufernden Kampf gegen Rechts.

Offen gestanden hatte ich damals schon meine Zweifel an der Aufrichtigkeit des Bekenntnisses von Merz. 2018 lehnte er nämlich den Ludwig-Erhard-Preis ab – weil dort Roland Tichy Chef der gleichnamigen Stiftung ist. Der Christdemokrat wollte sich von dem Publizisten distanzieren, der wegen seiner regierungskritischen Ansichten als „rechts“ diffamiert wird. Ein klarer Fall von „Cancel Culture“ – nur eben von Merz, der jetzt genau diese „Cancel Culture“ beklagt.

Nun kommt es noch dicker: Kaum ist die Druckerschwärze trocken auf dem Papier, auf dem vor wenigen Tagen seine Appel gegen die „Cancel Culture“ gedruckt wurde, legt er selbst wieder genau diese an den Tag. Ich weiß – es klingt unfassbar, und man muss an den Spruch von Henryk Broder denken – dass Deutschland, wenn es überdacht wäre, eine geschlossene Anstalt wäre. Aber es ist tatsächlich so: Merz sagte seine Teilnahme am „Transatlantischen Forum“ Ende August ab – offenbar, weil dort der soeben erwähnte Henryk M. Broder und der Medienanwalt Joachim Steinhöfel teilnehmen. So berichtet es die JF.

Eingeknickt

In dem Beitrag auf dem Online-Portal heißt es: „Als Grund gab der stellvertretende CDU-Sprecher Armin Peter auf Twitter das geänderte Programm der Veranstaltung an.“ Zuvor habe es „teils massive Kritik an Merz gegeben, da an dem Treffen“  auch die beiden streitbaren Männer teilnehmen. „Ursprünglich sollte Merz bei dem Treffen mit dem republikanischen US-Senator Lindsey Graham zusammenkommen. Dieser gilt als Unterstützer von Ex-US-Präsident Donald Trump. Schon das stieß im politischen Berlin auf Unmut. Jedoch werde Merz Graham bei dessen Besuch in Berlin treffen, betonte der Sprecher des CDU-Vorsitzenden“, schreibt die JF.

In dem Bericht wird weiter der Vize-Vorsitzende der Grünen-Bundestagsfraktion, Konstantin von Notz, zitiert, der gegenüber dem Redaktionsnetzwerk Deutschland, zu dessen Miteigentümern die SPD gehört, sagte: „Wer an solchen Veranstaltungen teilnimmt, macht sich politisch unmöglich. Man kann nur hoffen, dass im Umfeld von Friedrich Merz Menschen sind, die ihm die Teilnahme ausreden, bis er seinen politischen Kompass wiedergefunden hat.“

‘Starke Nähe zur AfD‘

Auch von der Linkspartei war heftige Kritik an der Merz-Teilnahme laut geworden. Nach dem Schritt von Merz trat die Landesvertretung von Baden-Württemberg, in der die Veranstaltung stattfinden sollte, von ihrem Mietvertrag zurück. Das begründete sie laut JF wie folgt: Ihr sei nicht klar gewesen, wer alles als Referenten auftreten solle. „Die nun genannten Referenten weisen eine starke Nähe zur AfD auf. Die Veranstaltung ist daher dazu geeignet, das Ansehen der Landesvertretung zu beschädigen“, so die Landesvertretung auf Twitter.

Es ist unfassbar. Und allgegenwärtig. Erst kürzlich sagte die CSU-nahe Hans-Seidel-Stiftung eine Kooperation mit der Vereinigung Europäischer Journalisten bei einem Medientag wegen meiner Teilnahme ab. Nach meinem Bericht darüber reagierte Stiftungs-Chef Markus Ferber (CSU) mit Häme und dem Vorwurf, ich würde lügen. Dabei hat der Verband nun den Schriftwechsel veröffentlicht – und damit Ferber der Lüge überführt (in Kürze schreibe ich dazu einen eigenen Bericht). Zu Canceln ist schlimm genug – aber es auch noch zu leugnen?

Noch schlimmer ist wohl nur, sich öffentlich über die „Cancel Culture“ zu beklagen und sie gleichzeitig auszuüben. In meinen Augen hat Merz damit den Lindner gemacht – und wie der FDP-Chef jede Glaubwürdigkeit verloren.

Dreist auch die Landesvertretung Baden-Württembergs. Die Broder und Steinhöfel unterstellte AfD-Nähe besteht wohl darin, dass sie nicht an jeder Stelle die AfD verteufeln, wie das der Zeitgeist gebietet. Aber selbst wenn sie AfD-nah wären – die AfD sitzt im Landtag in Baden-Württemberg, von den Wählern dorthin entsandt, und allein schon deshalb ist es ein Affront gegen die Demokratie, wenn die Vertretung dieses Landes einen Mietvertrag kündigt, weil zwei Diskutanten AfD-Nähe haben.

Bevor ich diesen Artikel schrieb, habe ich mit einem politischen Urgestein aus der Union gesprochen. Er sagte, er komme sich heute vor wie in einem Irrenhaus – unter Berufung auf das Broder-Zitat mit der geschlossenen Anstalt. „Oder leben wir vielleicht in einer Matrix?“, fragte er dann noch lächelnd: „In einer parallelen Realität. Denn das, was wir erleben, kann doch einfach nicht real sein“.

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Bild: photocosmos1 / Shutterstock
Text: kr

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