4 + 1 ≠ 1 + 4? Wenn die Logik sich Regierungsverordnungen beugen muss

Ein Gastbeitrag von Sönke Paulsen

Angesichts des neuerlichen, verschärften Lockdowns dürfte das Gehirn eines Naturwissenschaftlers ins Grübeln kommen. Es ist wohl eher ein Thema für Philosophie-Studenten.

Ein Pausengespräch:

Mein Kollege wies mich gerade auf die neue (alte) Kontaktregel hin, nach der demnächst (wann genau?) nur noch die Personen eines Haushaltes und eine weitere Person aus einem anderen Haushalt privat zusammenkommen dürfen.

„Wo ist das Problem?“, fragte ich.

„Naja“, meinte er. Er dürfe seine Freunde (eine vierköpfige Familie) zwar noch besuchen, aber sie dürften nicht mehr zu ihm kommen.

„Wieso?“

Wenn er sie besuche, seien das „ein Hausstand und eine Person aus einem anderen Hausstand“, also erlaubt. Wenn sie kämen, seien das ein Hausstand (eine Person, weil er allein lebe) und vier Personen aus einem anderen Hausstand, also streng verboten!

Ich winkte ab, Haarspalterei.

Nein, nein, insistierte er, hochgradig relevant, nicht nur für ihn. 17,6 Millionen Menschen leben in Deutschland in Singlehaushalten. Die aktuelle Verordnung muss zwangsläufig dazu führen, dass nun die Singles in die Mehrpersonen-Haushalte zu Besuch kommen (Familien, Paare, Wohngemeinschaften), weil es umgekehrt verboten ist.

„Ja, und?“

„Kinder dürfen noch ihre Eltern besuchen, Eltern aber nicht mehr ihre alleinlebenden Kinder. Die Oma, die noch selbstständig in eigener Wohnung lebt, darf von der Tochter mit Schwiegersohn und Kindern nicht besucht werden (streng verboten), aber sie darf dieselben Personen in ihrem eigenen Hausstand besuchen (wenn sie das noch kann). Alte Leute, die das nicht mehr können, sind benachteiligt.“

„Noch mehr Beispiele?“

„Nein, nein, hör auf“, sagte ich, „hab schon verstanden … wusste gar nicht, dass Du ein Corona-Leugner bist.“

„Typisch“, antwortete er, „immer wenn man euch mit Logik kommt, ist man ein Corona-Leugner. Fakt ist aber, dass in diesem Falle A+B ungleich B+A ist und das widerspricht den „Booleschen Algebren“, nach denen unsere Zahlenlogik läuft.“

„Es handelt sich aber um eine Aussagenlogik, wenn überhaupt,“ entgegnete ich.

„Gut, aber dann entspricht A und B nicht B und A. Das verletzt die Konjunktionsregel.“

Ich versuchte ihm zu erklären, dass es sich bei den Kontaktbeschränkungen nicht um Regeln handelt, die einer formalen Logik folgen müssen. Es handelt sich nämlich um eine Alltagslogik, die sehr wohl gegen logische Gesetze verstoßen darf.

Darauf hatte mein Kollege nur gewartet.

„Ganz genau“, sagte er. Alltagslogik folge aber dem allgemeinen Sprachgebrauch, der aus Übereinkünften bestehe. Wem es also gelänge, eine neue Formel einzuführen, die allgemein akzeptiert wird, der dürfe diese auch als logisch im Sinne von Alltagslogik bezeichnen.

Leicht überfordert fragte ich: „Das macht die Bundesregierung gerade?“

„Natürlich“, antwortete mein Kollege. „Sie führt eine neue Logik ein, die am Anfang zwar noch niemand versteht, aber regelbildend (normativ) wirkt. Irgendwann wirkt die faktische Kraft des Normativen (per Verordnung) und die Leute akzeptieren das Unlogische als logisch. Bis dahin ist es natürlich eine Fake-Logik. Wenn es durchgesetzt ist, wird es irgendwann logisch im Sinne der Alltagslogik.“

„Quatsch“, sagte ich.

„Kein Quatsch“ meinte er „diese Kontaktregel gab es im Frühjahr während des Lockdowns ja schon und deshalb hinterfragt es heute niemand mehr. „Mere-Exposure-Effekt“ nennt man das. Was zum ersten Mal gemacht wird, löst Skepsis aus, beim zweiten Mal wirkt es schon seriös und wird sicher nicht mehr hinterfragt. So kann man Tatsachen schaffen, gegen alle Logik! Man muss, nur für eine Weile, die kritische Diskussion unterbinden. Irgendwann kommt niemand mehr auf die Idee, darüber zu diskutieren.“

Neugierig geworden, fragte ich: „Was ist denn dann mit der Fünfzehn-Kilometer-Regel? Die wird doch eingeführt, damit die Leute nicht zu viel reisen.“

Mein Kollege strahlte mich an: „Du hast es erfasst! Das ist nämlich gar keine Logik im eigentlichen Sinne. Das ist Zwecklogik. Die Leute sollen nicht zu viel reisen. Das ist, im Sinne der Corona-Politik der Bundesregierung, logisch. Jede Maßnahme wird damit durch die Logik des Zweckes gerechtfertigt, auch wenn sie in sich völlig unlogisch ist. Warum fünfzehn Kilometer, warum nicht sechzehn oder zwanzig Kilometer?“

Ich blickte ihn an und schaute dabei wie ein Fragezeichen.

„Genau“, bestätigte er sich selbst und ließ mich dabei links liegen, „die Antwort ist, dass es egal ist. Es geht darum, irgendeine Maßnahme zu erlassen, die die Logik des Zweckes, „nicht zu reisen“, transportiert. Man hätte auch einfach touristische Tagesausflüge verbieten können. Das wäre aber viel mehr diskutiert worden, als ein virtueller Zaun, fünfzehn Kilometer entfernt von unserer Wohnung, über den wir nicht rüber dürfen. Das ist eine Regel, die irgendwann logisch wird, obwohl sie nicht logisch ist. Man darf sie anfangs nur nicht zu sehr infrage stellen. Aber das unterbinden ja unsere Leitmedien.“

„Ah“, leuchtete es mir ein, „deshalb wird diese Regel auch von der Bundesregierung nicht begründet!“

„Eben“, antwortete er, „Transparenz schadet da nur, weil es sich ja nicht logisch begründen lässt. Es wird erst dadurch Teil unserer Logik, dass es implementiert und durchgesetzt wird.“

Ich fühlte mich nun wissend. Das Schweigen, die zusammengekniffenen Lippen der Kanzlerin und der Sprecher der Bundesregierung leuchteten mir plötzlich ein. Es gibt auch eine Logik, die gegen alle Logik dadurch logisch wird, dass man sie durchsetzt. Man muss eben nur verhindern, dass sie diskutiert und dadurch weggewischt wird.

„Der Zweck heiligt also die Mittel?“

„Eben“, antwortete er. Für einen guten Zweck sei jedes Mittel recht. Sogar wenn es gegen den Rechtsstaat und das Grundgesetz laufe. Der Zweck sei ja gut! So sei die Logik, die sich nur nach dem Zweck richte.

„Ich habe etwas sehr Ähnliches einmal irgendwo gelesen“, sagte ich meinem Kollegen etwas versonnen, „ich glaube es war in einem Buch von George Soros, der das Prinzip der „Reflexitivity“ beschrieb, um Märkte und Gesellschaften zu manipulieren. Da ging es auch um Tatsachen, die dadurch logisch werden, dass man sie schafft.“(1)

„Klar“, sagte er, „Soros ist inoffizieller Berater der Bundesregierung, war es auch schon während der Flüchtlingskrise.“

Meinte er das ernst?

„Immerhin war Gerald Knaus, der Chef der „European Stability Initiative“ (einer von Soros finanzierten NGO), Chefberater von Merkel während der Flüchtlingskrise.“

Ich blieb aber noch bei der Zwecklogik hängen und meinte: „Das klingt ja wie eine Art Regierungs-Anarchie gegen die staatliche Ordnung.“

„Ja, wenn man sich Mehrheiten beschaffen kann, kann man jede Ordnung und jede Logik außer Kraft setzen. Genau das macht Merkel gerade.“

Mein Kollege lächelte mich an. „So, Pause vorbei“, sagte er streng, „Maske auf und weiterarbeiten!“

Ich glaube, er ist doch kein Corona-Leugner, aber er grübelt zu viel!

(1) Reflexivity Wikipedia (abgerufen am 7.1.2021): “ It commonly refers to the capacity of an agent to recognize forces of socialization and alter their place in the social structure. A low level of reflexivity would result in an individual shaped largely by their environment (or „society“). A high level of social reflexivity would be defined by an individual shaping their own norms, tastes, politics, desires, and so on. This is similar to the notion of autonomy.“

Übersetzung:

„Gemeinhin bezieht es sich auf die Fähigkeit eines Akteurs, soziale Strömungen zu erkennen, umzuformen und dadurch gesellschaftliche Strukturen zu verändern. Ein niedriges Niveau von Reflexivität würde in einem Individuum resultieren, das im Großen und Ganzen von seiner Umgebung geformt wird. Ein hohes Niveau von Reflexivität würde durch ein Individuum definiert, das eigene Normen, Anschauung, Politiken und Bedürfnisse (mit Gültigkeit für die Gesellschaft) formen kann. Ähnlich der Begrifflichkeit der Autonomie.“

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Gastbeiträge geben immer die Meinung des Autors wieder, nicht meine. Ich schätze meine Leser als erwachsene Menschen und will ihnen unterschiedliche Blickwinkel bieten, damit sie sich selbst eine Meinung bilden können.

Sönke Paulsen ist freier Blogger und Publizist. Er schreibt auch in seiner eigenen Zeitschrift „Heralt“

Bild: Kemedo/Shutterstock
Text: Gast
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