Ein Gastbeitrag von Prof. Dr. Thomas Rießinger
„Ihr naht euch wieder, schwankende Gestalten,
Die früh sich einst dem trüben Blick gezeigt,“
schreibt Goethe zu Beginn der Zueignung seines „Faust. Der Tragödie erster Teil“. Und tatsächlich sind auch im Verlauf der Tragödien unserer Zeit, insbesondere der sonderbaren Pandemie, stets die gleichen schwankenden Gestalten zu bemerken, die sich schon seit Langem dem trüben Blick des Zuschauers zeigen. Nicht von Karl Lauterbach, dem Minister der Herzen, ist hier die Rede, denn der schwankt nie, sondern verharrt unverdrossen im Impf- und Panikmodus. Doch die Ständige Impfkommission, liebevoll als STIKO abgekürzt, neigt zu leichten Schwankungsbewegungen, indem sie sich gerne erst für Zurückhaltung und Vorsicht bei neuen Covid-Impfstoffvarianten ausspricht, nur um kurze Zeit später alles das zu empfehlen, was dem besten Minister der Ampel-Regierung in den Sinn kommen mag.
Bislang keine Daten zur Anwendung beim Menschen
Nun ist es wieder so weit. Vor einigen Tagen durften wir erfahren, die STIKO wolle „trotz Kritik an der Datengrundlage (…) Bürgern bei Corona-Auffrischimpfungen dazu raten, in Zukunft bevorzugt einen der drei neuartigen Impfstoffe zu verwenden, die an unterschiedliche Omikron-Varianten des Virus angepasst sind.“ Das hört man gerne, denn wer möchte nicht zu den ersten gehören, denen man das neue Produkt verabreicht? Man sollte sich dabei nicht an Kleinigkeiten aufhalten, wie zum Beispiel an der Tatsache, „dass zu dem an die Varianten BA.4 und BA.5 angepassten Impfstoff bislang keine Daten zur Anwendung beim Menschen vorlägen“, sondern der Impfstoff bisher nur an der einen oder anderen Maus zur Anwendung gelangte. „Wir können uns leider nicht aussuchen, welche Evidenz wir zur Verfügung haben,“ heißt es dann in erfrischender Offenheit, und wenn es keine Daten gibt, stimmt man eben ohne Daten zu. Kann man noch bezweifeln, dass diese segensreiche Kommission früher oder später auch ihre Liebe zur sechsten, siebten oder achten Impfung entdecken wird? Wer bei solchen freudvollen Aussichten etwas musikalische und doch themenbezogene Erholung sucht, kann sie beispielsweise hier finden.
Doch worauf gründet sich im Allgemeinen die Auffassung, die Covid-Impfung sei in aller Regel zu empfehlen? Man darf hier zuerst auf das RKI verweisen, dessen Leiter Lothar Wieler in aufopferungsvoller Arbeit alles tut, um die nötigen Daten zur Verfügung zu stellen. Nun hat vor Kurzem die Zeitung „Nordkurier“ einen Bericht veröffentlicht, in dem sie die Nützlichkeit der Impfung einerseits in Frage stellt, andererseits aber doch nicht, weil man die Daten vielleicht auf die eine, oder vielleicht doch besser auf die andere Art zu interpretieren habe: Ihr naht euch wieder, schwankende Gestalten … Der Bericht basiert auf zwei Verlautbarungen des RKI: dem Wochenbericht vom 8. September und dem Monitoring des Covid-19-Impfgeschehens vom 1. September 2022. Auch auf dieser Plattform wurde schon darüber berichtet, einschließlich einer deutlichen Kritik an dem Nordkurier-Artikel, und ich werde im Folgenden einen genaueren Blick auf die zugrunde liegenden Daten werfen.
Zunächst heißt es beim Nordkurier, man finde auf den Intensivstationen mehr Geimpfte als es der Impfquote in Deutschland entspreche, denn 86,3 % der Fälle seien geimpft, während die Impfquote der Gesamtbevölkerung bei nur 78 % liege. Entsprechend sei der Anteil der Ungeimpften auf den Intensivstationen niedriger, als es nach ihrem Anteil an der Bevölkerung zu erwarten sei. Das ist nicht von der Hand zu weisen und zeigt in jedem Fall, dass die Covid-Impfungen nicht das Wundermittel sind, als das sie gerne dargestellt werden. Überbewerten darf man diese Zahlen aber nicht, denn die Impfquoten in verschiedenen Bevölkerungsgruppen können sehr unterschiedlich sein, weshalb eine Gesamtbetrachtung in die Irre führen kann – wir sollten die Fehler und Unzulänglichkeiten der Impf-Fanatiker nicht übernehmen. An zwei fiktiven Beispielen will ich dieses Phänomen illustrieren.
Mehr Geimpfte auf Intensivstationen als Ungeimpfte
Ausgangspunkt der fiktiven Beispiele ist eine Bevölkerung aus 100.000 Personen, die zu 80 % mindestens eine der üblichen Covid-Impfungen empfangen haben. Daher sind 20 % ungeimpft. Innerhalb meiner Bevölkerung sind 1000 „Fälle“ – was immer ein Fall auch sein mag – aufgetreten, 800 davon waren geimpft, 200 nicht. Das sieht nach einem klaren Fall aus: Die Impfquoten in der Bevölkerung und in der Fallgruppe sind identisch; es ist schlichtweg egal, ob man sich einer Impfung unterzieht oder nicht. Doch ganz so einfach ist es nicht.
Nehmen wir an, die Bevölkerung teile sich auf in zwei Gruppen A und B zu 60.000 bzw. 40.000 Personen. In Gruppe A haben sich 90 % einer Impfung unterzogen, das sind 54.000. Folglich kann sich Gruppe B einer Zahl von 26.000 Geimpften rühmen, denn insgesamt haben wir in der Bevölkerung noch immer 80.000 Impflinge. Somit liegt die Impfquote in Gruppe B bei 26.000/40.000, also bei 65 %. Die Gesamtzahl der ominösen Fälle sollte 1000 betragen, und ich nehme im Rahmen dieses Beispiels an, dass 600 davon in Gruppe A aufgetreten sind, 400 in Gruppe B. Die Quote der Geimpften unter den Fällen kann man bei jeweils 80 % belassen, sodass also 480 A-Fälle und 320 B-Fälle geimpft sind. Zusammen sind das genau die 800 Fälle, die in der Gesamtbevölkerung zu verzeichnen waren. Und schon sieht man das Problem: Zwar haben wir in Gruppe A eine Impfquote von 90 %, der eine Fallquote der Geimpften in Höhe von 80 % gegenübersteht – hier gibt es einen positiven Effekt der Impfung. In Gruppe B dagegen ist die Impfquote mit 65 % niedriger, doch es sind ebenfalls 80 % der Fälle als geimpft zu bezeichnen, das sind überproportional viele. Deutlich mehr Geimpfte, als zu erwarten war, sind in Gruppe B zum Fall geworden, der Effekt der Impfung ist hier ein negativer.
Obwohl also insgesamt überhaupt kein Effekt der Impfung festgestellt werden konnte, sieht man bei genauerer Betrachtung unserer fiktiven Gruppen einmal einen positiven und einmal einen negativen Effekt. Nun könnte man sagen, dass sich eben die beiden Effekte aufheben, aber das reicht zur Erklärung nicht aus, wie das zweite Beispiel zeigt.
An der Gesamtpopulation von 100.000 Personen ändert sich nichts, ebenso wenig an der Verteilung auf Gruppe A mit 60.000 und Gruppe B mit 40.000 Mitgliedern. Auch die Gesamtzahl der mit Impfungen Versehenen soll wieder 80.000 betragen. In Gruppe A befinden sich nun aber 44.820 Geimpfte und nur noch 15.180 Ungeimpfte. Für Gruppe B bleiben daher noch 35.180 Geimpfte übrig, denn insgesamt sollen es noch immer 80.000 sein. In Gruppe A hat man nun 660 Fälle festgestellt, davon 495 mit einer Impfung, in Gruppe B sind es 340 Fälle, und selbstverständlich hat man hier 305 geimpfte Fälle, denn die Gesamtzahl der Fälle liegt bei 1000, die Zahl der geimpften Fälle bei 800. Wie sehen nun die Quoten aus? Die Impfquote in Gruppe A berechnet sich aus 44.820/60.000 = 0,747, also 74,7 %. In Gruppe B ergibt die Rechnung 35.180/40.000 = 0,8795, das sind 87,95 %. Und die Quoten der Geimpften unter den Fällen? Für Gruppe A liegt die Quote bei 495/660 = 0,75, also 75 %, und für Gruppe B finden wir 305/340 = 0,8971, was 89,71 % entspricht. Zum besseren Überblick sind die Quoten in der folgenden Tabelle zusammengefasst.
Und man sieht ein erstaunliches Phänomen. In beiden Gruppen liegt der Anteil der geimpften Fälle über der jeweiligen Impfquote, was bedeutet, dass in beiden Gruppen die Geimpften stärker unter den Fällen vertreten sind als es ihrer Quote in der entsprechenden Bevölkerungsgruppe entspricht. Obwohl also die Zahlen für die gesamte Bevölkerung auf eine Indifferenz in Bezug auf die Impfung hinweisen, zeigt sich ein anderes Bild, sobald man die einzelnen Gruppen genauer in den Blick nimmt, denn in beiden Gruppen findet man eine – wenn auch leichte – negative Wirkung der Impfung. Es kann also nicht die Rede davon sein, dass sich hier ein positiver Effekt und ein negativer Effekt gegenseitig aufheben; die Verteilung der Bevölkerung und der Fälle führt hier zu einem nicht vorhandenen Gesamteffekt, obwohl in beiden Gruppen die Wirkung der Impfung als negativ bezeichnet werden muss.
Man kann einige Zeit damit verbringen, solche Konstellationen verschiedenster Art zu konstruieren, aber das Resultat ist immer das gleiche: Aus den Daten für die gesamte Population lassen sich nur bedingt Schlüsse ziehen, ein wenig Differenzierung ist hier nötig – sofern die entsprechenden Daten zur Verfügung stehen. Und wie sieht es in dieser Hinsicht mit der Lieferbereitschaft des RKI aus? Nicht sehr gut. Im bereits erwähnten Bericht des Nordkuriers lesen wir: „Um die Behauptung tatsächlich prüfen zu können, müsste man die Patienten-Daten zum Impfstatus allerdings um weitere Daten ergänzen – etwa zu Alter oder Vorerkrankungen. Doch derartige Daten existieren nicht, erklärt die Deutsche Interdisziplinäre Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin (DIVI) auf Nordkurier-Anfrage. Der Datenschutz verbiete es, „patientenindividuelle Daten” zu erheben und zu kombinieren. Sonst könnten im Einzelfall Rückschlüsse auf Personen geschlossen werden.“
Ich will davon absehen, dass man Rückschlüsse nicht schließt, sondern eher zieht. Wir leben in einem Land, in dem seit Jahren massiv das Recht gebrochen wird, ohne dass es irgendjemanden in irgendeiner Regierung interessiert. Das Dubliner Übereinkommen wurde im Zuge der Migrationspolitik der verhängnisvollen Altkanzlerin gebrochen und faktisch außer Kraft gesetzt, Kraftwerke wurden gegen jede Vernunft und gegen geltendes Recht abgeschaltet, während der sonderbaren Pandemie hat man per Federstrich Grundrechte ganz nach Belieben in Gnadenrechte verwandelt, die eine Regierung gewähren kann oder auch nicht, all das wurde und wird von einem willfährigen Bundesverfassungsgericht mit einem juristischen Deckmantel versehen – und in diesem Staat soll es nicht möglich sein, den Datenschutz ein wenig zu flexibilisieren, obwohl doch angeblich so viele Leben auf dem Spiel stehen? Das ist lächerlich. Man könnte diese Daten haben, wenn man sie wollte, aber man will sie nicht.
Somit muss ich mich mit dem zufrieden geben, was das RKI liefert, und das ist nicht eben viel. Sehen wir uns an, was der erwähnte Wochenbericht vom 8. September zu erzählen weiß. „Für den Zeitraum vom 08.08.2022 bis 04.09.2022 (KW 32 – KW 35/2022) wurde der Impfstatus von 1.850 COVID-19-Aufnahmen gemeldet; das entspricht etwa 59,6 % der für diesen Zeitraum übermittelten Fälle (3.104). 13,7 % (253 Fälle) aller COVID-19-Neuaufnahmen mit bekanntem Impfstatus hatten keine Impfung, 3,2 % (60 Fälle) hatten eine Impfung, 12,0 % (222 Fälle) hatten zwei Impfungen, 55,6 % (1.029 Fälle) hatten drei Impfungen und 15,5 % (286 Fälle) hatten vier oder mehr Impfungen erhalten.“
Schon sind wir mit dem zweiten Aspekt des Irrsinns konfrontiert. In den angegebenen Kalenderwochen gab es 3104 sogenannte Covid-19-Aufnahmen – ich werde jetzt nicht der Frage nachgehen, ob sie wegen oder nur mit Covid-19 aufgenommen wurden. Und nur in 1850 Fällen kennt man den Impfstatus? Man fragt sich, warum. Immerhin sagt uns der gleiche Bericht: „Seit Mitte Dezember 2021 wird im Intensivregister der Impfstatus von neu aufgenommenen COVID-19-Patientinnen und -Patienten auf Intensivstationen erhoben.“ Das scheint nur bedingt zu funktionieren, aber was macht das schon in Anbetracht von Impfstoffen, die auch nur bedingt zugelassen sind.
Da man davon ausgehen darf, dass Kinder und Jugendliche unter 18 Jahren zum Covid-Geschehen auf den Intensivstationen nichts Nennenswertes beizutragen haben, betrachte ich im Folgenden nur die volljährige Bevölkerung. Das RKI berichtet in seinem Impf-Monitoring vom 1. September auf Seite 5, 85,3 % der erwachsenen Bevölkerung seien bereits grundimmunisiert, also mit zwei Impfungen versehen. „Darüber hinaus erhielten bisher 50.132.485 Menschen dieser Altersgruppe (72,2 %) eine erste und 7.141.284 (10,3 %) Menschen eine zweite Auffrischimpfung.“ An anderer Stelle findet man in einer Excel-Tabelle, abgerufen am 15. September, eine weitere Auflistung der Impfquoten, die zusätzlich verrät, dass 13,2 % der erwachsenen Bevölkerung im Status des Ungeimpft-Seins verharren.
Da noch immer, wenn auch nicht mehr lange, eine zweifache Impfung, also eine sogenannte Grundimmunisierung, als vollständige Impfung gilt, beginne ich mit der Wirkung eben dieser Zweifachimpfung, soweit man sie aus den Daten des RKI bestimmen kann. Von 85,3 % der doppelt Geimpften waren 72,2 % sogar dreifach geimpft, weshalb die Gruppe der nur doppelt Geimpften, die sich bisher nicht zum dritten Stich durchringen konnten, 13,1 % der erwachsenen Bevölkerung umfasst und damit ähnlich groß ist wie die Gruppe der Ungeimpften. Die Ungeimpften hatten im fraglichen Zeitraum 253 Fälle zu verzeichnen, die zweifach Geimpften dagegen 222. Um diese Zahlen wirklich vergleichen zu können, sollte man eine gemeinsame Basis herstellen, indem man annimmt, es habe genau so viele zweifach Geimpfte wie Ungeimpfte gegeben. Wäre also die eine Hälfte der Bevölkerung ungeimpft, die andere dagegen doppelt geimpft, so zeigt eine Dreisatzrechnung – für Politiker und Journalisten des öffentlich-rechtlichen Rundfunks: Das ist eine Methode aus der Mittelstufenmathematik –, dass man in der Klasse der Ungeimpften mit 253/13,2*50 Fällen, also mit 958 Fällen hätte rechnen müssen, in der Menge der Grundimmunisierten allerdings mit 222/13,1*50, also 847 Fällen. Um es noch einmal zu sagen: Es geht hier um auf den Intensivstationen Hospitalisierte, und der Unterschied zwischen beiden Klassen ist nicht unbedingt überwältigend. Die Impfeffektivität in Form der relativen Risikoreduktion berechnet sich dann aus (958 – 847)/958 = 0,1159. Wir finden daher eine Reduktion des relativen Risikos zwischen 11 % und 12 %; ob das in Anbetracht der immer deutlicher werdenden Nebenwirkungen der Covid-Impfung als ausreichend betrachtet werden soll, darf man bezweifeln.
Ist die vierte Impfung auf Basis vom Nichtswissen
Doch nicht umsonst hat der Minister der Herzen beschlossen, dass zum 1. Oktober nur noch der dreifach Geimpfte den Anspruch auf ernsthafte Impfwilligkeit erheben darf. Sehen wir uns also die zugehörigen Werte an. Da jeder Besitzer einer zweiten Auffrischungsimpfung bereits eine erste erhalten haben dürfte, muss man die Quote der zweifach Aufgefrischten von der Quote der einfach Aufgefrischten abziehen, um festzustellen, wie es um den Anteil der exakt dreifach Geimpften bestellt ist: Er beträgt im betrachteten Zeitraum 72,2 % – 10,3 % = 61,9 %. Ungeimpft waren dagegen 13,2 %, daran hat sich nichts geändert. Nun beginnt das Spiel von Neuem. Man macht die Fallzahlen vergleichbar, indem man die reale Zahl der Fälle durch die Impfquote teilt und dann mit 50 multipliziert. Im Falle der ungeimpften Erwachsenen ergibt das natürlich wieder 958, für die dreifach Geimpften kommt man auf 1029/61,9*50, also auf 831 Fälle. So sehr viel scheint auch die dritte Impfung nicht gebracht zu haben, denn die Effektivität der dreifachen Impfung im Vergleich zur Nicht-Impfung liegt nun bei (958 – 831)/958 = 0,1325. Selbst eine Auffrischungsimpfung verringert das Risiko für den Aufenthalt auf einer Intensivstation wegen oder auch nur mit Covid um nur 13,25 %.
Schlechter sieht es bei der vierfachen Impfung aus, denn in dieser Klasse gab es 286 Fälle bei einer Impfquote von 10,3 %. Ich kann es jetzt kurz machen: Während die ungeimpften Fälle nach einer Normierung auf der gleichen Basis wie üblich bei 958 liegen, findet man für die vierte Impfung einen Wert von 286/10,3*50, also 1388 Fälle. Der Vorteil liegt in diesem Fall also auf der Seite der Ungeimpften; drückt man ihn wieder als relative Risikoreduktion aus, so erhält man (1388 – 958)/1388 = 0,3097. Ungeimpfte hatten nach den Daten des RKI im Vergleich zu vierfach Geimpften ein um 31 % niedrigeres Risiko für eine Intensiv-Hospitalisierung.
Ich will hier nicht alle möglichen Vergleiche anstellen, sondern nur noch anführen, dass der Vergleich der Klasse der mindestens zweimal Geimpften mit der Klasse der Ungeimpften immerhin noch einen Vorteil der Impfklasse von etwa 6 % ergibt. Große Erfolge sehen anders aus.
Legen also schon die Daten der Hospitalisierten, bei denen man den Impfstatus kennt oder zumindest zu kennen glaubt, keine übermäßig große Effektivität der Impfungen nahe, so wird die Lage vollends unübersichtlich, wenn man bedenkt, dass nach Angaben des RKI nur bei 1850 von 3104 Patienten dieser Status überhaupt bekannt war – ein gewaltiger Triumph der Datenerfassung. Was ist mit den anderen 1254? Niemand weiß es. Man kann beispielsweise von der plausiblen Annahme ausgehen, dass die Impfquoten in dieser Personengruppe im Wesentlichen so verteilt sind wie in der Gesamtbevölkerung. In diesem Fall hat man beispielsweise in der Klasse der Ungeimpften 0,132*1254 = 165,53 weitere Fälle zu verzeichnen, also 166 zusätzliche Fälle. Führt man diese Rechnung für alle Impfklassen durch, so erhält man die folgende Tabelle.
Mit diesen neuen Fallzahlen kann jeder genau die gleichen Rechnungen durchführen wie eben gezeigt. Man findet dann beispielsweise für die Menge der genau dreifach Geimpften eine Effektivität von etwa 8 % zugunsten der Dreifachimpfung, für die Klasse der mindestens zweifach Geimpften nur noch eine Effektivität von knapp 4 %.
Aber wir wissen ja nicht einmal das, denn in Deutschland ist es nicht möglich, die nötigen Daten zu erheben, um ernstzunehmende Aussagen treffen zu können. Schließlich könnten auch alle zusätzlichen 1254 Fälle ungeimpft gewesen sein, wer weiß das schon? Man erhält dann selbstverständlich außerordentlich gute Ergebnisse für die Effektivität, ganz gleich, wie oft geimpft wurde. Es könnte jedoch auch ganz anders sein, niemand verrät es uns. Sind vielleicht alle 1254 Fälle, deren Impfstatus man nicht kennt, genau zweimal geimpft? Man kann sich leicht vorstellen, welche Auswirkungen diese Annahme auf die Effektivität einer zweifachen Impfung hätte, die sich tief im negativen Bereich befände. Es lohnt sich nicht, das alles auszurechnen, auch wenn jeder anhand der vorliegenden und vor allem der nicht vorliegenden Daten die Möglichkeit hat, sich die potentiellen Informationen zu beschaffen; – da wir nichts über die Verteilung der zusätzlichen Fälle auf die Impfklassen wissen, sind das Zahlenspielereien, die nur den Umfang des amtlichen Unwissens demonstrieren.
Wie lauten die Resultate? Es ist nötig, nicht nur Gesamtpopulationen zu betrachten, sondern auch Teilpopulationen wie beispielsweise Altersklassen in die Rechnung mit einzubeziehen; das vermeidet man mit Hinweis auf den Datenschutz. Es ist ebenfalls nötig, sämtliche Fälle einschließlich ihres Impfstatus zu erfassen, um etwas über die Impfeffektivität zu erfahren; aus unbekannten Gründen ist man dazu nicht in der Lage. Und auf der Basis der gegebenen Daten sind die Impfeffektivitäten nicht überzeugend. Dabei habe ich die Impfnebenwirkungen noch nicht einmal in Betracht gezogen. Nach zweieinhalb Jahren der sonderbaren Pandemie, nach fast zwei Jahren des Impfens wissen wir immer noch fast nichts. Jeder darf sich seine eigenen Gedanken machen, an welchen Institutionen oder Personen das wohl liegen könnte.
Auf der Basis dieses Nichtwissens soll im begonnenen Herbst die Impfkampagne forciert werden; schließlich muss man all die schönen Impfstoffe an den Mann und an die Frau bringen, von Diversen ganz zu schweigen. Wird es bei vier Impfungen bleiben? Was die STIKO angeht, so hat man dort offenbar verstanden, dass auf jede natürliche Zahl noch eine weitere folgt und nichts dagegenspricht, von Zeit zu Zeit einen Schritt nach vorne zu gehen.
In anderen Staaten hat man zur Kenntnis genommen, dass weitere Maßnahmen und weitere Kampagnen sinnlos und sogar schädlich wären, dort hat man endlich „Corona Ciao“ gesagt. Deutschland dagegen verharrt auf dem Pfad maximalen Irrsinns. Sieben Impfungen hatte ich vor einiger Zeit in einem Songtext thematisiert, aber Texte alleine motivieren nicht genug zum Handeln. Wer auf dem Weg zu einem Spaziergang oder gar zu einer Demonstration ein wenig musikalische Unterstützung braucht, dem darf ich die neu vertonte Fassung empfehlen: „Sieben Stiche gibt es, du wirst sehn“, die man sich auf Youtube ansehen kann.
Ob es wirklich zu den sieben Stichen kommt, liegt nur an uns.
Gastbeiträge geben immer die Meinung des Autors wieder, nicht meine. Ich schätze meine Leser als erwachsene Menschen und will ihnen unterschiedliche Blickwinkel bieten, damit sie sich selbst eine Meinung bilden können.
Thomas Rießinger ist promovierter Mathematiker und war Professor für Mathematik und Informatik an der Fachhochschule Frankfurt am Main. Neben einigen Fachbüchern über Mathematik hat er auch Aufsätze zur Philosophie und Geschichte sowie ein Buch zur Unterhaltungsmathematik publiziert.
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