Vom Saulus zum Paulus? Will Söder wirklich die Gesellschaft versöhnen? „Wind of Change“ oder politisches Kalkül?

Von Alexander Wallasch

Der bayerische Ministerpräsident will möglicherweise nicht mehr länger eine Art Großwesir des Corona-Regimes sein.

Angesichts der Bilder aus München von empörten Spaziergängern und Einkesselungen der Polizei – wochenlang noch befeuert von Söder selbst – folgte jetzt eine Art Kehrtwende Söders, dessen Ernsthaftigkeit sich allerdings noch beweisen muss:

„Nun, ich glaube, dass wir insgesamt in einer aufgewühlten Situation sind“, so Söder, aber für Bayern sehe es eigentlich ganz gut aus: „Wir haben die Situation, dass wir möglicherweise eine Welle in Bayern gut überstanden haben – die letzte, die vierte – ,wir liegen heute trotz Omikron auf Platz 14 in Deutschland.“

Der bayerische Ministerpräsident schlägt auf einmal versöhnliche Töne an:

„Wir müssen versuchen, in diesem Jahr neben dem strammen Verkünden von Maßnahmen und ständig neuem Übereilen von Konzepten auch drüber nachdenken, wie wir die Gesellschaft wieder heilen und versöhnen können.“

Viele Menschen, so Söder weiter, seien schlicht und einfach verunsichert, genervt, müde und gestresst, „für die brauchen wir auch ein Angebot auf Dauer zu Gespräch, zu Miteinander. Und wie gesagt, wir müssen schauen, dass wir die Gesellschaft am Ende auch wieder heilen und versöhnen.“

Will man solche überraschenden Drehbewegungen des bayerischen Ministerpräsidenten einordnen, lohnt ein Blick auf die Vorgeschichte, auf Söders Rolle im politischen Pandemie-Management. Ein Bild hatte sich da besonders ins Gedächtnis der Menschen eingegraben: Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU) als Stichwortgeber der Kanzlerin auf den Pressekonferenzen nach den Ministerpräsidentenkonferenzen.

Neben Söder war – gewissermaßen als zweiter Sidekick der Bundeskanzlerin – auch der damalige Regierende Bürgermeister von Berlin, Michael Müller, zugegen. Dazwischen hielt Angela Merkel Hof – nicht eingezwängt, sondern die Herren von der Mitte aus zu den Seiten hin verdrängend.

Markus Söder muss sich damals gefühlt haben, als seien er und Merkel gewissermaßen die Erziehungsberechtigten der Deutschen. Söders Rolle: Der strenge Vater, der Mutti den Rücken freihält, indem er die Watschen verteilte.

Und zwischendurch immer ein willfähriges verbales Buckeln vor Kanzlerin, damals wohl noch hoffnungsschwanger, Merkel spräche sich für ihn als Kanzlerkandidat aus oder die pure Nähe der Erhabenen könnte irgendwie auf ihn abfärben:

„Danke schon mal an die Kanzlerin, die, ja, das Impfen schon zur Chefsache gemacht hat. Das hat man heute gemerkt, gerade gegenüber der EU und den ganzen Partnern, das ist, glaube ich, sehr wichtig.“

So stellte sich das Gespann Söder-Merkel den Menschen vor. Aber nun ist sie weg, die Kanzlerin. Und nicht der Corona-Hardliner Markus Söder, nicht einmal der profilarme Armin Laschet, sondern der Sozialdemokrat Olaf Scholz ist neuer Bundeskanzler geworden.

Scholz äußerte sich in seiner Neujahrsansprache 2022 zu einer behaupteten Spaltung der Gesellschaft, die es seiner Meinung nach nicht gäbe: „Manche beklagen in diesen Tagen, unsere Gesellschaft sei gespalten. Ich möchte hier mit aller Deutlichkeit sagen: ‚Das Gegenteil ist richtig! Unser Land steht zusammen.’“

Bei Markus Söder klang das um Weihnachten herum allerdings noch ganz anders. Der bayerische Ministerpräsident beklagte, dass die deutsche Gesellschaft „in vielerlei Hinsicht gespalten“ sei.

Und Söder sprach sich explizit für eine Impfpflicht aus: Diese nämlich werde seiner Auffassung nach „die Spaltung der Gesellschaft eher überwinden als vertiefen. (…) Viele Menschen würden feststellen, dass es nicht so schlimm ist, sich impfen zu lassen – sondern im Gegenteil sogar schützt und Freiheit gibt.“

Zum anderen könne eine Impfpflicht, so Söder weiter, einigen helfen, „ihr Gesicht zu wahren. Eine einheitliche Pflicht, die für alle gilt, schweißt zusammen. Das Wichtigste ist nur, dass das Thema jetzt nicht zerredet wird.“

Auch schon etwas früher, Ende Oktober, hatte sich der CSU-Politiker am Rande einer Veranstaltung bereits ähnlich geäußert, zu schärferen Maßnahmen gäbe es keine Alternative. Und Ende November äußerte Söder gegenüber der Tagesschau und auch mit Blick auf eine anrollende Omikron-Welle:

„Die einzige Chance, um aus dieser Endlosschleife herauszukommen, ist eine Impfpflicht. Denn wenn es mal entschieden ist, dann wird es auch durchgesetzt. Dann gibt es auch Bußgelder, und am Ende wird sich der ganz große Teil impfen lassen.“

Sicher waren es auch solche Ansagen, die dafür gesorgt hatten, dass der Zustrom der Menschen auf die Straße wieder zunahm: Auf dem Fundament der Querdenken-Bewegung rund um Michael Ballweg erwuchs die Spaziergänger-Bewegung und Woche für Woche gehen mehr Leute spazieren, um auf ganz überwiegend friedliche Weise aufzubegehren.

Am heutigen Freitag steht nun der nächste Corona-Gipfel der Ministerpräsidenten mit Bundeskanzler an – in der Video-Schaltkonferenz allerdings sitzt jetzt Olaf Scholz statt Angela Merkel.

Die wievielte Corona-Pandemie-Konferenz ist das für Markus Söder? Markus Söder will dieses Mal mit Samthandschuhen in die Konferenz gehen. In einem neuerlichen Sinneswandel stellt der bayerische Ministerpräsident sogar Forderungen nach einer Impfpflicht in Frage. Eine Forderung, die er ja selbst mit aufgestellt hatte.

Markus Söder sorgt sich auf einmal um den Mittelstand und möchte heute in der Konferenz erst einmal nichts beschließen:

„Mein Vorschlag: Wir beraten morgen und entscheiden dann ein paar Tage später. Wir kommen langsam in den Bereich für den Mittelstand und für die Selbstständigen, da geht es an das Eingemachte.“

Mit einem Schlag ist vakant geworden, was zuvor noch als alternativlos galt: Söder will klargestellt wissen, wie gefährlich Omikron wirklich ist und ob tatsächlich eine Überlastung des Gesundheitssystems drohe.

Bundesgesundheitsminister Lauterbach hatte zwar die leichteren Verläufe unter Omikron eingestanden, wollte aber keine Entwarnung geben. Markus Söder will demgegenüber lieber abwarten und „die Gesellschaft wieder heilen und versöhnen“.

Sinneswandel, politisches Kalkül oder gar eine Art Seehoferisierung? Der ehemalige CSU-Ministerpräsident und spätere Bundesinnenminister Horst Seehofer galt vielen als „Drehhofer“. Das sozialdemokratische Kampfblatt „Vorwärts“ hatte schon vor einem Jahrzehnt eine Webseite „Drehhofer.de“ beworben, welche die politischen Kehrtwenden des bayerischen Ministerpräsidenten unter die Lupe nahm.

Drehhofer.de steht heute längst wieder zum Verkauf, Seehofer ist Geschichte. Die Zukunft dürfte womöglich Drehmarkus.de oder gar Drehöder.de gehören oder unter welchem Label auch immer man die bemerkenswerten Pirouetten von Markus Söder virtuell dokumentieren könnte.

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Namentlich gekennzeichnete Beiträge geben immer die Meinung des Autors wieder, nicht meine.

Alexander Wallasch ist gebürtiger Braunschweiger. Er schrieb schon früh und regelmäßig Kolumnen für Szene-Magazine. Wallasch war 14 Jahre als Texter für eine Agentur für Automotive tätig – zuletzt u. a. als Cheftexter für ein Volkswagen-Magazin. Über „Deutscher Sohn“, den Afghanistan-Heimkehrerroman von Alexander Wallasch (mit Ingo Niermann), schrieb die Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung: „Das Ergebnis ist eine streng gefügte Prosa, die das kosmopolitische Erbe der Klassik neu durchdenkt. Ein glasklarer Antihysterisierungsroman, unterwegs im deutschen Verdrängten.“ Seit August ist Wallasch Mitglied im „Team Reitschuster“.

Bild: shutterstock
Text: wal

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