Vorsatz für das Jahr 2022: Nur noch raus! Warum ich Deutschland wahrscheinlich verlassen werde

Ein Gastbeitrag von Vera Sandström

Zum Jahreswechsel 2021/22 muss ich gestehen, dass ich mit diesem Land so hadere wie noch nie in meinem Leben. Die Wahrscheinlichkeit, dass ich in Deutschland noch eine längere Zeit wohnen werde, halte ich für ziemlich gering. Mehr noch, ich würde es als eine charakterliche Schwäche betrachten, wenn ich aufgrund verschiedener Verpflichtungen und Verwurzelungen, die man als erwachsener Mensch nun mal hat, nicht die Energie aufbringen könnte, eine alternative Existenz im Ausland aufzubauen. Es müsste schon ein Wunder passieren, dass ich mich mit dieser Gesellschaft wieder versöhnen könnte – vor allem die Ereignisse der letzten zwei Jahre wiegen zu schwer.

Was mich nun schon seit einiger Zeit an Deutschland stört, ist diese propagandistische und belehrende Einseitigkeit, die die deutsche politische Öffentlichkeit regelmäßig zu allen relevanten Themen befällt. Und von der politischen Öffentlichkeit, sprich Obrigkeit, überträgt es sich durch die Medien auf die Gesellschaft, die hinter vorgehaltener Hand und nur in vertrautem Rahmen Zweifel an offensichtlichen Widersprüchen äußert, aber umso lauter und nach außen sichtbarer begeisterte Zustimmung signalisiert. Zur Einseitigkeit gesellt sich dann der systematische und dabei auch noch moralisierende Versuch der Ausgrenzung von Gegenstimmen. Nach dem Motto: wir (viele!) grenzen dich (ganz wenige!) zu Recht aus und wir sind ganz friedlich, du allein trägst die Schuld an deiner Ausgrenzung, denn du schlechter Mensch denkst falsch! Schäme dich und akzeptiere deine Ausgrenzung als gerechte Strafe! Zeigst du dich reuig, bekommst du selbstverständlich eine zweite Chance, dich konform zu geben. Wir sind ja tolerant und großzügig! Aber wenn nicht …

Ich empfand diesen wirklich extrem deutschen Ansatz schon immer als zutiefst „unwestlich“, eine freiheitliche Demokratie führt sich so ad absurdum. Eine lebendige und nicht nur fassadenhafte Demokratie lebt vom Diskurs, vom Austausch, vom Zweifel, vom respektvollen Streit. Und es schien so, als hätte man das Konzept spätestens in den 1970er und 1980er Jahren auch in Deutschland begriffen. Wie Rita Süssmuth es ausdrückte: „Bedenke, Rita, der andere könnte auch recht haben.“ Aber kann sich einer der heutigen politischen Entscheidungsträger oder deren Berater vorstellen, die andere Seite könnte auch recht haben? Oder gar der anderen Seite öffentlich zuzugestehen, nicht vollkommen falsch zu liegen, nicht komplett verblödet zu sein, sondern auch ein Stück Wahrheit ergattert zu haben, wenigstens ein ganz klitzekleines? Undenkbar.

Mit Corona ist es extrem und völlig absurd geworden. Da wird von Politikern und Funktionären offen gegen Minderheiten und den Rechtsstaat gehetzt, wie man es nicht für möglich gehalten hatte im vorgeblich so toleranten demokratischen Deutschland („Sozialschmarotzer“, „kleine Richterlein“, nur um zwei Beispiele zu nennen – Sie alle kennen bestimmt noch viel mehr davon).

Antiautoritäre und gemäßigte (und damit historisch tendenziell linke) Gegenstimmen werden als Rechtsextreme betitelt und nach dem bewährten Prinzip ausgegrenzt. All das (vorläufig?) ohne Folgen. Ohne Diskussion. Ohne Einwand durch eine „Opposition“, deren Rolle in der eigenen Wahrnehmung zu sein scheint, dasselbe und noch mehr davon zu fordern, der Regierung quasi Inkonsequenz auf dem gemeinsam abgesprochenen Weg vorzuwerfen. In einem Deutschland, das behauptete, aus der Geschichte gelernt zu haben. Ekelhaft.

Ich gebe zu, dass ich etwas masochistisch veranlagt bin – intellektuell. Beweis: Ich lese noch immer regelmäßig Zeit, Spiegel und andere „Qualitätsmedien“. Aber ich schaue seit vielen Jahren keine Talkshows im Fernsehen, das wäre dann doch zu viel Schmerz. Vor allem »Die Zeit« scheint zu einem Ideologieblatt der „Neolinken“ mutiert zu sein. Da kommentiert tatsächlich ein Leser ernsthaft und offenbar mit Zustimmung vieler anderer einen x-beliebigen Artikel folgendermaßen:

„Wieder ein Mensch, der den Unterschied zwischen privat geäußerter Meinung (in der Regel durch Meinungsfreiheit gedeckt) und öffentlich geäußerter Meinung nicht verstanden hat oder nicht verstehen wollte.“

Der Inhalt des Artikels sei jetzt egal, ist nicht von mir, aber dass jemand in einer anspruchsvollen Zeitung in Erwartung von Lob und Zustimmung in einem demokratischen Land auf diese Weise einen Artikel öffentlich kommentiert (ich „liebe“ vor allem den Spruch in Klammern …), das macht mir Angst. Wenn diese Einstellung, so oder so ähnlich, jetzt bei „Neolinken“ die Norm ist, dann ist jede Diskussion mit ihnen tatsächlich überflüssig. Dann ist aus Sicht der staatstragenden Neolinken jede hörbare(!) Gegenstimme zum offiziellen Sprech nur staatszersetzende Hetze und muss ausgeschaltet werden. Das ist DDR pur.

Ich möchte zum Jahresabschluss in Erinnerung rufen, was westliche Werte in ihrer ursprünglichen Fassung einmal ausgemacht haben. Roland Reagan liebte es, in seinen unterhaltsamen Reden aktuelle sowjetische Witze zu erzählen, die Berater für ihn sammelten, und er machte das auf eine bemerkenswert würdevolle Weise. Es klang nie so, als würde er sich über den kommunistischen Systemgegner lustig machen, vielmehr schien er sich für das Denken der anderen Seite wirklich zu interessieren und den Humor der Russen zu schätzen.

Einer seiner sowjetischen Lieblingswitze ging so:

Ein US-Amerikaner und ein Sowjetbürger tauschen sich darüber aus, welches Land freier ist. Der Amerikaner sagt stolz: „Ich kann jederzeit nach Washington fahren, ins Weiße Haus gehen und dem Präsidenten sagen: Mr. President, Ihre Politik ist vollkommen falsch, ich bin dagegen. Ich kann das tun und mir wird nichts geschehen.“ Der Sowjetbürger denkt nach und sagt: „Ich kann das auch. Ich kann nach Moskau fahren, beim Politbüro vorsprechen und sagen: Genosse Generalsekretär, die Politik des US-Präsidenten ist vollkommen falsch, ich bin dagegen. Ich kann das tun und auch mir wird nichts geschehen.“

Reagans Publikum lachte dabei immer.

Ich habe den Verdacht, dass im neuen Deutschland viele den Witz nicht verstehen würden. Wo es doch hier als witzig und mutig gilt, wenn gebührenfinanzierte „Satiriker“ über in Deutschland (bei Obrigkeit und Medien) unbeliebte fremde Staatschefs möglichst vulgär und erniedrigend herziehen. Nach diesen Maßstäben war »Der Stürmer« (Untertitel: Deutsches Wochenblatt zum Kampfe um die Wahrheit) dann wohl auch eine sehr mutige und witzige Zeitung.

Mein Vorsatz für 2022 lautet: Nur noch raus! Ich habe fast keine Hoffnung auf Besserung, … aber … wer weiß?

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David gegen Goliath

Gastbeiträge geben immer die Meinung des Autors wieder, nicht meine. Und ich bin der Ansicht, dass gerade Beiträge von streitbaren Autoren für die Diskussion und die Demokratie besonders wertvoll sind. Ich schätze meine Leser als erwachsene Menschen, und will ihnen unterschiedliche Blickwinkel bieten, damit sie sich selbst eine Meinung bilden können.

Die Autorin (m/w) ist Psychologin und Therapeutin und schreibt hier unter Pseudonym.

Bild: Shutterstock
Text: Gast

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