Ein Gastbeitrag von Josef Hueber
„Nur wer Krisen meistert, wer die Pflicht kann, der kann auch bei der Kür glänzen.“
(Markus Söder zur Frage des Kanzlerkandidaten in der Zeit der Corona-Krise)
Der Halbzeitwert von Umfragen mag generell kurz sein. Bei Markus Söder, dem Ministerpräsidenten Bayerns, dürfte dies nicht zutreffen. Schon lange und immer wieder liest und hört man, dass seine Beliebtheit aufgrund seines muskulösen Zupackens in Form von strengen Regeln im Umgang mit dem nanowinzigen Ungeheuer Covid-19 mächtig ist wie die Körpergestalt des 2-Meter-Mannes selbst. Sich bewähren in der Chefsache Pandemie ist für ihn nicht nur eine Angelegenheit der Medizin oder des politischen Mangements. Es geht dabei hinein in den Bereich der Moral. Im Handelsblatt vom 5. Juli dieses Jahres ist zur Vorstellung Söders vom Profil des künftigen Kanzlerkandidaten zu lesen, dass es um einen „moralischen Führungsanspruch“ gehe, der sich in der Corona-Bewältigung zu bewähren habe.
Dreh-/Seehofers Bauchlandung
Sein Vorgänger im Ministerpräsidentenamt, Horst Seehofer, der heute so und morgen so daherredet, entscheidet, kommentiert, hatte schon mal kräftig ausgeteilt, als das Durchstarten seines Rivalen noch nicht so deutlich erkennbar war wie heute. Mit der autorisierten Veröffentlichung seiner söderfeindlichen Äußerungen sagte er anno dunnemals bei einer Weihnachtsfeier aus dem Bauch heraus, dass Söder von ‚Ehrgeiz zerfressen‘ sei. 2017, beim Parteitag der CSU, klang dies anders, als es um seinen Nachfolger ging: Seit vielen Jahren habe er gut mit Söder kooperiert: „Hervorragende, vorzügliche, fehlerfreie Arbeit. Er kann es. Und er packt es. Das ist Markus Söder.“
Er kann es wirklich – sich medienwirksam ins Bild setzen
Dass Söder es kann, hat er erst jüngst gezeigt. Sein PR-Team hatte eine Idee, die ihn vermutlich noch eine Stufe höher auf dem Weg nach oben hebt. Auf dem virtuellen Parteitag der CSU liest er, schwarzer Anzug, weißes Hemd und blaue Krawatte, aus Mails vor, die von Hass und Hetze gegen ihn triefen.
Die fraglose Abscheu über den Inhalt und die Sprache der Botschaften und den Charakter der jeweiligen Absender lässt dennoch den Verdacht aufkommen, dass es sich bei diesem Programmpunkt der Tagesordnung um eine politisch gezielte Inszenierung handeln könnte.
Dies ist keine Behauptung, es soll lediglich ein Denkanstoß anhand naheliegender, sich aufdrängender Überlegungen bzw. Fragen sein.
Frage 1: Liest Söder Emails von Hinz und Kunz?
Es ist nicht davon auszugehen, dass Söder die Mails als Erster auf seinem Account gelesen hat. Es findet natürlich eine umfassende Vorauswahl statt, die so streng sein dürfte, dass eine persönliche Kontaktaufnahme von Hinz und Kunz grundsätzlich so gut wie unmöglich ist. Mails, die der „Netiquette“ nicht entsprechen, dürften zudem von vornherein im virtuellen Papierkorb enden. Zu Recht.
Frage 2: Warum wurden die E-Mails weitergeleitet?
Hat man ihm die E-Mails vorgelegt, um ihm zu zeigen, dass er nicht überall beliebt ist, ja vielleicht sogar gehasst wird? Wohl kaum. Das weiß er selbst, mit derartigen Mails – und schon gar nicht mit derartigen Beleidigungen – wird er seine Zeit nicht verbringen.
Frage 3: Warum hat Söder die E-Mails vorgelesen?
Anders gefragt: Welches Interesse verfolgte er damit? Öffentliche, geplante Auftritte sind grundsätzlich nicht absichtslos und unüberlegt. Welche Wirkung in der Öffentlichkeit hat er mit diesem Auftritt ins Auge gefasst? (Dass dies als ein innerparteilicher Auftritt geplant war, sozusagen im geschlossenen Raum, ist auszuschließen.)
Die choreographische Aufbereitung
Die Präsentation der Mails war ein Auftritt. Nicht eine zufällige Beigabe.
Das „Bühnenbild“: Söder sitzt in schwarzem Anzug, mit weißem Hemd und blauer Krawatte vor der Kamera. Feierlich und patriotisch. Neben bzw. hinter ihm – in den Farben blau und weiß – eine Fahne mit der Aufschrift „CSU“.
Nicht zu übersehen: vor ihm eine Tasse, schwarz, mit der Aufschrift, deutlich so platziert, dass man es lesen kann: „Winter is coming“ (Der Winter kommt.) Wer denkt da schon an die 2teWelle der Corona-Grippe?
Die Sprache der Hassmails
Neben allgemein gehaltenen Hassformulierungen fällt auf, dass markante Punkte an die Sprache der Propaganda des Dritten Reiches erinnern. Die Phraseologie spricht von „Aufhängen an einem Baum“, von „keinen Schuss Pulver Wert“ und – last but not least – von der „Judensau“, die man „vergasen“ solle.
Die Authentizität der Mails
Es kann unterstellt werden, dass die Mails kein Fake sind, sondern tatsächlich so verfasst wurden, wenngleich evtl. Kürzungen nicht auszuschließen sind.
Dennoch fällt auf, dass sie sprachlich und inhaltlich allesamt dem „rechten“ Spektrum zugeordnet werden können. Besonders die antisemitische Beschimpfung „Judensau“ ist dafür ein Indiz. (Dass Söder kein Jude ist, weiß man. Dass Jude wieder ein Schimpfwort ist, allerdings auch.)
Resüme in Thesen:
Der mediale Auftritt des Ministerpräsidenten Söder als Vorleser der gegen ihn gerichteten Hass-Mails ist eine geplante Inszenierung mit der Absicht, im Publikum das (berechtigte) Entsetzen über die Entgleisungen von Zuschriften zu provozieren. Dies allein soll jedoch nicht genügen. Es löst beim Zuhörer wegen der völlig unangemessenen Form der Kritik empathische Solidarität und Identifikation mit Söders politischen Corona-Maßnahmen aus. (Das Wort „Corona“ muss nicht fallen. Es ist situativ und im Subtext vorhanden.) Die unterschwellige, aber auch beabsichtigte, „Nebenwirkung“ einer öffentlichkeitswirksamen Unterstützung von Söders (anzunehmendem) Kanzlerehrgeiz ist naheliegend. Mögliche Kritik an seiner Corona-Politik wird durch die schockierende Wirkung der Hass-Mails paralysiert, und der Zustimmungswert des „Opfers“ steigt. Und damit die von Söder selbst definierte Qualifikation für den zukünftigen Bundeskanzler.
Die Erwähnung der antisemitschen Beschimpfung scheint nicht zwingend nötig. Sie zeigt jedoch einen auffälligen Bezug zu der stets öffentlich bekundeten Entschlossenheit, den aufkeimenden Antisemitismus in Deutschland zu bekämpfen. Dies unterstützt eine zusätzliche Intention der Inszenierung: Die gedankliche Verknüpfung der Hassmails mit dem geächteten Dreiergespann: Rassimus, Nationalismus und Antisemitismus. Dies ist das der stärksten parlamentarischen Opposition unterstelle Giftpaket. Auch in einer derartigen Eindeutigkeit der politischen Orientierung will sich der künftige Kanzlerkandidat definiert wissen.
Der Leser ist eingeladen, diese Thesen in den Kommentaren zu diskutieren.
Josef Hueber, geboren in Nürnberg, studierte in München und Exeter (England) Germanistik und Anglistik für das Lehramt an Gymnasien. Die an der Schule verbreiteten Lehrbücher in den weltanschaulich stark bestimmten Fächern durchschaute er lange nicht als das, was sie waren: Transportmittel für linke und grüne Ideologien. Seine Erkenntnis: Better late than never! Das öffentliche Bewusstsein sieht er heute geprägt von Anti-Amerikanismus, Israel-Bashing, Antisemitismus, Umweltalarmismus, Wissenschaftsfeindlichkeit und Selbstverleugnung in Fragen der kulturellen Identität, sowie von zunehmenden Angriffen auf die persönliche Freiheit durch den Nannystaat. In zunehmendem Maße pulverisiert man, was als Errungenschaft der Aufklärung gelten darf und deswegen den Alleinanspruch auf Modernität erheben kann.
Seine Begegnung mit Blogs, für die er auch Übersetzungen aus dem Englischen lieferte, stellte den Beginn seiner Tätigkeit als freier Autor dar. Blogs sind für ihn unverzichtbare Augenöffner in nahezu allen aktuellen gesellschaftlichen und politischen Fragen. Er sieht sie als verlässliche Garanten für einen kontroversen Wettbewerb der Meinungen in einer von den Mainstream-Medien beherrschten Diskurshoheit. Im April 2020 erschien sein Buch “Stromaufwärts denken”.
Text: gast