Von Kai Rebmann
Russland (19,67 Prozent) und die Ukraine (8,48 Prozent) gehörten laut Statista in den Jahren 2020/21 zu den weltweit wichtigsten Exporteuren von Weizen, Mehl und sonstigen Weizenprodukten. Zusammen stammt also über ein Viertel der globalen Weizenexporte aus einem dieser beiden Länder. Darüber hinaus ist die Ukraine eine der wichtigsten Produzenten von Sonnenblumenöl, was bereits unmittelbar nach Ausbruch des Ukraine-Krieges wieder zu Hamsterkäufen in den Supermärkten geführt hat. Jüngsten Berichten zufolge stehen drei der wichtigsten Seehäfen (Berdjansk, Cherson, Mariupol), über die die Ukraine ihr Getreide normalerweise exportiert, derzeit unter russischer Kontrolle, ein weiterer in Mykolajiw wurde schwer beschädigt. Der ukrainische Landwirtschaftsminister Mykola Solsky beschreibt die Folgen so: „Vor dem Krieg hat die Ukraine etwa fünf Millionen Tonnen Getreide pro Monat exportiert. Jetzt ist das Gebiet der Seehäfen gesperrt. Wir haben mindestens 20 Millionen Tonnen Altgetreide, das in diesem Frühjahr nicht exportiert werden konnte.“ Laut Agrarheute wurden in der Ukraine im Jahr 2021 insgesamt 106,4 Millionen Tonnen Getreide und Ölsaaten geerntet, von denen rund ein Drittel noch auf den Export wartet.
Der Ukraine-Krieg wurde von der Bundesregierung, und insbesondere den Grünen, in den letzten Wochen schon mehrmals als Vorwand für unangenehme Entwicklungen instrumentalisiert. Unter anderem wurden den Verbrauchern damit die schwindelerregenden Preise für Benzin, Diesel, Heizöl und weitere Energieträger erklärt, obwohl die Grünen nie ein Geheimnis daraus gemacht haben, dass ihnen die Preise hierfür gar nicht hoch genug sein können. Während zum Beispiel Benzin in Deutschland immer noch 2,05 Euro pro Liter kostet, ist der Kraftstoff in unseren Nachbarländern Österreich (1,72 Euro), Tschechien (1,72 Euro), Polen (1,42 Euro), Luxemburg (1,76 Euro) oder Frankreich (1,87 Euro) mit Stand vom 5. Mai 2022 meistens deutlich günstiger. Schon kurz nach seinem Amtsantritt, aber noch vor dem Ukraine-Krieg, hat Bundeslandwirtschaftsminister Cem Özdemir (Grüne) bemängelt, dass die Preise für Lebensmittel in Deutschland zu niedrig seien. Wie bestellt, so geliefert, könnte man jetzt meinen – und die Schuld dafür dann auf Russland, Putin und ihren Überfall auf die Ukraine abladen.
EU-Kommission gibt ökologische Vorrangflächen frei – Deutschland baut Futtermittel an
Um einerseits den explodierenden Preisen insbesondere für Getreideprodukte entgegenzuwirken und andererseits drohende Hungersnöte in den ärmsten Regionen der Welt zu verhindern oder wenigstens abzumildern, hat die EU-Kommission Ende März die sogenannten ökologischen Vorrangflächen für den Anbau von Lebensmitteln freigegeben. Diese Regelung soll zunächst ein Jahr lang gelten und zu einer erhöhten Lebensmittelproduktion in den EU-Mitgliedsstaaten führen, um die fehlenden Mengen aus der Ukraine zumindest teilweise zu kompensieren. Um in den Genuss von EU-Direktzahlungen kommen zu können, müssen landwirtschaftliche Betriebe mit einer Anbaufläche von mehr als 15 Hektar Ackerland mindestens fünf Prozent davon als ökologische Vorrangfläche ausweisen und für Umweltinteressen nutzen. Deutsche Landwirte lassen diese Flächen in der Regel brachliegen oder bauen darauf Zwischenfrüchte an. Laut dem Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft (BMEL) wurden in Deutschland im Jahr 2021 deshalb 0,17 Millionen Hektar als Brache und 1,06 Millionen Hektar als Fläche für Zwischenfrüchte ausgewiesen.
Cem Özdemir will von der durch die EU genehmigte Ausnahme allerdings keinen Gebrauch machen und sich stattdessen für die Freihaltung der Exportwege aus der Ukraine einsetzen. Während andere EU-Mitgliedsstaaten außergewöhnlich schnell auf den Vorstoß aus Brüssel reagierten und ihre nationalen Regelungen entsprechend anpassten, will Özdemir den deutschen Landwirten auf den ökologischen Vorrangflächen lediglich den Anbau von Futtermitteln für Tiere erlauben. Zur Begründung dieser Maßnahme äußert sich das BMEL im März wie folgt: „Ziel ist, einen Beitrag zur Futterversorgung zu leisten und die Auswirkungen der steigenden Futtermittelpreise für die Landwirtinnen und Landwirte abzumildern. Die entsprechende Verordnung wird derzeit im Bundesrat beraten. Gleichzeitig berücksichtigt das BMEL auch weiterhin Ziele der Nachhaltigkeit und Biodiversität. Denn neben den Kriegsauswirkungen bleiben die unmittelbaren und sich verschärfenden Folgen der Klimakrise und des Artensterbens eine Gefahr für den gesamten Agrarsektor und damit die Versorgung der Weltbevölkerung.“ In den Ohren eines vom Hungertod bedrohten Kindes in Afrika oder eines Hartz-IV-Empfängers, der an der Kasse im Supermarkt plötzlich bis zu 50 Prozent höhere Preise bezahlen muss, ist eine solche Äußerung an Zynismus wohl kaum zu überbieten.
Deutliche Kritik an der Haltung des Bundeslandwirtschaftsministers kam auch von Michaela Kaniber (CSU). Özdemirs Amtskollegin aus Bayern wirft den Grünen „ideologische Prinzipienreiterei“ vor und beklagt, dass die Bundesregierung sich „einem eigenen Beitrag zur Ernährung in den ärmeren Ländern verweigert“ habe. Weiter heißt es aus München: „Wir in Deutschland hätten wie andere EU-Mitgliedsstaaten unseren Beitrag leisten können, indem wir auf unseren Ökologischen Vorrangflächen für ein Jahr lang Nahrungsmittel produzieren. Wir könnten dadurch drei Millionen Menschen ein Jahr lang ernähren.“ Kaniber verweist dabei auf andere Länder, in denen die durch die EU-Kommission anlässlich des Kriegs ermöglichten Hilfen auch in die Tat umgesetzt wurden und meint damit unter anderem Frankreich, Spanien, Polen, Österreich und Italien. Die französische Fachzeitschrift La France Agricole berichtet von Beispielen, in denen Landwirte schon jetzt mit dem Anbau von Sonnenblumen auf ehemaligen ökologischen Vorrangflächen begonnen haben. Die Umwidmung sei mit relativ wenig finanziellem Aufwand auch kurzfristig möglich, so dass sich im Herbst auch die Aussaat von Weizen rentiere, wie in dem Magazin weiter ausgeführt wird.
Grüne wollen den Anteil an ökologischen Anbauflächen weiter ausbauen
Geht es nach dem Willen der Grünen, soll der Anteil der ökologisch genutzten Anbauflächen in Deutschland von aktuell rund zehn Prozent bis zum Jahr 2030 auf 30 Prozent gesteigert werden. Dabei sind die in diesem Zusammenhang angeführten Argumente, dass Bio-Produkte mehr Tierwohl garantierten, gesünder und umweltfreundlicher seien und dazu noch besser schmecken würden, alles andere als unumstritten. Dem Autor ist keine einzige wissenschaftlich belastbare Studie bekannt, die gezeigt hätte, dass biologisch angebaute Lebensmittel tatsächlich deutlich gesünder wären. Ebenso zeigen Blindverkostungen regelmäßig, dass auch geschmacklich kein wesentlicher Unterschied festzustellen ist. Auch das vermeintlich nicht wegzudiskutierende Argument des verbesserten Tierwohls trägt nicht wirklich, wenn dabei berücksichtigt wird, dass etwa das Ausbringen von Einstreu in Schweineställen zwar weniger Erkrankungen oder Missbildungen der Klauen hervorruft, dafür bei den Tieren aber zu einer erhöhten Anzahl von Leber- und Lungenschäden führt.
Sicher ist nur, dass Bio-Produkte deutlich teurer sind und die ökologische Landwirtschaft wesentlich flächenintensiver und daher unter dem Strich sogar umweltschädlicher ist als die konventionelle Landwirtschaft, was in mehreren Studien belegt werden konnte (siehe hier und hier). Letztendlich verlagert sich die Frage nach der richtigen Ernährungsweise – Bio oder konventionell – also auf die rein persönliche Entscheidungsebene und das subjektive Empfinden. Daraus eine Ideologie zu machen, ist für die Grünen zwar typisch, hilft aber niemandem weiter. Nicht nur die aktuell drohenden Preisexplosionen und Engpässe bei bestimmten Lebensmitteln erfordern pragmatisches und zielführendes Handeln. Ein weltweit stetig steigender Bedarf an Lebensmitteln verlangt nach effizienten Lösungen, die mit einer immer stärkeren Verlagerung auf die ökologische Landwirtschaft und dem damit einhergehenden zusätzlichen Flächenverbrauch in Höhe von rund 40 Prozent nicht vereinbar sind.
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Kai Rebmann ist Publizist und Verleger. Er leitet einen Verlag und betreibt einen eigenen Blog.
Bild: ShutterstockText: kr
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