Ein Gastbeitrag von Klaus Kelle
Was haben Russland und Deutschland gemeinsam? Wahrscheinlich eine ganze Menge. Ich meine in diesem Fall: Beide Länder werden von Leuten regiert, bei denen man sich als Normalbürger nur an den Kopf fassen kann.
Deutschland hat eine Regierung aus vielen sicher gutwilligen Amateuren, die jetzt in einer schweren Krise ihre Arbeit aufnehmen müssen, in der erst die Corona-Krise zur großen Herausforderung übernommen werden musste und gleich danach in Europa ein heißer Krieg ausbricht, der zum Flächenbrand für Europa werden könnte. Im Vergleich zu Russland erleben wir aber alle überraschend, dass die in diesen Tagen wichtigen Köpfe der Bundesregierung – konfrontiert mit der Wirklichkeit – die harte Realität langsam zu begreifen scheinen.
Dieser Tage Abends hörte ich im Autoradio auf der A 31 eine ernsthaft empörte Bundesaußenministerin Baerbock, die sich über ihre Gespräche in Moskau in den vergangenen Wochen nach Luft schnappend empörte: „Wir sind belogen worden“, man habe alle westlichen Politiker, die guten Gewissens um den Frieden ringen wollten, in Russland nur belogen und betrogen. Herzlichen Glückwunsch, Frau Baerbock! Willkommen in der Wirklichkeit!
Wenn man in Moskau zum Verhandeln antritt, dann belügen sie uns Westler – immer. Das wusste Bundeskanzler Adenauer, als er 1955 nach Moskau flog, um die letzten deutschen Kriegsgefangenen aus sibirischen Lagern zurückzuholen. Als er das Thema am Verhandlungstisch zur Sprache brachte, entgegnete ihm die russische Seite, es gäbe keine deutschen Gefangenen mehr. Adenauer und seine Delegation standen auf und teilten mit, dann werde man am kommenden Morgen abreisen ohne irgendwelche Vereinbarungen. Und schwupps, plötzlich fanden unsere russischen Freunde im Kreml über Nacht doch noch ein paar tausend Deutsche, die endlich nach Hause durften.
Geschichtsbücher lesen, das bildet ungemein, Frau Ministerin. Aber aus der Art, wie sie das gestern in die Mikrophone sprach, meine ich herauszuhören, dass Frau Baerbocks Illusionen über Putins Friedfertigkeit verflogen sind. Gut so.
Olaf Scholz, unser Bundeskanzler, war vor Dienstantritt ein echter Schwurbler. Egal, um was es ging, wenn etwas zu entscheiden war in den ersten Wochen im Kanzleramt, war der Hamburger für sein Volk nicht sichtbar, was in Umfragen Rekordabstürze zur Folge hatte.
Und Nord Stream 2? Na, mal sehen, sowohl als auch, vielleicht nicht oder eher doch. Unterirdisch. Seit Scholz vorgestern im Fernsehen verfolgen konnte, was für einen Telefonpartner er da hat im Kreml, ist ihm das Peacenik-Dasein vergangen. Wenn heute einer nach Nord Stream 2 fragt, dann brauchen sie nur in sein Gesicht schauen, eine mündliche Antwort von Scholz ist dann nicht mehr nötig. Und Wirtschaftsminister Robert Habeck verkündet, Deutschland müsse sich bis zum Jahresende aus der Abhängigkeit vom russischen Erdgas befreien. Wat? Dafür hätte er vor zwei Wochen noch ein Parteiausschlussverfahren bei seiner Partei gefangen. Aber auch er hat natürlich Recht. Wir sollten die Krise nutzen, uns zu vergewissern, wer wir sind, mit wem und was wir es zu tun haben, und was wir selbst für unser Land tun können und wollen.
Apropos, das nahezu lächerliche Amerika-Bashing der Putin-Freunde in den Sozialen Netzwerken: Noch vor einer Woche drohten bei Facebook die Lach-Smileys auszugehen, weil die dummen, dummen Amis vorhergesagt hatten, dass vergangene Woche Mittwoch der Angriff russischer Truppen auf die Ukraine beginne. Na, wann kommt denn die Invasion, so höhnten Wladis Freunde. Aber nun ist sie halt da, falscher Tag, aber sonst alles richtig, was die CIA und die USA seit Monaten vorhersagen. Genauso, wie Joe Biden es angekündigt und die Nato-Verbündeten gewarnt hatte, ist es jetzt gekommen. Offenbar hat Uncle Sam doch noch einiges drauf im großen globalen Spiel.
Hoffen wir also, dass die Blauäugigkeit deutscher Politiker nun erstmal vorbei ist. Vielleicht kommt ja die Verteidigungsministerin Lambrecht auch noch in Bewegung und schickt der bedrohten Ukraine noch etwas anderes außer olivgrüne Kaffeetassen oder was das war.
Gerade, wenn man sich wundert über die Qualität des eigenen politischen Personals und die zynische Kaltschnäuzigkeit des russischen Präsidenten, der jetzt endlich ernst genommen wird von den wichtigen Staaten auf dem Planeten, dann kommt einer um die Ecke, den man gar nicht auf dem Plan hatte. Und das ist Wolodymyr Selensky, Präsident der Ukraine.
Ein Drehbuchautor und Schauspieler, ein Kabarettist aus Krywyj Rih, damals noch auf dem Gebiet der Sowjetunion. Niemand hat mich in den vergangenen Tagen derart beeindruckt wie dieser Mann, der in einer schweren Krise uns alle verzweifelt um militärische Hilfe geradezu angebettelt hat. Und als er begriff, dass seinem Land niemand zur Hilfe kommen wird, rief er sein Volk zum Widerstand gegen den russischen Aggressor und seine Armee auf. Frauen und Kinder außer Landes bringen, die Männer, egal wie alt, bewaffnen, die Brücken sichern und dann keinen Fußbreit widerstandslos aufgeben.
Ein Professor von der Bundeswehr-Hochschule sagte vorgestern im Radiointerview, dass die Ukraine gegen den gewaltigen Aufmarsch der Armee Mordors…Entschuldigung, Russlands… nicht gewinnen kann, zu ungleich sind die Voraussetzungen. Aber die Ukrainer – das zeigten die ersten Stunden bereits – stehen nicht mit Winkelementen der Russischen Föderation am Straßenrand und wedeln, sondern sie wehren sich mit allem, was sie haben. Mir nötigt das tiefsten Respekt ab. Und wenn ich mir die Diskussionen auf Facebook und Twitter anschaue, frage ich mich: Hätten wir Deutschen den Mut, unser Vaterland so unerschrocken zu verteidigen wie die Bewohner von Kiew?
Am Abend verließ Selenskyj mit seinem Kabinett und engsten Mitarbeitern das Präsidialamt und mischte sich unter die verängstigten Bewohner von Kiew. In eine Kamera rief er: „Ich bin hier, wir sind alle hier bei euch…“ Was für ein Anführer in dieser Zeit….
Gastbeiträge geben immer die Meinung des Autors wieder, nicht meine. Ich schätze meine Leser als erwachsene Menschen und will ihnen unterschiedliche Blickwinkel bieten, damit sie sich selbst eine Meinung bilden können.
Klaus Kelle, Jahrgang 1959, gehört laut Focus-online zu den „meinungsstärksten Konservativen in Deutschland“. Der gelernte Journalist ist jedoch kein Freund von Schubladen, sieht sich in manchen Themen eher als in der Wolle gefärbten Liberalen, dem vor allem die Unantastbarkeit der freien Meinungsäußerung und ein Zurückdrängen des Staates aus dem Alltag der Deutschen am Herzen liegt. Kelle absolvierte seine Ausbildung zum Redakteur beim „Westfalen-Blatt“ in Bielefeld. Seine inzwischen 30-jährige Karriere führte ihn zu Stationen wie den Medienhäusern Gruner & Jahr, Holtzbrinck, Schibsted (Norwegen) und Axel Springer. Seit 2007 arbeitet er als Medienunternehmer und Publizist und schreibt Beiträge für vielgelesene Zeitungen und Internet-Blogs. Heute leitet der Christdemokrat die Internet-Zeitung „The Germanz“. Dieser Beitrag ist zuerst dort erschienen.
Bild: fifg/ShutterstockText: Gast
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