Von Daniel Weinmann
Deutschland gehen die Arbeitskräfte aus. Weil viel mehr Menschen in Rente gehen als neu dazukommen, wird der hiesige Arbeitsmarkt Schätzungen zufolge um mindestens 1.000 Beschäftigte pro Werktag schrumpfen. Da sich die bereits in der Merkel-Ära als Teil der Lösung propagierte Zuwanderung von gut ausgebildeten Fachkräften als Belastung für die Sozialkassen entpuppt, verschärft dies die ohnehin fragile Lage der deutschen Wirtschaft zusätzlich.
Wie gut, dass sich 36 Prozent der Beschäftigten hierzulande vorstellen können, nach dem Renteneintritt zu arbeiten. Selbst unter denjenigen, die bereits früher aus dem Erwerbsleben ausscheiden wollen und sich aufgrund von individuell empfundenen Einschränkungen dazu gezwungen sehen, zeigt sich jeder Zehnte gegenüber dem Arbeiten im Ruhestand grundsätzlich aufgeschlossen.
Dies ist das Ergebnis der „Beschäftigtenbefragung 2024“ des Instituts der Deutschen Wirtschaft zu den Einflussfaktoren auf die Bereitschaft zur Weiterarbeit über die gesetzliche Regelaltersgrenze hinaus. Befragt wurden 5.060 Beschäftigte. Dabei steht die Gruppe der über 55-Jährigen diesem Gedanken deutlich aufgeschlossener gegenüber als die unter 30-Jährigen.
Finanzielle Erwägungen spielen nur eine Nebenrolle
Es mutet absurd an: Hierzulande beziehen knapp eine Million Menschen Arbeitslosengeld 1 und vier Millionen erhalten Bürgergeld – obwohl sie zu einem großen Teil arbeitsfähig sind. Genau in diesem Umfeld wollen diejenigen, die bereits mehrere Jahrzehnte gearbeitet haben, freiwillig noch länger ran? Man mag es kaum glauben.
Ebenso bemerkenswert ist die Tatsache, dass finanzielle Erwägungen aus Sicht der heute noch Berufstätigen offenbar keine besondere Rolle spielen. „Die Sorge, im Rentenalter noch auf ein zusätzliches Erwerbseinkommen angewiesen zu sein, scheint eine in der Zukunft gelagerte Erwerbsentscheidung nicht stark zu prägen“, schreibt das Autoren-Trio um Andrea Hammermann.
Die kurios anmutenden Ergebnisse bestätigen eine im August erschienene Umfrage, die das Marktforschungsinstitut Appinio im Auftrag des Jobs-Netzwerks Xing unter 1.000 Teilnehmern über 50-Jährigen durchgeführt hatte. Die Frage, ob sie theoretisch in der Lage wären, auch nach dem offiziellen Renteneintrittsalter zu arbeiten, beantworten 62 Prozent der Teilnehmer mit „Ja“.
Befragungen mit wenig Erkenntniswert
Auch hier war Geld nicht die einzige Motivation. Zwar gaben 63 Prozent der Befragten (Mehrfachnennungen waren möglich), finanzielle Gründe an. Für fast ebenso viele (56 Prozent) war es gleichwohl am wichtigsten, weiterhin im Kontakt mit Menschen zu sein. Rund jeder dritte Befragte nannte Selbsterfüllung als Grund, knapp jeder Vierte (24 Prozent) würde sogar bei einem neuen Arbeitgeber etwas ganz anderes machen, freiberuflich oder ehrenamtlich arbeiten.
Deutlich andere Ergebnisse wären vermutlich zu erwarten, wenn die beiden Umfragen die Beschäftigungsstruktur zumindest ansatzweise objektiv widerspiegeln würden. Bei Xing etwa sind vorwiegend Bürojobs vertreten, während Berufe wie Straßenbauer, Dachdecker oder Krankenschwestern deutlich unterrepräsentiert sind. Auch das Institut der Deutschen Wirtschaft scheint vermehrt gut Betuchte befragt zu haben. Andernfalls wäre der finanzielle Anreiz für das freiwillige Arbeiten im (Un)ruhestand in den Antworten vermutlich deutlich höher gewichtet worden.
Nicht zuletzt bringen derlei Befragungen kaum Erkenntnisse, weil kein Teilnehmer weiß, wie seine individuelle Situation in zehn oder 15 Jahren aussehen wird.
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Daniel Weinmann arbeitete viele Jahre als Redakteur bei einem der bekanntesten deutschen Medien. Er schreibt hier unter Pseudonym.
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