Von Kai Rebmann
Haben Sie sich auch schon einmal gefragt, warum die Ränge bei Live-Sendungen stets bis zum letzten Platz gefüllt sind? Oder wie die (veröffentlichten) Einschaltquoten zustande kommen und weshalb diese noch immer wie anno dazumal ermittelt werden, obwohl dies längst nicht mehr zeitgemäß ist?
Wir sind diesen und weiteren Fragen nachgegangen und konnten darüber mit einem ZDF-Insider sprechen, der auf dem Lerchenberg in Mainz arbeitet. Dort wird unter anderem auch der „Fernsehgarten“ produziert, eine der beliebtesten Live-Sendungen der ÖRR-Familie – zumindest, wenn man nach den reinen Einschaltquoten geht. Wie diese zu bewerten sind, wird uns im weiteren Verlauf dieses Artikels ebenfalls noch beschäftigen.
Zunächst soll es aber um das Live-Publikum gehen, beispielhaft skizziert am ZDF-„Fernsehgarten“. Die Rätsel beginnen schon bei der Kapazität auf dem Gelände. Während in älteren Quellen von „bis zu 5.000 Menschen“ (ZDF, 2016) bzw. „bis zu 6.000 Besucher“ (Wikipedia) die Rede ist, geht das Branchenportal „Netzwelt“ aktuell von „etwa 2.500 bis 4.000 Zuschauern“ aus.
Wurde die Kapazität im Laufe der Jahre also verringert bzw. an das sinkende Interesse angepasst? Gut möglich, denn nur zur Hälfte gefüllte Ränge auf dem Studiogelände würden ein unschönes Bild in die deutschen Wohnzimmer transportieren.
Die Tickets kosten für „echte“, sprich zahlende Zuschauer, aktuell je nach Kategorie bis zu 25 Euro. Ganz offensichtlich hat der „Fernsehgarten“ aber immer weniger Fans, die bereit sind, diesen Preis zu bezahlen. Deshalb hilft das ZDF nach und füllt die Lücken mit eigenen Mitarbeitern auf – wogegen ganz grundsätzlich noch nicht einmal etwas zu sagen wäre.
Der ÖRR-Sender treibt es dabei aber auf die Spitze. Wo in ähnlichen Zusammenhängen eventuell einzelne Eintrittskarten zu vergünstigten Konditionen abgegeben werden, zeigt sich das ZDF von einer außerordentlich großzügigen, ja fast schon verdächtig großzügigen Seite. Via Homepage werden die Mitarbeiter wie folgt informiert: „Sie haben die Möglichkeit, für nicht ausverkaufte Sendungen des ‚Fernsehgarten‘ bis zu fünf Freikarten über das Ticketsystem der ZDF Service GmbH zu bestellen.“
Unser ZDF-Insider berichtet, dass er solche Freikarten schon für bis zu fünf Sendungen im Voraus bestellen könne. Und tatsächlich konnten diese Angaben durch eine schnelle Recherche bestätigt werden – schon jetzt können Freikarten bis in den Juni 2024 hinein geordert werden. Beim ZDF scheint man sich also sehr sicher zu sein, dass man den „Fernsehgarten“ auf regulärem Wege nicht wird füllen können.
Der Informant kommentiert das so: „Hier sehen wir die echten ‚Einschaltquoten‘. Weil es nicht genügend Zuschauer gibt, die sich den ‚Fernsehgarten‘ live anschauen wollen, werden bis zu 5 Karten an jeden ‚Mitarbeitenden‘ verschenkt. Die Karten werden verscherbelt wie schales Bier.“
Der Hinweis auf die Einschaltquoten kam nicht von ungefähr. In einem Hintergrundgespräch zu diesem Thema hatte der ZDF-Mann schon darüber berichtet, wie „der Himmler [Intendant Norbert Himmler, Anm. d. Autors] immer voller Stolz über die Marktführerschaft des ZDF“ prahle. Hinter vorgehaltener Hand wisse man aber auch auf dem Lerchenberg, dass man allenfalls noch „Marktführer im Altenheim“ sei, so der Informant.
Fakt ist: Die veröffentlichten Einschaltquoten sind eine Sache – das tatsächliche Fernsehverhalten der Deutschen eine ganz andere. Die offiziellen Quoten werden seit Jahr und Tag von der Gesellschaft für Konsumforschung (GfK) im Auftrag der Arbeitsgemeinschaft Fernsehforschung (afg) ermittelt, an der ARD und ZDF in wesentlichem Umfang beteiligt sind.
Ermittelt werden die Quoten über die sogenannten GfK-Meter, die in rund 5.500 Haushalten installiert sind. Um eine repräsentative Wiedergabe der Bevölkerung handelt es sich dabei ausdrücklich nicht, was schon daran ersichtlich wird, dass ausschließlich deutschsprachige Haushalte in den Pool aufgenommen werden. Auch neue Trends wie Internet-TV oder zeitversetztes Fernsehen („On Demand“) werden, wenn überhaupt, nur in sehr unzureichendem Maße berücksichtigt.
Dass die veröffentlichten Einschaltquoten also eigentlich nicht einmal mehr die Qualität einer „Hausnummer“ haben, wissen natürlich auch die an der agf beteiligten Sender, allen voran ARD und ZDF. In der Schweiz hat das mit der Quotenmessung beauftragte Unternehmen („Mediapulse“) im Jahr 2013 ein neues Messverfahren, das „Audio-Matching“, angewandt – und siehe da: Die neuen, wesentlich realitätsnäheren Quoten wichen um bis zu 20 Prozent von den zuvor veröffentlichten Quoten ab.
Es rollte eine Klagewelle an, in deren Folge die Publikation der Einschaltquoten in der Schweiz über Monate hinweg untersagt blieb. Die Quoten sind für die Sender die entscheidende Währung, wenn es um die Preise für Werbeplätze innerhalb deren Programm geht. Beim ZDF kann der TKP (Tausend-Kontakt-Preis) für einen 20-Sekunden-Spot je nach Zielgruppe zwischen 10 und 100 Euro liegen. Jeder kann sich also leicht ausrechnen, was eine Abnahme der offiziellen Quote um nur wenige Prozent bedeutet, wenn man sich vergegenwärtigt, dass schon die erste Dezimale hinter dem Komma mehrere zehntausend Zuschauer repräsentieren kann.
Wo der Erfolg von gedruckten Medien oder Online-Portalen relativ leicht über die Auflage (minus Retouren) bzw. die Anzahl der Klicks definiert werden kann, muss bei den TV-Sendern weitestgehend im Kaffeesatz gelesen werden. Noch viel schlimmer aber ist, dass dies aus den oben genannten Gründen ganz offenkundig genau so gewollt ist.
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Kai Rebmann ist Publizist und Verleger. Er leitet einen Verlag und betreibt einen eigenen Blog.
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