Impfstatistiken: Wie die Regierung verschleiert statt aufklärt Auch RKI-Chef Wieler drückt sich um klare Auskünfte

Seit Wochen versuche ich, der Bundesregierung auf den Zahn zu fühlen, was ihre Statistiken zum Schutz der Impfung angeht. Insbesondere zu dem Anteil der Ungeimpften an positiven Tests, an Erkrankungen und an den Patienten auf Intensivstationen. Mein Eindruck in all dieser Zeit: Die Regierung versucht weniger zur Klärung beizutragen, als eine solche Klärung zu vermeiden. Gestern hatte ich die Gelegenheit, den Chef des Robert Koch-Instituts, Lothar Wieler, auf der Bundespressekonferenz persönlich um eine Klärung zu bitten. Irgend wo im Innersten hatte ich wohl die Hoffnung, dass alles ein Kommunikationsproblem ist, und Lothar Wieler nun vor laufender Kamera alles zurechtrückt. Die Hoffnung zerplatzte wie eine Seifenblase. Lesen Sie hier das Wortprotokoll (oder sehen Sie sich die Passage hier in meinem aktuellen Video an):

REITSCHUSTER: „Sie haben Zahlen genannt, Herr Professor Wieler und ich öfter nachgefragt, wie die Zahlen zustande kommen und das BMG hat mich dann an Sie verwiesen. Da gibt es auch immer wieder Nachhang. Vielleicht können Sie das nochmal aufschlüsseln? Bei den Getesteten – gibt es eine Aufschlüsselung? Wie viele sind geimpft, wie viele sind nicht geimpft? Werden Geimpfte auf den Intensivstationen seltener getestet? Und, zuletzt, es heißt ja, Geimpfte sind nur dann krank, wenn sie Symptome haben. Bei nicht Geimpften dagegen gilt man auch als infiziert, wenn man keine Symptome hat. Wenn Sie das vielleicht noch ein bisschen erklären könnten.“

WIELER: „Ich meine, Sie können die Methodik, wie wir die Impfeffektivität berechnen, die steht ja in diesem Wochenbericht, den wir ja jeden Donnerstag berichten, also der auf unserer Webseite auch für jeden einsehbar sind. Wir berechnen das anhand der uns gemeldeten Zahlen. Wir bekommen ja bestimmte Zahlen gemeldet, von den Gesundheitsämtern. Und in den Daten steckt drin, das Alter der Person, es steckt drin, der Impfstatus der Person, es steckt drin, ob die im Krankenhaus waren, je nachdem, was an Daten uns zur Verfügung steht- Das Meldesystem stellt uns nicht für alle 100 Prozent der Gemeldeten alle diese Daten zur Verfügung. Wir haben etwa 75 Prozent. Jetzt sind wir ja bei fast 5 Millionen Menschen, die infiziert worden sind, oder offiziell erkannt worden als Infizierte. Und aus diesen berechnen wir aus einer Schätzungsmethode die Impfeffektivität. Das ist die Methode, das sind die Daten, die uns über die Gesundheitsämter in unser Meldesystem einpflegen. Und die berechnen wir, jede Woche aktualisieren wir diese Daten.“

Hand aufs Herz – finden Sie damit meine Frage beantwortet? Oder wirkt diese Antwort auf Sie eher wie ein Mauern? Ich überlasse die Einschätzung Ihnen. In der Regierungssprecher-Bundespressekonferenz, die direkt nach der mit Spahn und Wieler stattfand, hakte ich noch einmal nach:

REITSCHUSTER: „Eine Lernfrage an das Bundesgesundheitsministerium. Laut RKI-Webseite ist es so, dass ein Impfdurchbruch dann vorliegt, wenn jemand positiv getestet ist und Symptome hat. Wenn ich mich richtig erinnere, ist es laut RKI-Webseite so: Wenn ein Ungeimpfter ohne Symptome getestet wird, gilt er bei einem positiven Test als infiziert. Nun bin ich kein Statistiker. Aber wenn ich das gegenüberstelle, muss es ja zu einer gewissen Verzerrung der Zahlen führen, wenn in dem einen Fall nur jemand mit Symptomen als krank gilt und in dem anderen Fall auch ohne Symptome. Wird das irgendwie herausgerechnet oder wie geht man damit um? Danke.“

DEFFNER (SPRECHER VON JENS SPAHN): „Das wäre eine wunderbare Lernfrage gewesen, die Sie vor einer Stunde Herrn Wieler hätten stellen können. Die genauen Berechnungsgrundlagen kann ich Ihnen an der Stelle ad hoc nicht sagen. Das müssten wir nachreichen.“

REITSCHUSTER: „Die Frage hatte ich an Herrn Wieler gestellt. Sie wurde leider nicht beantwortet. Aber Sie werden das nachreichen?“

DEFFNER: „Das kann ich gerne tun.“

Es ging dann noch weiter

Meine nächste Frage: „Noch einmal an das Gesundheitsministerium: Das RKI hatte früher auf seiner Webseite die Aussage, dass Geimpfte keine wesentliche Rolle mehr im epidemiologischen Geschehen spielen. Ich habe das Herrn Wieler heute gefragt. Er sagte sinngemäß, das musste man revidieren; man hat das also von der Webseite runtergenommen, es hat sich geändert. Nun ist das ja eine Frage mit sehr großer Tragweite; auch Herr Jessen hat das ja schon angesprochen. Wenn das tatsächlich so ist, müsste man ja dringend entsprechende Schritte einleiten. Sie sagen ‘Ja, wir prüfen jetzt‘. Können Sie diesen Widerspruch vielleicht für mich auflösen? Müsste man da nicht aus Sicherheitsgründen sofort sagen: Wir müssen da jetzt einiges ändern bei den wie nennt man es politisch korrekt? besonderen Regelungen für

DEMMER (Sprecherin von Angela Merkel): „Ich würde da jetzt noch einmal auf Herrn Spahn und Herrn Wieler verweisen wollen, die ja die Experten zu diesem Thema sind. Sie verweisen ja ganz grundsätzlich auf die Impfdurchbrüche und auf die Risiken, die von Geimpften ausgehen. Ich werde hier trotzdem nicht müde und habe das schon oft an dieser Stelle getan darauf zu verweisen, dass Impfen wirkt und Impfen hilft. Selbstverständlich haben wir bei einer Lage, wie wir sie gerade haben, auch zunehmend Impfdurchbrüche; das ist so. Trotzdem haben diejenigen, die geimpft erkranken, erstens einen sehr viel milderen Krankheitsverlauf, das heißt, sie belasten das Gesundheitssystem in der Regel nicht. Auch beim epidemiologischen Geschehen gibt es durchaus einen Unterschied, denn sie erkranken trotzdem noch deutlich seltener. Dennoch muss man sich Gedanken darüber machen da haben Sie natürlich recht, wie man grundsätzlich damit umgeht, dass auch Geimpfte erkranken. Aber dazu habe ich Ihnen heute ja einen Termin angekündigt.“

REITSCHUSTER: „Frau Demmer, ich glaube, jetzt haben wir ein kleines Missverständnis. Mir ging es nicht um das Risiko, ob man erkrankt oder nicht erkrankt, sondern mir ging es ausschließlich um die Möglichkeit, dass man andere ansteckt, also um die Regelungen in Restaurants und dergleichen. Es geht mir also ausschließlich um das Ansteckungsrisiko und nicht um diese anderen Dinge.“

DEMMER: „Das hängt ja unmittelbar miteinander zusammen. Ansonsten muss ich Sie da aber auf die Expertise der Experten verweisen.“

VORSITZENDE WELTY: „Möchte das Gesundheitsministerium ergänzen?“

DEFFNER: „Vielleicht ganz kurz. Das war ja genau das Thema heute Morgen zwischen Herrn Wieler, Herrn Spahn und auch Ihnen bei der Nachfrage. Natürlich funktioniert Wissenschaft so, dass man, wenn neue Erkenntnisse vorliegen, immer wieder gerade auch in einer Pandemie wissenschaftliche Ergänzungen oder Anpassungen vornimmt. Deshalb haben wir in den vergangenen Monaten der Pandemie auch immer wieder nachjustiert. Vorschläge sind heute von Herrn Spahn auch gemacht worden. Ich weise zum Beispiel noch einmal auf das 2G Plus, das er erwähnt hat, hin.“

DEMMER: „Herr Reitschuster, es ist mir schon wichtig: Ich habe Ihre Frage schon verstanden, es hängt aber miteinander zusammen, und den Zusammenhang kann man vielleicht am konkreten Beispiel noch einmal deutlicher machen:

In Sachsen haben wir eine Sieben-Tage-Inzidenz von 521. Bei den Ungeimpften liegt die Inzidenz bei 1.260, bei den Geimpften bei 70. Das lässt ja auch Rückschlüsse zu.“

REITSCHUSTER (mit ausgeschaltetem Mikrophon und nicht hörbar und auch nicht im offiziellen Protokoll): „Ungeimpfte werden ja aber auch viel öfter getestet!“

Kein einziger Kollege hakte leider in der Sache nach. Dafür fragten die Kollegen wie sehr oft nach Formalien, Prozeduren und Verfahrensweisen. Ich möchte in keinem Fall solchen Fragen die Legitimität absprechen. Genauso wenig wie Fragen, die dahingehen, dass die Maßnahmen noch strenger sein sollten. Im einer pluralistischen Demokratie muss all das seinen Platz haben in einer Medienlandschaft. Aber ich finde, wenn weitaus mehr solche Fragen gestellt werden als kritische Fragen, die die Strenge der Maßnahmen hinterfragen, ist etwas aus dem Gleichgewicht geraten. Umso mehr, wenn es dann noch Versuche gibt, einen der ganz wenigen Journalisten, die solche Fragen stellen, aus der Bundespressekonferenz auszuschließen. Man mag meine Herangehensweise gut finden oder schlecht, meine Perspektive teilen oder nicht – jeder aufrichtige Demokrat sollte sich dafür einsetzen, dass auch sie einen Platz hat und gehört wird bzw. entsprechende Fragen an die Regierung gestellt werden können.

 

 

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Bild: YouTube/screenshot/br24 
Text: br

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