Berlins Polizei ist nicht nur für eine Überraschung gut, wenn sie einem plötzlich das eigene Fahrrad gegen den Körper rammt oder einen als Journalist am Filmen hindert (und dann wiederum mit energischem Einsatz vor Attacken der Antifa rettet, um das Gute nicht zu vergessen). Auch die Antworten auf Presseanfragen bringen zuweilen Erstaunliches zu Tage. So fragte ich die Behörde, deren oberster Dienstherr Innensenator Andreas Geisel (früher SED, heute SPD) ist, ob sie sich vor dem Einsatz von Wasserwerfern gegen Demonstranten (im Amts- und ARD-Deutsch „Beregnung) in der zweiten Novemberhälfte fachmännischen Rat eingeholt habe hinsichtlich der Auswirkungen auf die Zielobjekte: „Haben Sie Mediziner konsultiert wegen gesundheitlicher Folgen, insbesondere im Hinblick auf Infektionsschutz (durchweichte Masken, Tröpfchen etc.) und Auswirkungen auf die Immunität? Was rieten Ihnen diese?“
Würde ich sagen, dass mich die Antwort überrascht hat, würde ich massiv untertreiben. Die Polizei teilte mir Folgendes mit: “
Nach Rücksprache mit den Arbeitsmedizinern, die im Vorfeld eines möglichen Wasserwerfer-Einsatzes im August 2020 erfolgte, teilen wir Ihnen Folgendes mit:
Es gibt keine wissenschaftlichen Erkenntnisse darüber, ob die Verwendung von Wasserwerfern zu einer erhöhten Ansteckungsgefahr führt. Gleiches gilt für eine Situation mit Starkregen, die hier zum Vergleich herangezogen werden kann. Es ist jedoch davon auszugehen, dass bei starkem Regen oder der Verwendung von Wasserwerfern die Aerosole eher nach unten gedrückt werden und somit die Übertragung durch Aerosole eher verringert wird.
Dies ist gleich in mehrfacher Hinsicht überraschend. Zum einen, weil damit klar wird, dass auch schon im August der Einsatz von Wasserwerfern erörtert wurde. Zum anderen, weil die Auswirkungen in dem Monat, in dem massive Hitze herrscht, offenbar mit denen im kalten November gleichgesetzt wurden. Dabei dürfte kaum jemand bestreiten, dass es da gewisse Unterschiede gibt. Bemerkenswert ist der Satz, dass es keine wissenschaftlichen Erkenntnisse gibt, ob die Wasserwerfer die Ansteckungsgefahr erhöhen. Wenn es diese nicht gibt, also keine Entwarnung, sollte man dann nicht „im Zweifel für die Gesundheit“ entscheiden und das Risiko nicht eingehen?
Über den Vergleich mit dem Starkregen mag man unterschiedlicher Meinung sein. Aber wer würde behaupten, dass eine völlige Durchnässung durch Starkregen Ende November der Gesundheit oder gar der Immunität zuträglich ist? Der letzte Satz ist so zu verstehen, dass nach Ansicht der Berliner Polizei die Wasserwerfer die Ansteckungsgefahr vermindern. Ich bin kein Mediziner und kann das nicht beurteilen. Aber Starkregen kommt ja eher von oben, während er im Falle der Demonstranten von der Seite kam, das Wasser also von einem zum nächsten weiterspritzte.
Noch bemerkenswerter ist aber eine andere Aussage. Laut Polizei waren massive Verstöße gegen die Hygieneauflagen, also neben den Mindestabständen auch insbesondere der Maskenpflicht, der Grund für die Auflösung. Ich stellte dazu folgende beiden Fragen:
1. Bei wie vielen Teilnehmern der Kundgebung am Brandenburger Tor wurde überprüft, ob sie ein medizinisches Attest für das Nicht-Tragen von Mund-und Nasenbedeckungen hatten?
2. Wie viele Ordnungswidrigkeitenverfahren wurden im Zusammenhang mit Punkt 1. eingeleitet?
Die Antwort der Berliner Polizei:
Zu den Fragen 1 und 2
Die Polizei Berlin führt keine Statistik darüber, wie viele Personen den Einsatzkräften ein medizinisches Attest zur Befreiung der Mund-Nasen-Bedeckung vorgelegt haben. Im Rahmen des Einsatzgeschehens am 18. November 2020 wurden insgesamt 29 Ordnungswidrigkeitenverfahren wegen des Nichttragens einer Mund-Nasen-Bedeckung eingeleitet. Ferner wurden 82 Strafermittlungsverfahren wegen des Verdachts der Fälschung von Gesundheitszeugnissen eingeleitet.
Das ist bemerkenswert. Wenn Verstöße gegen die Maskenpflicht einer der zwei wichtigsten Gründe für die Auflösung war, sollte man erwarten, dass diese auch faktisch noch eindeutiger zu belegen sind als durch den Augenschein. Dieser zeigte zwar in der Tat, dass die weit überwiegende Mehrzahl der Kundgebungsteilnehmer keine Masken trugen. Aber 28 Ordnungswidrigkeitenverfahren wegen Nichttragens von Masken werfen die Frage auf, ob hier wirklich alle anderen polizeilichen Mittel ausgenutzt wurden, bevor man zum Eskalationsmittel der Wasserwerfer griff.
Hier sei noch einmal an die „Black Lives Matter“-Demonstration im Hochsommer auf dem Alexanderplatz erinnert. Dort wurden nicht nur die Hygieneregeln konsequent ignoriert, es wurde auch massive Gewalt gegen die Polizei ausgeübt. Es gab nicht einmal den Versuch einer Auflösung der Versammlung, vom Einsatz eines Wasserwerfers ganz zu schweigen. Obwohl dieser im Hochsommer in der Hitze wohl etwas weniger Einschüchterungspotenzial besessen hätte als in der zweiten Novemberhälfte.
Text: br