Von Alexander Wallasch
Die Meldung setzte bei Twitter binnen Stunden einen Trend: Talkshow-Moderatorin Anne Will soll 2016 von der Bill & Melinda Gates Foundation 484.181 US-Dollar erhalten haben. Von einem „warmen Geldregen“ war die Rede. Und davon, dass diese Zuwendung eine weitere Top-Investition des Milliardärs gewesen ist.
Allerdings hat Anne Will nie und zu keinem Zeitpunkt je Geld aus der Gates Stiftung erhalten. Nicht sie, nicht ihre Firma und keine Firma, von der Anne Will irgendwie abhängig wäre. Aber dazu gleich mehr, reitschuster.de hat mit der Sprecherin der Produktionsfirma von Anne Will gesprochen.
Besonders pikant: Derjenige, der die Nachricht per Twitter teilte und damit den Trend setzte, war selbst schon Gast bei Anne Will. Aber was hat der prominente AfD-Politiker geteilt und warum?
Fangen wir mit dem „warum“ an. Wie vorstellbar ist es, dass Anne Will – ebenso wie der Spiegel und andere einflussreiche Akteure – von der Gates-Stiftung Geld bekommen hat? Vor dem Bekanntwerden der 1,4 Millionen-Großspende der Gates-Stiftung an den Fernseharzt-Komiker Eckart von Hirschhausen hätten das viele nicht für möglich gehalten. Hirschhausen ist allerdings zu so etwas wie einem Türöffner für die Einflussnahme der Gates-Stiftung mitten hinein ins öffentlich-rechtliche deutsche Fernsehen geworden.
Die Nachricht, dass Anne Will ebenfalls bei Gates kassiert haben soll, ist also nicht undenkbar. Hat sie aber gar nicht.
Die Falschmeldung veröffentlichte ein Portal aus Neubrandenburg mit der Schlagzeile: „Internationale Influencerin – Anne Will erhielt 484 181 US-Dollar von Bill Gates“.
Im Impressum heißt es dort: „Hobbyangebot. Nicht kommerziell. Daher keine Ausweisung von Steuernummern, etc.“ Die Steuernummer ist das eine, der Hobbystatus das andere. Der Autor des besagten Textes hat sich und anderen jedenfalls einen Bärendienst erwiesen.
Aber wie kam der Autor überhaupt darauf, dass Anne Will von Gates finanziert sein soll? Tatsächlich agiert die Gates-Stiftung insofern transparent, dass sie öffentlich macht, wen sie fördert. Und es gibt hier die Möglichkeit über ein Suchfeld zu schauen/suchen, wer gefördert wird.
Der Autor hat das Produktionsunternehmen der Anne-Will-Sendung bei Gates eingegeben und wohl zu seinem großen Erstaunen mit „Will Media GmbH“ einen Treffer erzielt. Aber eben keinen Treffer zu Anne Will Media in Berlin, sondern eine Fördersumme von 484.181 US-Dollar für die deutsche Sektion des weltweit zweitgrößten privaten Fernsehproduzenten der Welt, zu Endemol Shine Group Germany GmbH mit Sitz in Köln.
Nun kann man sich eigentlich ausmalen, dass die Kombination von „will“, „media“ und „GmbH“ in einem Suchfeld auch weitere Treffer generieren kann. Ein Twitter-Nutzer kommentierte das später so:
„Die lächerliche Beweisführung des Artikels basiert auf einem fuzzy search result. Eingaben, die zum selben grant führen: „Was Media GmbH“, „Or Media GmbH“, „And Media GmbH“. Genauso auch „Will Media GmbH“, aber deswegen hat Annes Wills Firma noch lange nichts mit dem Grant zu tun.“
Ein weiterer Nutzer machte kurzen Prozess: „Das Argument basiert auf dem falschen Verständnis der Suchfunktion.“
Das Böse auf Biegen und Brechen
Ahnungslos war der Autor nicht. Zu seiner Enttäuschung verliefen alle seine Recherchen im Sand. Nicht nur, was eine Verbindung von Anne Will zu Bill Gates angeht, er konnte auch keine von Will zu Endemol feststellen, die sehr viel wahrscheinlicher sein könnte, aber eben nicht ist.
Der Autor hatte Blut geleckt und konnte sich nicht mehr von seinem vermeintlichen Knüller verabschieden. Also schrieb der Mann aus Neubrandenburg auf seinem Blog, die Talkshows von Anne Will „werden wohl in irgendeinem Zusammenhang mit der Unterstützung von Endemol Shine Beyond Germany gedreht. Ein direkter Zusammenhang der beiden Unternehmen lässt sich nicht nachvollziehen, was aber zu Wills Geheimniskrämerei ihrer Einkünfte passen würde.“
Mit Journalismus hat das leider nichts mehr zu tun. Nicht einmal mit Hobbyjournalismus. Das ist sogar schlimmer als die Hitler-Tagebücher, denn die lagen dem Stern wenigstens vor, es ging um den Nachweis der Echtheit. Aber für die Behauptung, Anne Will wäre ein Gates-Pflänzchen, gibt es keinerlei Hinweise, einfach nichts.
Neben einem endlosen Surfen nach den dunklen Seiten hinter Anne Will, ist ein Weg allerdings recht einfach zu bestreiten: Anne Wills Unternehmen einfach anrufen. Für Presseanfragen ist eine Handynummer hinterlegt und am Wochenende erreichbar: reitschuster.de spricht mit der Pressevertreterin des Unternehmens, die sich für den Hinweis bedankt und dann in aller Deutlichkeit erklärt:
„Da ist nichts dran, es gab nie einen Förderantrag, es gab überhaupt keine Fördergelder. An der Stelle ein klares ‚Nein’“.
Bleibt noch der Anruf beim Autor in Neubrandenburg. Der möchte den Artikel jetzt „überarbeiten“, wie er sagt. Was er denn „überarbeiten“ will, fragen wir nach. Er löscht den Artikel, und auch der Politiker, der mit seinem Kommentar auf Twitter so viele Menschen empörte, löscht seinen Tweet, nachdem reitschuster.de ihn persönlich befragt, ob er Hintergrundwissen zum Verhältnis Anne Will / Bill Gates hätte, hatte er aber nicht.
Was nicht passt, wird passend gemacht
Die Story ist eine Ente. Sie hätte unter seriösen Bedingungen gar nicht passieren können. Sie hätte nicht passieren können, wenn man, wie es sein muss, mit allen Beteiligten das Gespräch sucht, wenn man die relevanten Akteure zu Wort kommen lässt. Und ggf. in diesem speziellen Fall bitte auch mit jemandem spricht, der sich mit der Mechanik solcher Suchmaschinen auskennt.
Aber nichtsdestotrotz bleibt Anne Will eine Kollegin von Eckardt von Hirschhausen, dessen Stiftung von Bill Gates so massiv profitierte. Auch Hirschhausen ist ein Kind der Öffentlich-Rechtlichen.
Hinzukommt, dass Anne Will mit ihrer Talkshow am Sonntagabend auf ARD maßgeblich daran beteiligt war und noch ist, dass das öffentlich-rechtliche Fernsehen Brandbeschleuniger der Spaltung der Gesellschaft ist. Weiter ist darüber nachzudenken, wem diese Spaltung der Gesellschaft nutzt.
Oder noch basischer: Es ist darüber nachzudenken, wie es sein kann, dass ein sich als Weltenbeglücker gerierender spleeniger Milliardär aus den USA mit seiner handfesten politischen Agenda Einfluss nimmt bis weit in die deutsche Politik hinein, ohne dafür auch nur ansatzweise eine demokratische Legitimation erhalten zu haben.
Weitere Alarmsirenen müssen losgehen, beschäftigt man sich beispielsweise mit dem Robert Koch- und Helmholtz-Institut als Empfänger von Gates-Geldern in Millionenhöhe.
Oder, deutlich dramatischer, die weit offene Hand der „Deutschen Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit“, kurz „GIZ“. Diese GmbH ist der verlängerte Arm des Entwicklungshilfeministeriums und weiterer Ministerien. Die GIZ ist Dienstleister dieser Ministerien, welche die GmbH zur Durchführung von Projekten in Anspruch nehmen.
Unter anderem die Abteilung für Wirtschaft und nachhaltige Entwicklung des Auswärtigen Amtes bekommt schon mal Besuch vom Berliner Büro der Bill & Melinda Gates Foundation, das dort die Förderungsstruktur und -möglichkeiten der Gates-Stiftung erläutert und um Projektvorschläge bittet.
Kontaktpflege und Kontaktschuld
Im April 2019 sprach Tobias Kahler, der Leiter des Berliner Büros der Gates-Stiftung, mit dem Bundesverband Deutscher Stiftungen und definierte eine seiner Hauptaufgaben so:
„Zum einen pflege ich den Kontakt in die deutsche politische Landschaft hinein – das Bundesministerium für wirtschaftliche Entwicklung und Zusammenarbeit etwa ist ein ganz wichtiger Partner von uns –, aber auch zu anderen Ministerien, zum Kanzleramt und zum Bundestag.“
Die GIZ bewarb Anfang 2017 einen Sammelband „Deutschlands Neue Verantwortung“. Und wer definierte und diskutierte damals diese neue deutsche Verantwortung? Als Autoren wurden unter anderem genannt: „Kofi Annan, ehemaliger Generalsekretär der Vereinten Nationen, Bill Gates, Vorsitzender der Bill & Melinda Gates Stiftung, Bundesentwicklungsminister Gerd Müller und Tanja Gönner, Vorstandssprecherin der Deutschen Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) GmbH.“
In diesem Kontext sind Anne Will und Eckardt von Hirschhausen kleine Fische für Gates – Anne Will hat gar keine Förderungen der Stiftung erhalten. Und der Autor, der das fälschlicherweise behauptet hat, hätte besser daran getan, sich mit den real geförderten Institutionen näher zu befassen. Das Potential für einen echten Knüller ist vorhanden.
Namentlich gekennzeichnete Beiträge geben immer die Meinung des Autors wieder, nicht meine.
Alexander Wallasch ist gebürtiger Braunschweiger. Er schrieb schon früh und regelmäßig Kolumnen für Szene-Magazine. Wallasch war 14 Jahre als Texter für eine Agentur für Automotive tätig – zuletzt u. a. als Cheftexter für ein Volkswagen-Magazin. Über „Deutscher Sohn“, den Afghanistan-Heimkehrerroman von Alexander Wallasch (mit Ingo Niermann), schrieb die Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung: „Das Ergebnis ist eine streng gefügte Prosa, die das kosmopolitische Erbe der Klassik neu durchdenkt. Ein glasklarer Antihysterisierungsroman, unterwegs im deutschen Verdrängten.“
Bild: Frederic Legrand – COMEO/Shutterstock
Text: wal
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