Von Kai Rebmann
SPD-Chefin Saskia Esken hat zu Beginn der Woche für Verwirrung gesorgt, als sie mit einem Tweet den Eindruck erweckt hatte, sie und ihr Co-Parteichef Lars Klingbeil seien mit dem ukrainischen Botschafter Andrij Melnyk zusammengetroffen. „Gerade in Zeiten, in denen uns die Herzen schwer sind und die Debatten manchmal hitzig, ist es umso wertvoller, das offene und vertrauensvolle Gespräch zu pflegen. Danke dafür Andrij Melnyk“, schrieb Esken zu einem Bild, das die beiden SPD-Chefs zusammen mit dem Botschafter der Ukraine zeigt. Esken hatte im Gesamtkontext den Eindruck entstehen lassen, dass das Treffen bereits stattgefunden habe. Bei dem Foto handelte es sich jedoch nicht um eine tagesaktuelle Aufnahme, sondern um ein Bild, das bereits am 6. April 2022 beim bis dato letzten persönlichen Gespräch der SPD-Spitze mit Melnyk entstanden war.
Klarheit über den tatsächlichen Termin für das Treffen brachte schließlich die Reaktion des ukrainischen Botschafters auf Eskens Tweet. „Liebe Frau Saskia Esken, ich danke für Ihre Einladung zu einem neuen Gespräch und freue mich auf das morgige Treffen. Hoffe, dass die SPD ENDLICH das grüne Licht für schwere Waffen (aus Deutschland, Anm. d. Verf.) an die Ukraine und fürs Embargo von (russischem) Gas und Öl geben wird, um den (russischen) Vernichtungskrieg zu stoppen“, schrieb Melnyk und teilte dem aufmerksamen Leser auf diese Weise mit, dass das Treffen wohl erst „morgen“ (Mittwoch) stattfinden wird. Melnyk und die SPD liegen seit Wochen im Clinch, nachdem der Botschafter die Partei und einige ihrer prominentesten Vertreter, darunter Bundeskanzler Olaf Scholz und Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier, für deren russlandfreundliche Politik kritisiert hatte. Ex-Bundesaußenminister Sigmar Gabriel (SPD) hat Melnyk in einem Gastbeitrag für den „Spiegel“ erst am vergangenen Wochenende „gezielte Angriffe“ auf Steinmeier und die Verbreitung von „Verschwörungstheorien“ unterstellt.
Scholz und SPD glänzen bisher nur beim Zusagen von Unterstützung für die Ukraine
Die Blockade-Haltung der SPD und ihres Bundeskanzlers droht zunehmend zu einer Belastung für die Ampel-Koalition zu werden. Im Rahmen eines Treffens der EU-Außenminister in Brüssel sagte Bundesaußenministerin Annalena Baerbock (Grüne) am 11. April: „Die Ukraine braucht weiteres militärisches Material, vor allem schwere Waffen.“ Es sei jetzt nicht mehr die Zeit der Ausreden, sondern die Zeit für Kreativität und Pragmatismus, ergänzte Baerbock. Anton Hofreiter (Grüne) sagte der „Rheinischen Post“ zur von der EU beschlossenen Aufstockung der finanziellen Militärhilfe auf insgesamt 1,5 Milliarden Euro: „Die Aufstockung der Militärhilfe ist gut und richtig, aber sie kann die schnelle Lieferung auch schwerer Waffen nicht ersetzen.“
Marie-Agnes Strack-Zimmermann (FDP), Vorsitzende des Bundesverteidigungsausschusses, kritisierte den Zick-Zack-Kurs des Bundeskanzlers in Bezug auf den Ukraine-Krieg ebenfalls. Mit Geld allein könne man keinen Krieg gewinnen, weshalb es jetzt Waffen brauche. Sie wünsche sich, dass der Bundeskanzler einerseits zwar Geld zusage, andererseits aber auch das Signal sende, dass Deutschland bereit sei, schwere Waffen zu liefern. Strack-Zimmermann wies aber auch auf mögliche Probleme bei der Lieferung schwerer Waffen aus Deutschland an die Ukraine hin und nannte als Beispiel den „Marder“-Schützenpanzer der Bundeswehr: „Die ukrainische Armee müsste an den ‚Marder‘-Panzern erst ausgebildet werden. Daher schlage ich vor, dass unsere osteuropäischen Partner entsprechendes Material an die Ukraine liefern.“
Unterdessen will die „Bild“-Zeitung davon erfahren haben, dass die Bundesregierung eine ursprünglich 48 Seiten umfassende Bedarfsliste der Ukraine auf rund die Hälfte zusammengestrichen hat. Kiew hatte unter anderem um den Kampfpanzer „Leopard 2“, die gepanzerten Mannschaftstransporter „Boxer“ und „Fuchs“ sowie die Schützenpanzer „Marder“ und „Puma“ gebeten. Diese und weitere schwere Waffensysteme fehlen auf der von der Bundesregierung genehmigten „Industrieliste“, die der Ukraine Ende März übergeben wurde. Das finanzielle Volumen sei von ursprünglich über einer Milliarde Euro auf 307 Millionen Euro geschrumpft, wie die „BILD“ berichtet. Solche Nachrichten sind Wasser auf die Mühlen von Kritikern wie Mevlüt Cavusoglu: Der türkische Außenminister unterstellte der Bundesregierung am Mittwoch in einem Interview, sie habe ein Interesse daran, dass der Krieg in der Ukraine möglichst lange dauere. „Ihr Ziel ist es, Russland zu schwächen“, sagte Cavusoglu im türkischen Fernsehen.
Melnyk und Esken führten 'sehr gutes und vertrauliches Gespräch'
Ebenfalls am Mittwoch fand das eingangs erwähnte Treffen zwischen Saskia Esken und Andrij Melnyk statt, Lars Klingbeil nahm daran jedoch nicht teil. Über konkrete Inhalte des Gesprächs wurde zunächst nichts bekannt, aber es dürfte vor allem um das zuletzt massiv gestörte Verhältnis zwischen der SPD und dem Botschafter der Ukraine sowie Möglichkeiten der direkten und indirekten militärischen Unterstützung durch Deutschland gegangen sein. In der Sendung „RTL Direkt“ sagte Melnyk, er habe ein „sehr gutes, vertrauliches Gespräch“ mit Esken geführt. „Klar ist, wir haben unsere Wünsche auch der SPD-Spitze vorgetragen und darum geworben, dass es innerhalb dieser großen, wichtigen Partei mehr Verständnis gibt, dass die Ukraine heute nicht nur die schweren Waffen benötigt, sondern auch ein sofortiges Embargo auf Öl und Gas aus Russland. Ich hoffe, dass die Dringlichkeit dieses Themas nicht nur für die SPD, sondern für ganz Deutschland noch spürbarer sein wird und wir die Unterstützung bekommen, die wir brauchen“, wird der Diplomat bei „n-tv“ zitiert.
Im Vorfeld des Treffens hat Esken am Dienstag gegenüber dem „ZDF“ betont, dass die Bundesregierung die Ukraine zumindest indirekt bereits mit schweren Waffen unterstütze. Die Bundesregierung habe zum Beispiel die Lieferung von tschechischen Panzern an die Ukraine genehmigt, so die SPD-Chefin. Da diese T-72-Panzer noch aus NVA-Beständen stammten, sei die Zustimmung der Bundesregierung nötig gewesen und man werde Tschechien diese Panzer ersetzen, wie Esken erklärte. Zugleich wies sie aber noch einmal darauf hin, dass es bei der Bunderwehr derzeit „keine weiterhin frei verfügbaren Waffen“ gebe und deshalb Lieferungen an die Ukraine über die Rüstungsindustrie „und andere“ ermöglicht werden müssten. Bundeskanzler Olaf Scholz führe derzeit entsprechende Gespräche.
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Kai Rebmann ist Publizist und Verleger. Er leitet einen Verlag und betreibt einen eigenen Blog.
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